Interview mit Friederike Jehn (Regie)
Was hat Sie daran gereizt, einen „Tatort“ zu inszenieren, bei dem die Ermittlungen vorrangig über das Telefon stattfinden?
Für mich war es besonders reizvoll, einen Krimi zu inszenieren, bei dem sich das Bild über das Schicksal einer jungen Frau, unserer Hauptverdächtigen, über den kompletten Film hinweg erst nach und nach zusammensetzt – über ihre Stimme am Telefon, ihre Reaktionen auf Borowski, Fahndungsfotos, gefundene Videoschnipsel und Hintergrundinformationen aus den Ermittlungsakten. Durch diese indirekte Erzählung können wir ihr emotional sehr nahekommen – wir umstellen sie quasi mit unserem Interesse. Wenn man jemanden nicht sieht, sondern nur hört, kann man viel von den eigenen Vorstellungen auf den anderen Menschen projizieren – genau das macht Borowski.
Waren Sie auch ganz erleichtert, mal auf diese typischen Ermittlungsvorgänge wie Spurensicherung, Alibiabfrage etc. verzichten zu können?
Ja, ich war froh, dass diese klassischen, zehntausendmal gesehenen Krimistandards, die sonst Sinn machen, hier nicht funktionieren. Da Borowski gleich am Anfang des Films eine schwere Kopfverletzung erleidet, die ihn ans Krankenbett fesselt, muss er andere Wege der Ermittlung finden. Es war natürlich eine Herausforderung, genau dieses Statische zu bedienen, ohne eine statische Erzählung zu haben. Spannend war für mich, dass Borowski nicht nur auf der Suche nach dem Tathergang des Kriminalfalls ist, sondern auch auf der Suche nach der Erinnerung, wie es zu seiner Verletzung gekommen ist. Dass er sich nicht sicher ist, inwiefern er sich selbst trauen kann.
Wie haben Sie das umgesetzt?
Es war eine tolle Idee der Drehbuchautoren, dass Borowski im Zuge seines Schädeltraumas eine Hypersensibilisierung erleidet, also er sehr empfindlich auf äußere Reize wie Geräusche, Gerüche und Farben reagiert, die mit seiner Verletzung im Zusammenhang stehen. Er ist verunsichert, denn Wortfetzen und Erinnerungsfragmente holen ihn erst mit zunehmender Genesung und Ermittlung ein und setzen sich spät zu einem klaren Bild zusammen. Dem haben wir versucht, auch optisch, mit einer eigenwilligen Bildsprache gerecht zu werden. Was im Übrigen großen Spaß gemacht hat.
Der „Tatort“ erzählt auch von einem großen menschlichen Drama. Wie wichtig war Ihnen dieser Aspekt des Films?
Mich hat die Geschichte dieser jungen Frau enorm berührt. Ich fand es besonders, dass sich hier eine 18-jährige Frau nicht nur in der Opferrolle befindet, wie es ganz oft bei Krimis im deutschen Fernsehen der Fall ist, sondern dass sie sich in eine, wenn auch gefährliche, Selbstermächtigung begibt. Wir zeigen sie nicht nur als schwache, verletzte Person, sondern auch als starke, beunruhigende Person. Das hat mich sofort am Drehbuch fasziniert.
Der Kollateralschaden am Anfang des Films stand für Sie nicht im Vordergrund?
Der Kollateralschaden ist für uns der Aufhänger, um die Geschichte dieser jungen Frau zu erzählen, die bereits durch alle Raster gefallen ist. Vor einiger Zeit habe ich einen Bericht von einer Psychologin gelesen, die über Menschen gesprochen hat, die in ihrer Kindheit schlimme Erlebnisse hatten. Sie sagte, diejenigen, die es geschafft haben, sich aus der Spirale von Missbrauch und Gewalt zu befreien, hatten zumindest eine Person gefunden, die für sie da war, der sie vertrauen konnten – eine Freund*in, eine Sozialarbeiter*in, eine Nachbar*in. Das war für mich eine Blaupause, der Schlüssel zu dem Verhältnis von Celina und Borowski. Ich dachte, für Celina ist Borowski dieser wichtige Mensch, der ihr zuhört und der ihr glaubt, soweit er das kann. Er gibt ihr das Gefühl, wertvoll zu sein, egal was sie getan hat oder nicht. Das ist der erste Schritt aus ihrer Gewaltspirale, indem sie beginnt, ihr Misstrauen abzulegen und wieder an sich selbst zu glauben.
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