Gespräch mit Almila Bagriacik

„Das Privileg, als junger Mensch gehört zu werden, war großer Bestandteil meiner Entwicklung in meinem Elternhaus“

Almila Bagriacik ist Kommissarin Mila Sahin.
Almila Bagriacik ist Kommissarin Mila Sahin. | Bild: NDR / Thorsten Jander

Mila Sahin ist eher eine Pragmatikerin. Sie will Computer benutzen und nicht verstehen, wie sie funktionieren. Einsen und Nullen, was kann daran schon so schwer sein. Vielleicht lässt sie gegenüber der IT-Spezialistin Paula etwas zu sehr die Chefin raushängen, aber immerhin spendiert sie für die geforderte Nachtschicht auch etwas zu essen. Es nervt sie, wenn sich die ach so coolen Digitalnerds mit ihrem Wissen überlegen fühlen. Gleichzeitig macht sie ein bisschen das Gleiche, wenn sie Borowski über das Onlineportal Flow aufklärt. Bei Borowski hat sie auch gern mal die Oberhand.
Es ist ein seltsamer Fall, der zwischen der greifbar physischen und der digitalen Welt hin- und herspringt. Menschen sterben im Meer, das hochvernetzte Aktivist*innen vor der Erwärmung schützen wollen. Mila Sahin spürt eine starke Sympathie für die jungen Menschen, die sich mit so großer Leidenschaft dieser Aufgabe verschreiben. Es ist dann nicht leicht, sich auf deren Seite zu fühlen, aber als Gegnerin angesehen zu werden. „Gehen wir zu weit?“ fragt sie einmal Borowski. Der kann sie mit seiner Sicherheit nicht überzeugen. Was ist, wenn sie alles nur noch schlimmer machen?

Der „Tatort: Borowski und das ewige Meer“ erzählt von einem Fall, in dem ein Generationenkonflikt verhandelt wird. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen den Boomern und den Millenials bzw. der Gen Z?
Ich persönlich denke, es ist immer wichtig, den jüngeren Generationen zuzuhören. Ich bin der festen Überzeugung, dass in ihnen eine Weisheit steckt, die festgefahrene Strukturen hinterfragen kann und dabei hilft, dass wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln. Das Privileg, als junger Mensch gehört zu werden, war großer Bestandteil meiner Entwicklung in meinem Elternhaus. Als frisch gebackene Mama werde ich diese Herangehensweise auch an meinen Sohn weitergeben - und ich habe das Glück, einen Partner zu haben, dem das genauso wichtig ist.

Kommissar Borowski reagiert mit Empathie auf die jungen Klima-Aktivstin Leonie, er unterschätzt sie aber auch und empfiehlt ihr, die Probleme ihrer Generation mit mehr Gelassenheit zu sehen bzw. zu verdrängen. Verhält er sich da wie ein typischer alter weißer Mann?
Ich denke nicht gerne in diesen Schubladen. Für mich entspricht Borowski mit keiner Faser seines Seins dem Klischee des alten weißen Mannes. In dieser Hinsicht gleichen sich Borowski und Axel sehr, denn auch er strahlt eine unaufhaltsame Neugier und manchmal sogar eine kindliche Leichtigkeit aus. Sowohl in unserem Film „Borowski und das ewige Meer“ als auch in den Filmen der Vergangenheit ist deutlich zu erkennen, dass Borowski immer wieder bereit ist, von anderen zu lernen und selbst von Tätern neue Erkenntnisse zu gewinnen. Diese Offenheit macht für mich gute Polizeiarbeit aus. Ich schätze jeden, dem es gelingt, sein Ego wegzupacken und der Sache zu dienen, sei es, um einen Fall zu lösen oder um einen Film zu drehen.

Mila Sahin findet keinen Draht zu der Verdächtigen Leonie Mewes. Später schlägt sie vor, eine Demonstration auflösen zu lassen, um in ihren Ermittlungen voranzukommen. War es das mit „Die Polizei, dein Freund und Helfer“?
In unserem Film ist Sahins Enttäuschung über das Bild, das Leonie von der Polizei hat, deutlich zu erkennen. Gleichzeitig lässt sich Sahin von Leonie inspirieren und nutzt ihre Haltung der Polizei gegenüber, um Schlimmeres zu verhindern und die Demo, die zu einem Massensuizid führen könnte, aufzulösen. Dennoch stellt sie sich die Frage, ob sie diese Form der Polizeiarbeit vertreten kann.

Die neue Forensikerin Paula verzichtet auf ein Date – wegen des Falls, für Mila oder aus einer Mischung von beidem? Wie eng ist das Verhältnis zwischen Paula und Mila?
Ich denke, dass es für die Zukunft wichtig war, auf Sahins Einladung zur Selbstlosigkeit positiv zu reagieren. Das setzte meiner Meinung nach das Fundament für eine starke und wohlwollende Zusammenarbeit mit Paula, in der man sich aufeinander verlassen kann.

Wie eng kann das Verhältnis in Zukunft werden?
Ich kann mir vorstellen, dass daraus eine gute Freundschaft entsteht, so dass sie in Momenten, in denen Sahin über die Stränge schlägt, eine ausgleichende Kraft darstellt. Paula ist ein guter Gegenpol zu Sahin und wird sie in der Zukunft mit Sicherheit bereichern.

In diesem „Tatort“ ist die wohl durchdigitalisierteste Polizeidienststelle Deutschlands zu sehen. Wie sehen Sie die Digitalisierung?
Ich muss zugeben, dass ich den Absprung erst 2022 geschafft hatte, als ich anfing, parallel zum „Tatort“ die Serie „Die Kaiserin“ für Netflix zu drehen. In dieser Zeit hatte ich acht Drehbücher gleichzeitig zu lesen und zu bearbeiten, das wäre unterwegs nicht machbar gewesen. Seitdem arbeite ich auf dem iPad, was einen enormen Unterschied macht, vor allem, weil ich sehr gerne in die Drehbücher schreibe und Vorschläge mache, die man bei neuen Fassungen der Drehbücher einfach übernehmen kann, ohne dass zu viel Papier verschwendet wird. Romane und andere Bücher lese ich allerdings ausschließlich auf Papier. Der Geruch von Büchern berührt meine nostalgische Seite.
Ansonsten bin ich schon auch ein kleiner Technikfreak, was an meiner Mutter liegt, die Informatik studiert hat. Ich habe eine Affinität für Schnitt und habe zu Beginn meiner Karriere auch als Editorin gearbeitet.

Dieser Fall ist ein sehr weiblich aufgestellter „Tatort“. Welche Unterschiede gibt es zu der Arbeit und dem Austausch über den Stoff zu anderen, männerdominierten Produktionen?
Ich komme mit beiden Szenarien sehr gut klar. Bei der Arbeit an „4Blocks“ wurde sehr respektvoll mit mir umgegangen. Ich denke, dass es immer auf die Geschichte ankommt und die Perspektive, aus der sie erzählt wird. Ich finde es wichtig, dass alle Charaktere in einem Film eine Daseinsberechtigung und eine Motivation haben. Authentizität steht für mich im Vordergrund. Dementsprechend glaube ich, dass es nicht damit getan ist, mehr Frauen in Filmen zu besetzen, sondern dass man an der Erzählperspektive ansetzen sollte. Unsere aktuelle „Tatort“-Regisseurin Katharina Bischof war zu den Dreharbeiten schwanger, was eine sehr inspirierende Erfahrung für mich war. Ich habe sie mit Bewunderung bei der Arbeit beobachtet und sehr viel von ihrer Ruhe und ihrer intelligenten Regieführung gelernt. Ich empfinde die weibliche Perspektive als wunderbares Geschenk, deshalb glaube ich ganz fest daran, dass es uns allen guttut, sie mehr stattfinden zu lassen und eine Symbiose von vielen unterschiedlichen Perspektiven zu schaffen.

Die Jugendlichen in dem Film suchen einen Weg aus einer existentiellen Krise, die jeden Menschen schmerzlich betrifft, aber scheinbar nicht wirklich ernst genommen wird. Wie radikal darf man sein, um nichts Geringeres als den Exitus der Menschheit abzuwenden?
Ich glaube, es gibt einen großen Unterschied zwischen radikalem Handeln und Haltung zeigen. Manche Menschen sind überzeugt davon, dass bestimmte Krisen Maßnahmen erfordern, die radikal sind. Andererseits können radikale Aktionen vom wesentlichen Punkt ablenken und ihn zu einem Hintergrundgeräusch im öffentlichen Diskurs machen. Ich denke, dass die Klimakrise sehr ernst genommen werden muss und jeder Einzelne von uns eine Verantwortung und einen Beitrag zu leisten hat. Aber damit ist es nicht getan. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir uns diesem Thema in der Filmbranche künstlerisch nähern und unsere Plattform nutzen, um Aufmerksamkeit dafür zu generieren - wodurch es hoffentlich auch politisch relevanter wird.

Nicht nur die Klimakrise ist eine Herausforderung, auch der Umgang mit Social Media. Welche positiven Seiten können Sie dem Ganzen abgewinnen?
Ich nutze die Sozialen Medien für mich, sei es, um mich mit anderen Müttern auszutauschen oder mich mit meinen Followern zu verbinden. Jedoch glaube ich, dass sich die Gesetzeslage bei den Themengebieten Social Media, Urheberrecht oder Datenschutz, definitiv noch weiterentwickeln muss, um die User und Creator zu schützen. Vor allem auch die jüngere Generation, die mit dem Internet aufwächst und die Gefahren, die sich darin verbergen, nicht immer deutlich erkennt.

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