Gespräch mit den Machern

Eoin Moore und Anika Wangard

Regisseur Eion Moore.
Regisseur Eion Moore. | Bild: NDR / Christine Schroeder

Ihr Buch erzählt von einem Extremfall des deutschen Rechts, in dem das Gesetz einen Mörder vor der Strafverfolgung schützt. Wie sind Sie auf das Thema aufmerksam geworden?

AW: Durch die Berichterstattung über den Fall Frederike von Möhlmann. Wir hatten davor noch nie etwas von diesem § 362 der Strafprozessordnung (StPO) gehört, nach dem niemand ein zweites Mal wegen desselben Deliktes vor Gericht gestellt werden darf, und das muss man ja auch erst mal verstehen. Welchen Sinn dieses Gesetz eigentlich hat, nämlich den Schutz von Unschuldigen, und wie es in diesem Fall zu diesen unglücklichen Umständen kommt.
EM: Wir nehmen diesen realen Fall zwar als Inspiration, aber wir erzählen eine andere, eine eigene Geschichte. Insbesondere in der zweiten Hälfte gibt es starke Abweichungen von diesem und anderen realen Fällen, mit denen wir uns beschäftigt haben. Also etwa darin, wie die Ermittlungen verlaufen und was im Kontakt mit dem Täter passiert. Unser Thema ist nicht der Mord an Frederike von Möhlmann, sondern unser Thema ist Gerechtigkeit.

Wussten Sie von Beginn an, dass Ihr Film die Themenwoche Gerechtigkeit eröffnen würde?

EM: Nein, das haben wir erst relativ spät erfahren. Und das Komische ist: Wenn jemand gesagt hätte, macht doch einen Film für die Gerechtigkeitswoche, hätte ich bestimmt über größere Zusammenhänge nachgedacht. Aber ich glaube, dass dieser Film gerade deshalb an die Nieren geht, weil es so eine kleine, klare Geschichte ist, die wir erzählen. Man kann eindeutig sagen, der Mann war es, er hat Janina umgebracht, und er kommt trotzdem nicht in den Knast. Das ist ganz klar ungerecht. Diese Klarheit macht es möglich, unter die Oberfläche zu gehen und das Augenmerk auf die menschlichen und emotionalen Aspekte zu richten. Darauf, was die Auswirkungen sind, was Ungerechtigkeit mit den Menschen macht. Denn das ist ja der Grund, warum uns das Thema alle so beschäftigt: Es tut uns in der Seele weh, wenn wir Ungerechtigkeit sehen.

In Ihrer Geschichte leidet nicht nur die Mutter des Mordopfers darunter, dass die Tat nicht gesühnt wird. Die Ermittler haben ebenfalls ihr Päckchen zu tragen.

AW: Die Figuren sind sehr emotional in diesen Fall involviert und können mit ihrer eigenen Ohnmacht, die sie hier erfahren, kaum umgehen. Wir wollten schon länger einen Fall für das ganze Ensemble machen, eine Folge, in der es sehr stark um diese Gruppe im Kommissariat geht und in der der Fall zwischen den Figuren des Ermittlerteams ausgekämpft wird. Wir hatten noch andere Ideen, wie wir das umsetzen könnten, aber dann haben wir diesen Fall daraufhin ausprobiert und er passte fantastisch. Schon deshalb, weil er die Ermittler an ihre Grenzen führt.
EM: Ein Grundsatz von Rostock ist ja immer: Die Fälle sind die Episoden, aber die Hauptfiguren sind unsere Ermittler. Die Zuschauerinnen und Zuschauer schalten weniger wegen eines bestimmten Falls ein, sondern eher, weil sie Bukow und König bei der Arbeit sehen wollen und auch ihr Team. Daran, dass z. B. Thiesler Bukows Frau ausspannt, sieht man, dass wir auch sehr starke Drama-Spannungen zwischen den Figuren nicht scheuen. Allerdings gibt es oft nur wenig Raum, diese Energien auszuspielen, und in dieser Folge sollten sie mal Raum bekommen. Es war auch klar, dass Henning Röder stärker in den Fokus treten muss, damit die Figur Boden bekommt und man weiß, wer das eigentlich ist. In der Vergangenheit war das schwer, weil Röder nicht so stark in die eigentlichen Ermittlungsarbeiten involviert ist, aber jetzt gibt es endlich einen richtig starken Auftritt für Uwe Preuss, weil es um einen alten Fall geht, in den Röder persönlich involviert war und in dem er sozusagen etwas wiedergutzumachen hat. Auf bestimmte Weise stehen hier alle unter einem gewissen Druck.

In Bezug auf die Rollenverteilung zwischen König und Bukow gibt es diesmal eine überraschende Entwicklung. Wie hat sich das ergeben?

EM: Mir ist es generell wichtig, dass man die Figuren in eine offene Dynamik führt. Man soll nicht das Gefühl haben, dass etwas stehenbleibt oder heilig ist, sondern es gibt immer wieder Brüche oder Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Entsprechend ist König auch keineswegs immer die Saubere und Bukow der Unkorrekte. Katrin König ist in der Regel gesetzestreu und sie hat einen übersteigerten Sinn für Gerechtigkeit. Das ist ihr Ding. Aber bislang fielen für sie Gerechtigkeit und Gesetz immer in eins. Entsprechend stürzt dieser Fall sie in einen tiefen Konflikt, und sie opfert am Ende ihre Moral, weil sie die Ungerechtigkeit nicht aushält. Aber wir erzählen nicht, dass sie das mit Bravado tut, nach dem Motto "Nach mir die Sintflut", sondern dass es sie schmerzt, dass es ihr wirklich wehtut, dass sie das tun muss. König entwickelt sich, sie ist jetzt in dieser Phase, aber sie wird sicherlich für das büßen, was sie hier tut. Nicht aus rechtlichen Gründen, sondern sie als Figur, sie wird ihr eigener Richter sein.
AW: Die Hauptfiguren entwickeln sich ja nie unabhängig von den Fällen weiter. Für uns als Autoren war der Fall Janina Stöcker auch deshalb so interessant, weil wir schnell gespürt haben, dass Katrin König durch die Schere zwischen Recht und Gerechtigkeit, die sich hier auftut, an ihr Limit kommt und dass dieser Rollenwechsel zwischen Bukow und König am Ende stehen wird.

Durch eine Videoeinspielung und Fotos lassen Sie das Mordopfer Janina lebendig werden und führen uns dabei zurück in die Spätphase der DDR. Was war Ihnen hierbei wichtig?

AW: Das Problem solcher "Cold Cases" ist immer, dass man als Zuschauer wenig hat, woran man sich emotional binden kann. In "Für Janina" übernimmt die Mutter in dieser Hinsicht eine extrem wichtige Rolle, aber Eoin hat erkannt, dass der Film dringend noch eine visuelle Ebene brauchte, damit nicht nur ein Name fällt, sondern man ein Gefühl für dieses Mädchen und sein Leben bekommt.
EM: Ich habe immer eine Allergie dagegen, wenn Dinge im Film einfach nur behauptet werden. Wir behaupten den Fall nicht nur, wir wollen ihn spürbar machen. Daher haben wir ein ganzes Konstrukt des Tathergangs errichtet, damit die Ermittler auch Dinge haben, denen sie nachgehen können. Und wir haben interessante Einzelheiten wie das Bruce-Springsteen-Konzert von 1988 in Ost-Berlin einfließen lassen, die nicht nur beispielsweise bei Sascha Bukow, sondern auch beim Zuschauer einen Wiedererkennungswert haben. Für den Ausschnitt aus der TV-Sendung haben wir uns alte Folgen von "rund" angeschaut und unsere Bilder dem angeglichen. Wir haben eine alte Kamera und alte DDR-Fahrzeuge ausgeliehen und die Szene an einer Ecke, die nach DDR aussah, mit Komparsen in 80er-Jahre-DDR-Klamotten gedreht. Die Fotos, die Janina auf Partys oder im Schwimmbad zeigen, wurden ebenfalls mit viel Aufwand und Liebe zum Detail hergestellt.
AW: Auch unsere Ermittler werden so an das Opfer gebunden und emotional in den Fall involviert. Bei Pöschel haben wir hier sogar diese leicht ironische Note, dass er sich quasi über die Fotos in Janina verliebt und daraus auch seine Energie für den Fall zieht und viel Solidarität mit der Mutter zeigt. Es hatte also gute Gründe, diesen Aufwand zu betreiben.

(Das Interview wurde geführt von Birgit Schmitz.)

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