Gespräch mit mit Eva Zahn und Volker A. Zahn (Drehbuch)
Sie haben beim Ludwigshafener Filmfestival den Drehbuchpreis für Ihr Gesamtwerk erhalten. Darunter sind viele Krimis, die vor allem durch ihre inhaltliche Stärke überzeugen. Was war für Sie das zentrale Thema bei „Borowski und die große Wut“?
Eva Zahn: Uns beschäftigt oft die Frage: Wann wird ein Opfer zum Täter? Und wir lassen uns dabei auch von realen Fällen inspirieren. Anregung für diesen „Tatort“ war der Fall eines Jugendlichen, der in seiner Familie misshandelt und erniedrigt worden war und eines Tages komplett eskalierte. Dieser Moment der Eskalation interessiert uns, die fundamentale Frage, wie viel Eigenverantwortung jemand hat, der selber Opfer war und dann zum Täter wird.
Volker A. Zahn: In vielen unserer Filme aus den letzten Jahren geht es um die Wucht traumatischer Erfahrungen. Wie gehen Menschen mit ihren Traumata um, und wie reagiert die Umwelt auf sie? Sehr oft fehlt es an Verständnis und Toleranz für Menschen mit Trauma-Erfahrungen, sie sind „schwierig“, überfordern ihre Nächsten, provozieren oft Widerspruch und Ablehnung. Und dieses permanente Gefühl, nicht liebens„wert“ zu sein, kann irgendwann in Gewalt umschlagen. Gegen sich selbst oder, wie im Fall unserer Hauptfigur Celina, auch gegen andere.
Celina hat in ihrer Familie Gewalt und emotionale Kälte erlebt. An einer Stelle des Films wird vom „Abgrund Familie“ gesprochen. Warum interessiert Sie das?
Eva Zahn: Weil Ausbrüche von Gewalt in einem System, das vom Anspruch her auf Liebe und Zuneigung fußt, natürlich besonders spannend sind. In unserer Gesellschaft wird die Familie gerne als Hort von Geborgenheit und Sicherheit gesehen. Aber die Realität ist leider oft eine andere. Die schlimmste Gefahr für Kinder und auch für Frauen lauert in der Familie. Gewalt und traumatisierende Erlebnisse finden häufig innerhalb der eigenen vier Wände statt.
Bei diesem „Tatort“ haben Sie allerdings eine ungewöhnliche Form gewählt, weil wir die vermeintliche Täterin Celina gar nicht sehen. Borowski ist ausgeknockt und kann nur über das Telefon ermitteln. Welche Chancen eröffnen sich durch diese Reduktion der Handlung?
Volker A. Zahn: Es gibt nichts Langweiligeres als Krimis, die nach dem immer gleichen Muster gestrickt sind. Wir versuchen grundsätzlich, Geschichten für den „Tatort“ anders zu erzählen. NDR Redakteurin Sabine Holtgreve fragte bei uns an, ob es möglich sei, eine Geschichte zu erfinden, in der Borowski einen Fall ausschließlich am Telefon löst. Das war ein sehr reizvoller Grundgedanke, aber auch eine extrem ambitionierte Herausforderung. Immerhin mussten wir dafür den ansonsten gern agil über den Bildschirm turnenden Herrn Hauptkommissar irgendwie stilllegen.
Eva Zahn: Wir haben aber immer mehr Freude an diesem Ansatz gefunden, Borowski „beschädigt“ zu zeigen. Unser Held ist selbst traumatisiert, er wurde brutal niedergeschlagen, und das macht ihn extrem sensibel, es macht ihn anfällig und schwach. Und aus dieser Schwäche heraus muss er eine neue Stärke entwickeln, um ermitteln zu können. Durch die Beschränkung auf die Telefonate ist er gezwungen, sehr psychologisch vorzugehen, seine Menschenkenntnis auszuspielen und auch Dinge von sich selbst preiszugeben.
Gleichzeitig scheint er auch die professionelle Distanz zu verlieren und botet seine Kollegin Mila Sahin aus.
Eva Zahn: Das ist ja das Schöne, dass sich das Machtgefüge dreht. Vorher war Borowski der Boss, jetzt ist er „nur“ ein Patient. Mila wird in dieser Situation zur leitenden Ermittlerin, und das kann einer wie Borowski überhaupt nicht leiden. Er muss andere Mittel finden, um zu bestehen und trotzdem noch die Hosen anzuhaben. Das schafft er, indem er das Handy und den Kontakt zur Hauptverdächtigen als exklusives Machtinstrument nutzt. Mila hat den Nachteil, dass sie nicht persönlich mit dem Mädchen sprechen kann, ein Umstand, der sich aber auch als Vorteil erweisen kann. Und Borowski ist durch seine eigene Beschädigung sensibler, offener, ehrlicher, und er schafft es so, das Vertrauen des Mädchens zu gewinnen, er sendet auf ihrem Kanal. Er spielt diesen Vorteil gnadenlos aus, geht dabei aber auch einen Schritt zu weit.
Volker A. Zahn: Wir haben immer große Freude an wirklich gutem Schauspiel und wussten, dass Axel Milberg für so eine Herausforderung die beste Adresse ist. Unsere Kolleg*innen aus der darstellenden Abteilung wünschen sich sehnlichst Rollen, die über die berühmt-berüchtigte „Wo waren Sie gestern Abend“-Ödnis hinausgehen, und deshalb war uns klar, dass ein Axel Milberg das Potenzial dieser Rolle sofort erkennen und nutzen würde. Es macht großen Spaß zu sehen, wie er diesen Borowski spielt, der sich in einem emotionalen und körperlichen Ausnahmezustand befindet und gleichzeitig auch sehr humorvoll die Rolle des Antihelden ausfüllt.
Mich hat der „Tatort“ auch an den Spielfilm „Systemsprenger“ erinnert. Wie das Mädchen in dem Film hat auch Celina einen langen Leidensweg hinter sich. Aber entschuldigt ihre eigene Geschichte, dass sie eine völlig unschuldige Frau vor einen LKW stößt?
Eva Zahn: Entschuldigen kann man so eine Tat nicht, aber man kann sie erklären. Und vielleicht auch verstehen. Celina hat etwas Furchtbares getan, und sie muss damit klarkommen. Die Gesellschaft ist immer sehr mitfühlend, solange die misshandelten Kinder klein sind. Aber wenn diese vernachlässigten oder misshandelten Kinder erwachsen sind, will man von ihren Verletzungen nichts mehr wissen und verlangt von ihnen ein „normales“ Verhalten. Wir zeigen, was mit so einem Systemsprenger später passieren kann. Als Geschichtenerzähler sind wir nicht dazu da, ein Urteil zu fällen.
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