Interview mit Axel Ranisch
Regisseur
Der "Tatort – Babbeldasch" ist kein Lena-Odenthal-Tatort von Axel Ranisch, sondern ein Axel-Ranisch-Tatort mit Lena Odenthal, hat Ulrike Folkerts mal gesagt. Was macht denn einen Axel-Ranisch-Film aus? Auf welche Wirkung kommt es Ihnen an?
Also den Axel-Ranisch-Film gibt es ja gar nicht, auch wenn mich dieses Zitat natürlich bauchpinselt. Film ist immer eine Teamleistung, besonders, wenn man so frei arbeitet wie ich. Aber es gibt ein paar Ansprüche, die ich an unsere Filme stelle: Sie müssen ehrlich, herzlich und charmant sein. Ich bin ein positiver Mensch und wenn ich Geschichten erzähle, dann geht das nicht ohne Humor und Augenzwinkern, auch im großen Drama. Und im Zentrum eines Tatorts steht immer das große Drama, schließlich geht es um Leben und Tod. Rein formal hat diese "Handschrift" natürlich viel mit unserer Arbeitsweise zu tun. Ich arbeite gerne mit dem Mittel der Improvisation. Die Schauspieler sollen keine Dialoge auswendig lernen, sie sollen vielmehr reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, einander zuhören und authentisch reagieren. Sie sollen uns in jeder Szene überraschen dürfen. Dafür versuche ich den Boden zu bereiten. Wir drehen chronologisch, lassen die Proben weg, erklären den ersten Take zum Heiligtum, arbeiten mit 360° beleuchteten Sets, drehen von der Hand und geben den Schauspielern alle Freiheiten, die sie brauchen.
Außerdem steht immer die Figur im Vordergrund. Ich pfl ege so was wie eine platonische Liebesbeziehung zu den Figuren in unseren Filmen. Ihr Handeln muss glaubhaft und ehrlich sein. Ich würde sie nie absichtlich für einen Witz oder einen Eff ekt verraten. Dabei müssen mir die Schauspieler aber helfen. Sie haben eine große Eigenverantwortung für ihre Figuren, denn sie kennen ihre Figur naturgemäß besser als ich. Deshalb vertraue ich ihnen bedingungslos.
Und wie kam es dazu, dass Sie einen Tatort gemacht haben? Mit Leuten, die nicht zu Ihrer angestammten Filmfamilie gehören?
Vor drei Jahren gewann mein Debütfilm "Ich fühl mich Disco" in Baden-Baden den MFG-Star und off ensichtlich saß, vollkommen verzaubert, die Redaktions-Riege des SWR im Publikum. Kurze Zeit später wurde ich zu einer Redaktionssitzung eingeladen und habe in ausgelassener Runde bei Spätzle und Schweinebraten erzählt, wie ich mit meiner Filmfamilie in Berlin drehe, schneide, schreibe, improvisiere und solche Sachen wie "Ich fühl mich Disco" zustande kommen. Am Ende dieses geselligen Nachmittages sprach dann die Fernsehspiel-Chefin Martina Zöllner die Einladung aus, einen Film nach diesen Spielregeln auch mal für den SWR zu inszenieren. Sprachlos und frohlockend flog ich mit meinen Eltern über die Autobahn nach Berlin zurück. Dass es allerdings gleich ein Tatort werden würde, stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest. Einige Monate später, luden mich Martina Zöllner und der Leiter der Tatort-Redaktion Uli Herrmann zu einer unverfänglichen Inspirationstour durch Mannheim und Ludwigshafen ein. Schließlich hatte Martina für den Abschluss des Tages Karten für die Ludwigshafener Mundartbühne "Hemshofschachtel" besorgt, und so fand ich mich plötzlich inmitten eines ganzen Haufens charmanter, witziger, schwer pfälzisch babbelnder Originale wieder, die im Sturm mein Herz erobert haben. Noch am gleichen Abend in der Hotellobby stand das Grundkonzept unseres Tatorts.
Als die Gespräche mit der Leitung des Theaters Hemshofschachtel in Ludwigshafen aufgenommen wurden, hatten alle Theatermitglieder Lust mitzumachen. Dadurch hatten Sie ein sehr großes Ensemble. Das war sicher nicht ganz einfach für die Geschichte, gleichzeitig passt es doch auch wieder sehr gut zu dieser Art zu arbeiten mit ihrem starken Ensemblecharakter und der Freiheit für alle Beteiligten, oder?
Ich finde es tatsächlich die größte Leistung unseres Films, dass wir es geschafft haben, erstens jedem einzelnen Ensemblemitglied eine Rolle auf den Leib zu schreiben, zweitens alle auch wirklich im Film vorkommen zu lassen und drittens dabei noch eine schlüssige Geschichte zu erzählen, die berührt und auch den Krimizuschauer nicht unterfordert. Das ging nur in ganz enger Zusammenarbeit mit allen Schauspielern, Ensemblemitgliedern und meinen beiden großartigen Kollegen, Improvisations-Trainer Peter Trabner und Drehbuchautor Sönke Andresen. Zu dritt haben wir über ein Jahr lang – in enger Abstimmung mit Redakteurin Katharina Dufner und Produzent Nils Reinhardt – in Workshops in Ludwigshafen und Berlin Figuren entworfen, Improvisationsübungen gemacht, Vertrauen aufgebaut und eine Geschichte kreiert, die versucht hat, jedem einzelnen Darsteller gerecht zu werden.
Man darf nicht vergessen, dass in diesem Film fast alle Darsteller Amateurschauspieler sind und ihr Filmdebüt feiern. Ich halte das für eine mittelschwere Sensation, vor allem wenn man sieht, wie phänomenal sie alle spielen. Kein Mensch wird uns glauben, dass diese großartigen Menschen keine ausgebildeten Schauspieler sind, sondern Chemielaboranten, Metzger und Krankenschwestern. Und wahrscheinlich haben Sie Recht, vielleicht konnte man ein solches Experiment auch nur in dieser Arbeitsweise wagen.
Wie wichtig ist es bei dieser Art zu arbeiten, loslassen zu können? Für Sie als Spielleiter, aber auch für die anderen Gewerke einschließlich der Schauspieler? Die Kostümbildnerin z. B. hatte ja nicht wie üblich die Kostüme unter ihrer ständigen Aufsicht, das hat sie am Anfang sicher nervös gemacht. Ganz zu schweigen vom Kameramann, der sich ja auch nur begrenzt vorbereiten kann.
Loslassen war für alle Gewerke von größter Bedeutung. Die Ensemblemitglieder der Hemshofschachtel hatten ja noch nie vor der Kamera gestanden. Ich weiß aus meiner eigenen Schauspielerfahrung, wie einschüchternd ein großes Team, der ganze Fuhrpark von Licht-LKWs und Caravans und das eifrige Tupfen und Zupfen der Kollegen von Maske, Kostüm und Ton sein kann, ganz zu schweigen von der Marken klebenden Lichtabteilung. Alles sollte so entspannt und unaufgeregt wie möglich ablaufen und die Darsteller in keinster Weise irritieren oder im Spiel behindern. Ein perfektionistischer Anspruch der technischen Gewerke hätte uns in diesem Fall den Hals gebrochen.
Für mich bestand die größere Herausforderung darin, meine über Jahre eingespielte Filmfamilie in Berlin zu lassen und ins "fremde" SWR-Team meine Arbeitsweise hinein zu transplantieren. Eine Sorge, die sich allerdings nach dem ersten Drehtag in Luft aufgelöst hat, weil das Team eine solche Freude am unkonventionellen Dreh an den Tag gelegt hat, wie ich es mir an einem Haus des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Leben nicht vorgestellt hätte. Man hat doch so seine albernen Vorurteile.
Improvisation bedeutet ja nicht, dass alle einfach machen, was sie wollen. Wie organisieren Sie als Regisseur beim Drehen Wissen und Ideen der DarstellerInnen? Immerhin ging es in diesem Fall um einen Krimi, bei dem am 10 Schluss möglichst ein Täter gefasst werden sollte … Wird es womöglich auch mal zu authentisch, wenn die Darsteller plötzlich vor einer Leiche stehen und das Spielen vergessen?
Ja, das ist uns tatsächlich passiert. Weder unsere Kommissare, noch unsere Ensemblemitglieder wussten vor Drehbeginn, was genau im Film passieren würde oder wer der Mörder ist. Vor jeder Szene habe ich mich mit den Schauspielern zusammengesetzt und erklärt, was als nächstes passieren wird. Als ich dem Ensemble erzählte, dass ihre Theaterleiterin ums Leben kommt und wir die Szene im Anschluss spielten, gab es einen Schock. Ihre geliebte Prinzipalin, die sie ja auch im wirklichen Leben ist, tot am Boden liegen zu sehen, hat viele Ensemblemitglieder hart getroffen und die Grenzen zwischen Fiktion und Realität für einen Moment verschwimmen lassen.
Es gibt die reale Ebene im "Tatort – Babbeldasch“, gleichzeitig spielen Lenas Träume eine große Rolle. So wie es in Ihren früheren Filmen Figuren gibt, die in aller Selbstverständlichkeit nur für eine Figur (und das Publikum) sichtbar sind. Wie verhält es sich denn mit den Realitätsebenen in Ihren Filmen?
Trotz meines großen Bedürfnisses nach Glaubhaftigkeit und Realismus, vor allem im Schauspiel, liebe ich die fantastischen Momente des Lebens. Ich liebe den Kontrast zwischen Traum und Realität, zwischen Tag und Nacht. Ich liebe die inneren Stimmen, die „Fehlsignale“ unseres Gehirns, das unterbewusste Talent zur Abstraktion, das wir oft nur in der Nacht ausleben. Jeder Mensch hat eine Schatten- und eine Lichtseite und fast jeder von uns ist ein Leben lang, bewusst oder unbewusst, damit beschäftigt seine Fantasie im Schatten zu verbergen, um im Alltag zu bestehen. Dabei macht sie uns so sehr zu dem, was wir sind.
Die Babbeldasch ist wie die Hemshofschachtel, aus der die Darsteller stammen, ein Mundarttheater und das haben Sie für den Tatort auch übernommen. Verändert der Dialekt das Arbeiten?
Dialekt öffnet mein Herz. Ob Pfälzisch, Sächsisch, Badisch, Bayerisch oder Platt. Wir haben so unendlich schöne Dialekte im Deutschen und dürfen sie so selten im Fernsehen hören. Für mich strahlt ein Dialekt Gemütlichkeit aus, Bodenständigkeit, Herzlichkeit und wenn vor und hinter der Kamera Dialekt gesprochen wird, wirkt sich das in diesem Sinne auch auf die Stimmung aus. Manchmal habe ich Dialekt- Neid und dann tut es mir leid, dass ich keinen spreche, ich oller Preuße.
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