Gespräch mit Georg Lippert und Marvin Kren (Buch)
"Wir wollten erzählen, wohin Fanatismus führen kann"
"Böser Boden" ist ein Umweltthriller, der Anleihen an den Zombiefilm macht. Wie haben Sie die Drehbucharbeit aufgeteilt? Hat einer den Krimipart geschrieben, der andere die Horrorszenen?
Marvin Kren: Es gab einen Vorschlag des NDR, das Thema Fracking mit Horror zu kombinieren. Da der Redaktion meine Horrorfilme "Rammbock" und "Blutgletscher" gefallen haben, bat man mich, ein Treatment zu schreiben. Ich glaube, es kam ganz gut an, aber ich merkte beim Schreiben, dass ich Unterstützung brauchte. Georg hatte gerade das Drehbuch zum Kurzfilm "Sadakat" abgeschlossen, der später den Studenten-Oscar gewann. Ich kannte ihn schon von der Hamburg Media School. Er las das Treatment und sagte: Nicht gut! Ich dachte, das ist ja mal ein guter Anfang.
Was hat Ihnen denn nicht gefallen, Herr Lippert?
Georg Lippert: Mit unserer Geschichte unternehmen wir eine Gratwanderung: Wir spielen mit dem Genre und den Realitäten. Wenn ich mir ein solches ungewöhnliches Buch zu eigen mache, dann gehe ich mit aller Schonungslosigkeit vor. Falls mein Gegenüber ein paar ehrliche Antworten verträgt, stehen die Zeichen gut, dass wir miteinander arbeiten können. So kam es dann auch. Beim Schreiben haben wir uns immer sagen können, welche Ideen des anderen wir nicht so auf den Punkt fanden. Da ist keiner von uns beleidigt gewesen.
Marvin Kren: Am Anfang hat er völlig irrwitzige Vorschläge gemacht, wie man die Geschichte verändern müsste. Die waren so absurd, da habe ich gedacht: Georg ist der genau richtige Mann für diese Aufgabe. Der redet mir nicht nach dem Mund. Er ist dann die treibende Kraft gewesen, das Buch innerhalb einer kurzen, intensiven Zeit fertigzustellen.
Fracking und Zombies – wie geht das zusammen?
Georg Lippert: Seit Februar 2017 gibt es strenge Auflagen für Fracking in Deutschland. Aber auch bei der konventionellen Gasförderung besteht der Verdacht, dass Giftstoffe aus den Bohrstellen in die Umwelt gelangen. In diesem Konflikt gehen die Wahrnehmungen und Meinungen extrem weit auseinander. Im niedersächsischen Rotenburg schlagen die Ärzte Alarm, weil sich Krebserkrankungen häufen. Bürgerinitiativen vor Ort machen die Entsorgung der Lagerstättengewässer dafür verantwortlich. Sie malen düstere Szenarien über die Zerstörung ihrer Lebenswelt. Gleichzeitig zeichnen Industrie und Politik ein ganz anderes Bild der Lage. Aus ihrer Perspektive ist alles vollkommen risikofrei. Rechtlich ist der Konzern so gut wie unangreifbar, weil ihn eine Armada von Anwälten schützt. In diesem Spannungsfeld entstehen starke Emotionen wie Angst und Zorn. Das ist ein guter Nährboden für unsere Kombination von Krimi und Horrorgenre.
Marvin Kren: Wir spitzen die Geschichte in dem Sinne zu, dass Geist und Seele der Menschen Schaden genommen haben. Der Hass auf den Konzern hat sie emotional vergiftet. Diese Doppelbödigkeit herzustellen, war für uns die große Herausforderung.
Georg Lippert: Letztlich sind im Film mehrere Lesarten möglich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Vergiftungen der Dorfbewohner auf einen Nocebo-Effekt zurückzuführen sind, auf eine krankmachende Angst vor Gefahren. In der Historie von Epidemien gibt es erstaunliche Phänomene, die eingebildet waren und mit dem Glauben der Menschen zusammenhängen. Auf der anderen Seite muss man in Betracht ziehen, dass die Vergiftungen echt sein könnten. In dieser Frage sind sich auch die Kommissare nicht immer einig.
Kommissarin Grosz kann sehen, wie sich die Menschen verändern, ihrem Kollegen Falke fehlt diese Gabe.
Georg Lippert: Einem alten Mythos zufolge hat das Grauen nur Macht über die Menschen, die es sehen. Die naiven Figuren sind davor geschützt. Weil sie das Grauen nicht erkennen, existiert es für sie nicht. Falke ist zwar alles andere als blauäugig, aber er hat eine sehr geerdete und zupackende Art, die ihn pragmatisch an das Ganze herangehen lässt.
Marvin Kren: Grosz ist dagegen eine empathische Figur. Sie nimmt die Welt über andere Sinne wahr. Das hängt mit der Backstory der Figur zusammen. Die Kommissarin hat selber nervliche Probleme, deshalb ist sie empfänglicher für die Hysterie der Dorfbewohner und ihre Verwandlungen.
Wurden Sie von der Redaktion höflich daran erinnert, die Altersfreigabe von zwölf Jahren einzuhalten?
Marvin Kren: Das ist nicht nötig gewesen. Uns war immer bewusst, dass wir ein Crossover zwischen einem 20.15 Uhr-Film und den Elementen eines Zombiefilms schaffen müssen, die uns gefallen. Was ich persönlich an Zombies liebe, ist die pure Triebsteuerung. Das Es übernimmt das Ich. In unserem Fall ist es die Angst der Menschen vor der Vergiftung, ihre Angst vor dem Tod, die sie in unkontrollierbare und abgestumpfte Lebewesen verwandelt. Mich faszinieren diese unheimlichen Momente mehr als die genreüblichen Gore-Effekte, wenn das Blut spritzt und Menschen Menschen fressen.
Falke lästert über "Öko-Nazis", die "den ganzen Tag nur Hirse fressen". Sind Ihnen Natur- und Umweltaktivisten suspekt?
Georg Lippert: Solche Momente der komödiantischen Erleichterung sind wichtig, um die Schwere und das Pathos der Geschichte zu brechen. Falke ist als charmanter Straßenbulle eingeführt, der immer einen lockeren Spruch drauf hat. Warum sollte er sich plötzlich zurückhalten?
Marvin Kren: Falke nimmt die ökologischen Extremisten aufs Korn. Diese Gruppe der rechten Grünen hat nach unseren Recherchen großen Zulauf. Wir wollten im "Tatort" erzählen, wohin ihr Fanatismus führen kann.
Im Film ist mehrfach das Gemälde eines Walfängers auf der Jagd zu sehen. Es hängt in einem Büro des Gaskonzerns. Worauf spielen Sie damit an?
Georg Lippert: In der Geschichte der Energiegewinnung ging es schon immer darum, der Natur mit Gewalt etwas abzuringen. Walfang wurde ursprünglich betrieben, weil der Tran als flüssiger Brennstoff für Lampen benutzt wurde. Die Sauberkeit der Jagd ist eine Illusion. Zum anderen erzählt das Bild von der Havarie des Walfängers Essex. Die Menschen standen vor der Wahl, in ihrem Rettungsboot eine Kannibalen-Insel anzusteuern, oder die Reise über das weite Meer anzutreten. Aus Angst vor den Kannibalen entschieden sie sich für den langen Weg. Monate später entdeckte man ihre Leichen auf hoher See. Sie waren aus Hunger übereinander hergefallen. Sie waren selber zu Kannibalen geworden.
Herr Lippert, Sie entwickeln Serienkonzepte, unter anderem für den NDR. Herr Kren, Sie haben für den Pay- TV-Sender TNT die Serie "4 Blocks" gedreht. Was macht das Serienerzählen heute so reizvoll?
Georg Lippert: Man kann weite Bögen entwickeln. Vom Schreiben her kommt es wahrscheinlich dem Roman näher.
Marvin Kren: Für diesen Schub haben auch neue Mitspieler wie TNT, Netflix oder Amazon gesorgt, die viel Geld in Serien investieren und jungen Leute die Chance geben, sich kreativ auszutoben. Ich sehe darin eine irrsinnige Chance für das deutsche Fernsehen insgesamt, auf seine Produkte international aufmerksam zu machen. Zugleich braucht es einen langen Atem, um feste Strukturen aufzubauen, damit dieser Wettbewerb auch in Zukunft Früchte trägt.
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