Gespräch mit Thomas Stiller
(Buch und Regie)
Sie legen mit "Liebeswahn" einen Thriller vor, der von einem ungewöhnlichen, brutalen Verbrechen erzählt. Wie kamen Sie auf die Idee zu dieser Geschichte?
Ich habe vor Jahren mal eine Headline in einer Zeitung gelesen: "Mann mit Gartenschere Zunge abgeschnitten." So oder zumindest so ähnlich stand es da. So etwas bleibt dann lange in meinem Hirn kleben, und irgendwann findet es Eingang in meine Filme.
Dem Film liegt also ein realer Fall zugrunde?
Nein, es war nur dieses Bild, das meine Fantasie angeregt hat. Die Vorstellung, mit einer Zange oder Gartenschere die Zunge rausgeschnitten zu kriegen, ist ja nicht so richtig schön. Welchen Hintergrund das damals hatte, weiß ich gar nicht. Filme sind für mich "bigger than life", also zum Träumen, zum Fürchten oder zu was auch immer, aber sie haben nicht die Verpflichtung, Realität abzubilden.
Manischer Liebeswahn, ein wichtiges Thema des Films, lässt in Abgründe blicken. Was interessiert Sie an dem Phänomen?
Wenn mich eine Schlagzeile wie die mit der rausgeschnittenen Zunge auf eine Idee bringt, muss ich dafür auch eine Geschichte finden, die glaubwürdig funktioniert; und in diesem Fall musste es etwas Extremes sein. Manischer Liebeswahn ist eine extreme Form einer Erkrankung. Und mich interessiert daran vor allem, dass es Menschen gibt, die sich eine Parallelwelt schaffen und darin leben, während sie andererseits ganz normal funktionieren und ihrem Beruf nachgehen. Zum Thema Liebeswahn gab es auch mal einen schönen Film mit Audrey Tatou: "Wahnsinnig verliebt", der im Grunde zweimal erzählt wurde. Einmal aus der Perspektiven der Kranken, und dann noch einmal aus der anderen Perspektive, und so wurde dann die komplett verschiedene Wahrnehmung deutlich.
Sie spielen mit Elementen des Horrorfilms: das brachiale Werkzeug, flackernde Lichter, ein lange gesichtslos bleibender Täter. Gibt es konkrete Vorbilder?
Ja, die Filme, die ich gesehen habe. Ich fand zum Beispiel den ersten Teil von "Saw" großartig. Mir ging es hier vor allem darum, gleich am Anfang klar zu machen, was es für die anderen Figuren zu befürchten gibt. Aber letztendlich sieht man ja eigentlich gar nichts. Die schlimmen Dinge finden nur im Kopf statt.
Der Taxifahrer, der das verstümmelte Opfer findet, sagt im Film sinngemäß, die Realität sei viel schlimmer als der Krimi, den er lese. Ein Hinweis darauf, warum Sie Verstörendes durchaus zumutbar finden für den Zuschauer?
Ja, absolut. Wir sind sehr sorgsam mit dem Thema Gewalt umgegangen, denn natürlich hat man als Filmemacher auch eine Verantwortung. Aber die Leute sind genreerfahren, und man kann ihnen auch genreübliche Dinge zumuten, ohne dass sie Schäden davontragen. Was ich nicht mag und was es bei mir auch nicht gibt, ist, dass Leute im On gequält werden. Das findet bei uns selbstverständlich nicht statt. Was man sieht, ist gar nicht brutal, und das ist der Punkt. Viel schlimmer finde ich die Gewalt, die vermeintlich nicht wehtut – was man ziemlich häufig im Fernsehen sieht; also wenn Leute sich prügeln oder Ähnliches und keine Konsequenzen gezeigt werden. Aber natürlich will ich in meinem Thriller eine Atmosphäre schaffen, bei der man sich als Zuschauer wohlig schüttelt.
Ihre Filme kreisen häufig um das Thema Gewalt. Was fasziniert Sie daran?
Ja, Gewalt ist eigentlich immer ein Unterthema in meinen Filmen, schon seit dem ersten. Das Thema Gewalt gehört zur Menschheit dazu, ob wir das nun mögen oder nicht. Und so furchtbar ich Gewalt im Leben finde, so faszinierend finde ich es, sich damit im Film auseinanderzusetzen. Das ist so eine sichere Art, die Füße am Abgrund baumeln zu lassen. Man kann alles durchleben, aber man weiß, am Ende passiert einem nichts. Das ist das Schöne an Filmen.
Vivian Bukow hat eine Affäre mit dem Kollegen ihres Mannes. In die Sexszene zwischen den beiden montieren Sie Bilder eines Asthmaanfalls von Samuel Bukow. Das könnte man moralisierend verstehen. Ist es so gemeint?
Nein, überhaupt nicht. Vivian Bukow erwischt einfach einen blöden Zeitpunkt zum Fremdgehen. Etwas anderes soll damit nicht erzählt werden. Früher hat man solche Überblendungen öfter eingesetzt, aber das ist völlig aus der Mode gekommen. Mein Film ist überhaupt nicht moralisierend; man könnte höchstens sagen, ich spiele mit den Klischees, die die Leute im Kopf haben. Und es ging mir mit dieser Erzählweise natürlich auch darum, eine Fallhöhe für die Figur zu schaffen – damit sie in einen inneren Konflikt gerät. Vivian Bukow hat natürlich hinterher große Schuldgefühle. Aber sie macht sich dieses Gewissen letztendlich selber. Sie hat einfach den falschen Moment erwischt und kann ihre Affäre deswegen nicht genießen. Ich verurteile sie nicht. Im Gegenteil: Ich finde es absolut nachvollziehbar, dass sie sich Thiesler zuwendet – Bukow haben wir in den Folgen davor nicht als den idealen Ehemann kennengelernt.
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