Ein Gespräch mit Anneke Kim Sarnau (Katrin König) und Charly Hübner (Alexander Bukow)
SABINE erzählt von einer jungen Mutter, die trotz Arbeit in Armut lebt. Inwiefern ist Ihnen dieses Thema wichtig?
CH: Solche Figuren finden in Film und Fernsehen viel zu selten statt. Sie sind wie nicht existent, dabei ist das ein großer Realitätsausschnitt; es gibt viele Menschen, die in solchen Umständen leben müssen.
AKS: Ich glaube, vierzig Prozent aller Hartz-IVEmpfänger sind Alleinerziehende, der größte Teil davon Frauen. Sabine hat zwei Jobs und kommt trotzdem nicht mit ihrem Geld aus. Es ist schlimm, dass es in unserem Land Jobs gibt, von denen man nicht leben kann. Die Gefahr, dabei auf eine Ebene zu rutschen, wo man nicht hingehört und wo eh niemand hingehört, ist riesig. Und besonders traurig ist, dass die nächste Generation dann automatisch mit reingerissen wird. Solche Dinge müssen unbedingt thematisiert werden, wir müssen den Finger in die Wunde legen. Wir sind ja mal angetreten, um gesellschaftskritische Themen aufzugreifen. Wir sollten schon in der Kindheit anfangen, jedem beizubringen, dass er wert - voll ist, und seine Stärken fördern, damit er gar nicht erst in eine Situation kommt, in der er keinen Ausweg mehr weiß.
Sabine ist eine stille Kämpferin. Selbst als sie anfängt zu morden, bleibt sie zunächst unter dem Radar. Beim Zuschauen schwankt man zwischen Sympathie für die Figur und Entsetzen über ihre Taten. Wie erging es Ihnen mit dieser Ambivalenz?
CH: Der gesunde bürgerlich erzogene Menschenverstand kann ja nur erschrecken über die Folgen und das Ausmaß dieser Negativumkehrung des eigenen Leides. Ich bin vor allem wütend darüber, dass in unserem Land im Laufe von mehreren Jahrzehnten Strukturen geschaffen worden sind, die dafür sorgen, dass Menschen in Umstände geraten, aus denen sie aus eigener Kraft nicht mehr herauskommen.
AKS: Ich glaube, hier wird Inneres nach außen gestülpt, Phantasien werden in Taten übersetzt. Sicher haben sich Sabine solche Phantasien vorher schon das eine oder andere Mal in ihrem Leben aufgedrängt, in bestimmten Notsituationen, wo sie gemerkt hat, dass sie nicht gesehen wird und dass man ihr keine Chance gibt, obwohl sie sich gar nichts hat zu Schulden kommen lassen. Die Verzweiflung über solche Ungerechtigkeiten bricht sich irgendwann Bahn.
CH: Ich meine, Rammstein hat mal gesagt: Ein böses System verlangt böse Musik. An diesen Satz musste ich oft denken, als wir den Film gedreht haben. Solche Sätze, wie der Unternehmensberater Lettcke sie hier sagt, fallen ja wirklich, das ist keine Fiktion. Menschen werden heute häufig nur noch als Zahlen begriffen.
König und Bukow sind jetzt zusammen und wirken so, als wüssten sie nicht ganz, wie ihnen geschieht. Wie ist es für Sie beide, nach all den Jahren ein Liebespaar zu spielen?
CH: Na ja, war ja ein langer Anlauf ... (lacht)
AKS: (lacht mit) Ja, wir konnten uns lange genug an den Gedanken gewöhnen.
CH: Ich fand das Unbehagen der Figuren mit der neuen Situation als Umgang mit dem Thema eigentlich sehr schön. Am besten matchen die beiden immer bei der Ermittlung, dem Fall, und so ist es auch in diesem Film. Das andere ist noch ganz nackt und roh und wird ja auch letzten Endes nicht geklärt; dazu passiert zu viel anderes: Da gibt’s eine Bestattung, eine Trauerfeier, und es taucht noch eine Schwester auf. Da bleibt keine Zeit, die Fragen zu klären, die eigentlich anstehen.
AKS: Das ist sehr lebensnah eingefangen vom Autor. Man hat im allgemeinen Strudel des Lebens oft gar nicht den Raum und die Ruhe, sich das, was passiert, genau anzugucken.
Die Unsicherheit nach innen spiegelt sich in der Außenwirkung. Die beiden lassen den Kollegen gegenüber offen, wie sie zueinanderstehen. Wollen sie sich noch nicht festlegen?
AKS: Sie wollen sich erst mal schützen und selber gucken. Ich glaube, dass beide gerne wollen, aber wahrscheinlich auch wissen, dass das nicht einfach ist. Katrin König ist ja auf verschiedenen Ebenen nicht gut geerdet, und es bedeutet schon was, vom Dasein als lonesome wolf in so ein Team zu gehen. Und dann auch noch mit jemandem, der der Sohn von einem stadtbekannten Kriminellen ist, so einem Straßenköter. Das muss man sich gut überlegen. (lacht)
Die Liebe zur Musik ist etwas, was die beiden eint. Wonach sind die Songs ausgesucht?
CH: Das ging stark vom Autor und vom Regisseur aus. Münchner Freiheit ist aus meiner Sicht einfach eine charmante Trash-Nummer, ein Disco-Hit, den unsere Generation ertragen musste, aber Rio Reiser ist eine gute Lösung; da passen beide Figuren irgendwie rein. Bukow kann damit eigentlich nichts anfangen; er kennt das aus Kneipen, und erst durch diese Frau ist es ihm möglich, sich dem im Rausch zu stellen.
AKS: Ich hab mir vorgestellt, dass in Veit Bukows Club früher oft Songs der Münchner Freiheit liefen. "Ohne dich" war ein typischer Veit-Schuppen-Song, mit dem Bukow groß geworden ist und den sie deshalb am Abend der Trauerfeier singen. Mit Ton Steine Scherben verbindet man ja die Häuserbesetzer-Szene, und das Linksgesinnte eint beide Figuren in gewisser Weise.
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