Ein Gespräch mit Luise Heyer als Sabine Brenner
Sabine Brenner
Das Leben muss sich für Sabine Brenner hinter einer Milchglasscheibe abspielen, so oft drängen ihr Tränen in die Augen – aus Erschöpfung, aus Demütigung, aus Wut. Sie ist Wendeverliererin in der zweiten Generation. Schon die Utopie ihrer alleinerziehenden Mutter ist zerplatzt. Sabine selbst kämpft sich durch Umschulungen bis zum Abwinken, aber kommt nicht wirklich auf die Füße. Ihre Ehe ist vermutlich eher von außen aufgerieben als wirklich gescheitert. Ihr Sohn soll trotz guter Noten mangels familiärer Förderungsperspektive nicht aufs Gymnasium. Auch hier: herablassend-freundlicher Ton, bevor die Tür zugeschlagen wird. So nicht. So darf es nicht weitergehen. Es müsste mal jemand für Gerechtigkeit sorgen. Es muss doch viele geben, denen es so wie ihr geht. Man müsste … man müsste … sie wird.
Ein Gespräch mit Luise Heyer (Sabine Brenner)
Sie spielen die Episodenhauptrolle im "Polizeiruf 110: Sabine". Was macht für Sie die spezielle Qualität der Geschichte aus?
Die Geschichte von SABINE ist für mich insofern besonders, als sie eine Randerscheinung unserer Gesellschaft in den Mittelpunkt rückt. Sie ist so gestaltet, dass es dem Zuschauer möglich wird, die persönliche Ausweglosigkeit und Verzweiflung der Figur nachzuvollziehen, er steckt quasi neunzig Minuten in Sabines Haut.
Sabine hat bereits einen langen Kampf hinter sich, als die Handlung einsetzt. Ihr vergebliches Ringen um ein Stückchen Glück und Sicherheit für sich und ihren Sohn haben sie zermürbt. Was bedeutete das für Ihr Spiel?
Es wurde etwas sehr Körperliches, eigentlich nicht Aussprechbares. Beim Lesen und beim Arbeiten an der Figur hab ich gemerkt, dass Sabines Körper kaum noch Energie hat. Ihre Schultern fallen nach vorn, der Rumpf sackt in sich zusammen, sie macht ein Hohlkreuz, die Hände haben keine Spannung mehr. Es gibt nichts Energetisches mehr in ihr. Keine Flamme. Ihr Körper und Geist sind einfach sehr erschöpft. Müde. Kaputt. So startet sie in den Film.
Sabine spielt in ihrer Verzweiflung nicht zum ersten Mal mit dem Gedanken, sich umzubringen. Wo kippt die Situation? Was gibt den Ausschlag dafür, dass sie zur Mörderin wird?
Sabine spielt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit dem Gedanken, sie plant ihren Suizid akribisch. Alles soll geregelt und vorbereitet sein. Niemand soll in eine wirklich schlimme Lage kommen, weil sie sich das Leben nimmt. Sie nimmt an diesem Tag sogar noch Termine wahr, wie die Elternsprechstunde oder den Termin beim Arbeitsamt. Irgendwo ganz tief in ihr gibt es vielleicht doch noch ein verschüchtertes Fünkchen Hoffnung, das sich das Wunder herbeisehnt. Aber das Wunder tritt nicht ein. Und so bleibt die Sicherheit, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, und sich allein und in sich ruhend aus dem Leben zu verabschieden. Dann schreit aber der Nachbar. Mal wieder. Drischt auf seine Frau ein. Nicht mal in diesem kleinen, sehr intimen letzten Moment hat sie ihre Ruhe. Der Lärm lenkt sie ab, er ist zu laut. Sabine kann sich nicht verabschieden, nicht abdrücken, und da explodiert etwas in ihrem Kopf.
Was fühlt Sabine nach dem ersten Schuss? Sie wirkt nicht erschrocken über ihre Tat.
Der erste Schuss passiert ihr einfach. Und sofort jagt Adrenalin durch ihren Körper. Mit einem Mal ist ihr Kopf weit und leer. Ihr Körper ist federleicht. Sie spürt jedes einzelne Haar an jedem einzelnen Körperteil. Sie hört ihren Puls in den Ohren wummern. Um sie herum ist alles unscharf und friedlich. Und dann kommt die Stille. Endlich Stille.
Wann beschließt sie, weitere Morde zu begehen? Was ist ihr Motiv?
Sie ist augenblicklich abhängig von diesem Gefühl. Von der Freiheit in ihrem Kopf und dem Adrenalin. Sie ist wie im Rausch, und es passiert ihr. Sie rechnet irgendwie damit, jeden Moment gefasst zu werden, und wird eines Besseren belehrt. Sie macht einfach weiter, bis der Rausch nicht mehr die Intensität hat. Bis auch dieses Gefühl ihr nicht mehr Frieden verschaffen kann.
Wonach wählt sie ihre Opfer aus? Folgt sie einem Plan?
Sie wählt die Menschen aus, die es in ihren Augen verdient haben. Aber so wie beim ersten Schuss wird sie sich nie mehr fühlen. Es wird in der kurzen Zeit schon fast zur Gewohnheit, und die Hemmungen fallen immer mehr; sie wird immer unberechenbarer.
Sabine gelingt es zunächst leicht, durch die Maschen der Ermittler zu schlüpfen; sie entspricht nicht den gängigen Täter-Kriterien. Wie nimmt sie diese Situation wahr?
Sie ist nicht berechnend in dem Sinne. Als sie von dem Kommissar in ihrer Wohnung befragt wird, ist sie am Ende selbst überrascht, dass sie damit durchgekommen ist.
Was hat Sie an dieser Figur am meisten berührt?
Am meisten hat mich die Frage berührt, wie eine Mutter an einen so fragilen Punkt der Ausweglosigkeit kommen kann, dass selbst ihr Kind und ihr Mutterdasein ihr nicht mehr ausreichenden Lebenswillen und -mut schenken können und ihr ein Suizid als die hoffnungsvollste Lösung erscheint.
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