Gespräch mit den Autor*innen Katharina Adler und Rudi Gaul sowie der Regisseurin Katharina Bischof

Der Film umfasst drei Themen. Wie kam die Geschichte zustande?

Katharina Adler: Die Idee war, einen „Tatort“ zu schreiben, der einen Mord ohne Mörder erzählt. Der Auslöser des Falls sollte ein höherer Wert sein. Als Rudi Gaul und ich dann überlegt haben, was dieser höhere Wert sein könnte, sind wir schnell auf die Klimakatastrophe gekommen.

Rudi Gaul: Wir wollten einen absolut übermächtigen Gegner für das Ermittler-Team Borowski und Sahin – auch weil es einer der letzten „Tatorte“ mit Klaus Borowski ist. Insofern hat der „Tatort“ vielleicht doch nur ein Thema. Die Frage, die wir uns gestellt haben, lautet: Wie können wir die ermittelnden Kommissare in ein moralisches und ermittlungstechnisches Dilemma stürzen, indem sie sich einem Gegner gegenübersehen, der im juristischen und polizeilichen Sinne weder haft- noch fassbar gemacht werden kann? Die damit einhergehende Ohnmacht ist eine Erfahrung unserer Zeit. Gerade junge Menschen erleben ihre Gegner im politischen Sinne – also die Klimakatastrophe, die multiplen Krisen dieser Welt, die technologischen Revolutionen bzw. Evolutionen – als so übermächtig, dass die einzelne Person ohnmächtig ist. Die einfachen Antagonismen – hier Gut, dort Böse, die es früher mal gab und in Krimis üblich sind, gibt es nicht mehr.

Wie hat sich die Geschichte zuerst im Autoren-Team, dann später im Zusammenspiel mit der Regie entwickelt?

Rudi Gaul: Katharina und ich arbeiten sehr gleichberechtigt. Wir sprechen über die Geschichte, ihre Entwicklung, es kommen Ideen auf, Gedanken, diese entwickeln wir gemeinsam weiter – oder auch nicht und am Ende ist überhaupt nicht mehr klar, wer was wie eingebracht hat. Es geht nur darum, den Faden fortzuspinnen. Ab einem gewissen Entwicklungsstadium kam dann Katharina Bischof als Regisseurin hinzu, damit wir Umsetzungsfragen einzelner Szenen abstimmen konnten, bevor wir sie fertig schrieben.

Katharina Bischof: Extrem wichtig für das Ergebnis war die intensive Zusammenarbeit aller Gewerke. Die Autoren und ich standen in ständigem Austausch – vom Buch bis zum fertigen Schnitt. Die Gedanken von Kameramann Robert von Münchhofen und Editor Florian Duffe flossen genauso in die Drehfassung ein wie die der Schauspieler*innen. Sie bewegt das Thema und sie wussten es sehr zu schätzen, dass endlich mal junge Figuren und deren Belange ernst genommen werden. Alle wollten eine maximal gute Geschichte erzählen. Das hat der Entstehung des Films immens geholfen.

Die Stimmungsbilder im und am Meer, in der Landschaft sind überlegte Inszenierungen, teilweise richtige Gemälde. Wie war da die Verabredung mit dem Kameramann Robert von Münchhofen?

Katharina Bischof: Kurz vor Drehbeginn war eine Sturmflut in Kiel und Hamburg. Dabei wurde viel zerstört. Der Kameramann hat sich auf den Weg gemacht, um viele eindrucksvolle Naturimpressionen zu sammeln. Die Klimakrise ist zwar die existentielle Katastrophe unserer Zeit, aber andere Krisen legen sich permanent darüber. Daher hatten wir Sorge, dass die Zuschauer sie am Ende wieder aus dem Blick verlieren, da der Krimi nun zu Ende und aufgelöst ist. Deswegen war es uns extrem wichtig, die Natur auf eine poetische Weise in die Geschichte zu holen, so dass man sich über die einprägsamen Bilder immer wieder an sie erinnert. Wir haben viele Impressionen gesammelt und sie in einem bestimmten Duktus in den Film integriert. Diese Naturbilder sind die stumme Klammer des Filmes. Die Natur sollte auch ein Protagonist sein – so hat sie ihren Weg in die Erzählung gefunden.

Man kann auf dem Deutschen Klimaportal sehen, wie der Meeresspiegel wo in welchem Zeitraum steigen wird. In der Kieler Bucht und außerhalb werden in den nächsten Jahren ganze Teile verschwinden.

Katharina Bischof: Das passiert jetzt schon. Kurz vor Drehbeginn wurde ein Motiv weggeschwemmt und wir mussten ein neues an einem anderen Strand suchen. Es handelte sich um eine Treppe, die von einem Steilufer zum Strand hinunterführte. Man konnte sie auch nicht wieder aufbauen. Das war dann gar nicht mehr die nahe Zukunft. Das war sehr konkret im Hier und Jetzt.

Katharina Adler: Die Natur steht im Kontrast zu einer hochtechnisierten Welt, die in dem Film ebenfalls vorkommt, etwa in Form des Hauses der Großmutter. Diese beiden Kontraste zusammenzubringen ist inszenatorisch und auf bildgestalterischer Ebene sehr gut gelungen. Mit wenigen Mitteln wird gezeigt, wie technisiert wir eigentlich sind. Im Kontrast zu diesen mächtigen Naturbildern entwickeln die Technikdarstellungen eine ganz eigene Dynamik und Kraft.

Digitalisierung ist oft Thema bei Borowski. In dieser Inszenierung ist sie so konsequent, dass es kein einziges Stück Papier mehr gibt.

Katharina Bischof: Genau. Wir wollten bis hin zu Borowskis Notizzetteln alles vermeiden, um einen Punkt zu machen. Andererseits wollten wir die Technologisierung nicht so ausstellen, weil die Natur die mächtigere Instanz sein sollte.

Rudi Gaul: Der Inszenierung ist es gelungen, eine Frage aufzugreifen und fortzuführen, die uns auch beim Schreiben sehr beschäftigt hat. Mit der Natur und der Technologie - bei uns in Form der Digitalisierung - gibt es zwei Mächte, von denen der Mensch immer davon ausgeht oder zumindest lange Zeit davon ausgegangen ist, dass er diese beiden Mächte im Griff hat. Bei uns kehrt sich das um. Es stellt sich heraus, dass die Natur, dass uns die Technologie fest in ihrem Griff haben. In dieser Hinsicht ist der Film ein Near-Future-Thriller.

Wir sind mittendrin in der Klimakatastrophe. Haben Sie den Eindruck, dass der Bevölkerung wirklich klar ist, dass unsere Lebensgrundlage in den nächsten 30, 40 Jahren womöglich verschwunden ist?

Rudi Gaul: Ich glaube, wir verdrängen gut. Wahrscheinlich können wir überhaupt nur weiterleben, indem wir bestimmte Szenarien, über die wir uns eigentlich Gedanken machen müssten, ausblenden.
Das Tragische in unserem Film, oder das Dramatische, ist ja, dass hier eine Generation im Mittelpunkt steht, die nicht mehr verdrängt. Und weil sie nicht mehr verdrängt, kommt sie zum radikalsten Entschluss, den man überhaupt fassen kann. Hier wird es philosophisch. Albert Camus sagt, dass man der Sinnlosigkeit des Daseins gewahr werde, sobald man nicht mehr verdrängt. Was folgt aus dieser Erkenntnis? Was wäre die letzte Konsequenz, der letzte Akt, zu dem ich dann bereit wäre? Das ist die Frage, die wir verdrängen wollen, weil die Antwort darauf vielleicht zu schrecklich ist.

Katharina Bischof: Dass einem Millionenpublikum am Sonntagabend um 20.15 Uhr der Spiegel vorgehalten und dem Verdrängen etwas entgegengesetzt wird, hat unsere jungen Schauspieler*innen an dem Stoff begeistert. Sie fühlten sich dadurch ernst genommen. Ihr Thema wird sensibel aus ihrer Perspektive vorverhandelt. Die Zuschauer*innen begleiten Borowski, mit dem sich ein großer Anteil der Zuschauerschaft auch altersmäßig identifiziert, und erfährt so die Perspektive der jungen Generation.

Katharina Adler: Da wird ein Satz, den Zenaida sagt, sehr wichtig: Sie wirft Borowski vor, seine Generation tue nichts gegen die Klimakrise. Seine Generation habe genau gewusst, was los sei, aber sie zöge keine Konsequenz daraus, auch weil sie nicht so mutig sei wie die jüngere Generation. Ich bin überzeugt, dass dies ein nur allzu wahrer Satz ist. Wir müssen uns schon bewusst sein, dass wir Älteren den Generationen angehören, die wissen, was los ist und trotzdem unbeeindruckt im Verdrängungsmodus laufen. Insofern bin ich gespannt, ob dieser Film etwas in Gang setzt. Kommt da was an oder kommt es eher zu einer Art Abwehrhaltung?

Als Borowski zu der Trauerfeier am Strand geht, ist er davon getrieben, die Menschen dort vor sich selbst zu retten. Brauchen wir eigentlich jemanden wie Borowski, der uns vor uns selber rettet?

Rudi Gaul: Wir brauchen die Fiktion, wir brauchen die Kunst, wir brauchen solche Figuren wie Borowski, die uns über all diese Zweifel und Dilemmata ein Stückchen Hoffnung geben, dass eine Rettung möglich ist. Aber: Es liegt ja auch an uns. Wir haben die Möglichkeit, durch unser Handeln Dinge zu verändern und Dinge zu bewegen.
Katharina Bischof: Junge Leute brauchen ältere Menschen, die ihnen zuhören. Ein offenes Ohr haben und sie ernst nehmen, so wie Leonie und Borowski einander begegnen. Ich denke, darin liegt die Hoffnung.

Wie radikal darf man in seinem Protest sein?

Katharina Adler: Die Letzte Generation ist das rote Tuch für die Bevölkerung. Dabei arbeiten die sehr strategisch. Sie schauen sich genau an, welche Proteste in den vergangenen Jahrzehnten wie gewirkt haben und greifen dabei auf wissenschaftliche Daten zurück. Wie effektiv sie waren, ist trotzdem streitbar. Die Frage ist jetzt vielmehr, was muss an Protest geschehen, damit sich etwas signifikant bewegt?

Dieser „Tatort“ ist gleichzeitig sehr weiblich und sehr intensiv. Woran liegt es, dass von Frauen erzählte Krimis so stark ausfallen?

Rudi Gaul: In der kreativen Zusammenarbeit nehme ich Frauen als sehr viel uneitler wahr als Männer. Das wirkt sich inhaltlich aus. Die Klimabewegung wird stark von jungen Frauen geprägt. Greta Thunberg und Luisa Neubauer etwa. Aber auch auf Influencerseite. Insofern ist unsere Besetzung zwangsläufig.

Katharina Adler: Daher ist es auch kein Zufall, dass wir Sophia eine sehr starke Großmutter gegeben haben.

Katharina Bischof: Es ist nicht nur das Weibliche, es ist auch die Dringlichkeit des Themas. Das spürten wir alle bereits bei unserer Lesung: Es ging nur um den Stoff und nicht ums Ego.

Da dürfen wir Paula nicht vergessen.

Katharina Bischof: Wir hatten die schöne Möglichkeit, eine neue Figur – Paula Rinkh – in der Datenforensik des Kieler Ensembles zu etablieren. Da spielte die Überlegung eine Rolle, wen man Mila Sahin zur Seite stellen könnte. Wir wollten nicht den Stereotyp „Programmier-Nerd“ erzählen, sondern eine moderne, kompetente junge Frau, die sagt, was sie denkt. Thea Ehre für diese Figur gewinnen zu können war toll.

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