Drehbuchautor Christoph Darnstädt im Interview
Die Doppelfolge "Der große Schmerz" und "Fegefeuer" treibt unaufhaltsam auf die direkte Konfrontation von Nick Tschiller und Firat Astan zu. Sie hatten diese Zuspitzung sicherlich schon länger in ihrem Arsenal. Was mussten Sie beim Tête-à-Tête der beiden Kampfhähne beachten, um Spannung und Glaubwürdigkeit hoch zu halten?
Der Plan war, das Aufeinandertreffen von Nick und Firat nicht als klassischen Action-Showdown zu erzählen, sondern mehr daraus machen. Eine tiefergehende Konfrontation zu erzählen, in der Nick und Firat irgendwie aneinander gekettet sind, sich zwangsläufig näherkommen, mehr voneinander erfahren müssen. Einfach am Ende mal mehr zu haben als nur: Der Gute trifft auf den Bösen und macht ihn platt.
Das Konzept des Hamburger "Tatorts" gibt einen fest gefügten Rahmen für den Grundkonflikt und das Milieu über einen längeren Zeitraum vor. Wie verändert sich dadurch Ihre Arbeit im Vergleich zur klassischen Krimiserie mit in sich abgeschlossenen Geschichten?
Einen fest gefügten Rahmen gab es / gibt es gar nicht. Es war auch keine konzeptionelle Entscheidung, horizontal zu erzählen, sondern hat sich so entwickelt. Von Christian Alvart ging da mit seiner Umsetzung der ersten Folge ein starker Impuls aus und wir hatten dann alle große Lust, in diese Richtung und mit dem Astan-Clan weiterzugehen.
Ist die Suche nach überraschenden Spielorten für die Kämpfe und Showdowns eine große Herausforderung für den Drehbuchautor oder ist Hamburg dafür eine nicht versiegende Wundertüte?
Die Suche nach Spielorten – ob in Hamburg oder sonst wo – ist ja vor allem eine Herausforderung für Regie, Szenenbild und Produktion. Im Drehbuch kann da eine Menge stehen – ob und wo sich das dann funktionierend umsetzen lässt, kann man vom Schreibtisch aus gar nicht beurteilen. Google.maps und Earth helfen da kurzfristig weiter und: Ja, ich bin öfter in Hamburg und fraglos hat Hamburg auch eine Menge zu bieten, was Autoren lustvoll in die Motivzeile hüpft. Aber: Das stimmige Ergebnis auf dem Bildschirm ist Verdienst anderer Gewerke.
An Schießereien im Krimi hat sich das Publikum wohl gewöhnt. Gerade beim Hamburger "Tatort" ist der 'body count' von toten Gangstern zur beliebten Freizeitbeschäftigung von Kritikern und Bloggern geworden. Eine Szene wie das "Waterboarding", dem Nick zum Opfer fällt, erlebt man als Zuschauer ungleich intensiver. Sind Sie da bewusst an Grenzen gegangen?
Nein. Mich interessiert mehr, was ein Bild, eine Situation erzählen kann. Nicks Kopf unter Wasser, grausame Stille. Sauerstoff und Leben entgleiten mit den Bildern seiner Familie. Für eine Sekunde ist Nick irgendwie schon hinüber, starr, glasig, leblos. Aber dann wird er nochmal rausgerissen, schnappt / japst reflexhaft nach Luft – läuft mechanisch wieder an und ist ab jetzt nur noch rasende Rachemaschine, unstoppable.
Nick Tschiller ist als Figur angelegt, die sich nicht gerne in die Karten schauen lässt. Wie schaffen Sie es, seinen Charakter ins richtige Licht zu rücken?
Nicks Charakter zeigt sich in dem, was er macht. In seiner Antrittsfolge "Willkommen in Hamburg" beschützt er die Leiche einer Frau unter Einsatz seines Lebens davor, von einem Sprengsatz zerrissen zu werden. Das war für mich ein grundlegender Moment: Nicks Wut, seine Neigung zu Kriegserklärungen gründen auf einem tiefgehenden Mitgefühl und einem Gefühl der Verantwortung: gegenüber den Opfern, den Schwächeren, den Verlierern, den Missbrauchten. Nick ist kein Maulheld. Im Gegenteil: Was er sagt, haut öfter mal daneben. Etwa, wenn er sich in "Kopfgeld" mit dem Kollegen Kromer in eine umfassende Hasstirade reinrappt und gar nicht merkt, dass er damit einem Massenmörder souffliert. Seine Handlungen bleiben von Mitgefühl und Verantwortungsbewusstsein bestimmt. Nick handelt konsequent als Beschützer – und eben nicht als selbsternannter Richter/ Henker. Entgegen vorabgeneigten Quellen tötet Nick bad guys ausschließlich in Notwehr / Nothilfe. Und den obersten bad guy lässt er allen Erwartungen zum Trotz sogar am Leben.
Was gab es für Ideen, um das Verhältnis von Nick Tschiller und Yalcin Gümer den neuen Eskalationsstufen anzupassen?
Yalcin hat sich Nicks Gerechtigkeitswut ja schon immer quergestellt. Hat ihn vor Enno Kromers magenkrank/ faschistoidem Weg gewarnt und versucht, Nick verbal zu bremsen. Jetzt sieht Yalcin, was Nick gerade zu verschleiern sucht: Dass es nicht mehr, um Gerechtigkeitsrausch oder den Fight mit Firat geht – sondern um Nicks Familie. Und da steht er dann bedingungslos an seiner Seite. Auch als Nick seinen Rachefeldzug startet, kapiert Yalcin als einziger sofort: dD rast nicht der entfesselte Rächer und nicht der schwarze Ritter. Das irrt ein zutiefst verzweifelter Nick am Ende aller Wege durch die Nacht, der dringend Hilfe braucht. Und Yalcin ist da. Das ist da dann plötzlich auch eine Liebesgeschichte.
Die Weitung der Kampfzone von Nick Tschiller erfasst nunmehr auch die nächsttiefere Ebene, die Politik. Die Wirklichkeit lässt den Schluss zu, dass es in der Politik eine systemimmanente Anfälligkeit für die Korruption gibt, die über den Einzelfall hinausgeht. Muss man die kriminellen Verwicklungen von Senator Revenbrook nur als persönlich motivierte Verfehlung interpretieren, die auf Naivität und Eitelkeit basiert?
Senator Revenbrook soll als Schill-Verschnitt markant/ ekliges Hamburger Lokalkolorit zitieren. Das System repräsentiert der Staatsschutz. Revenbrook wird erst offiziell fallengelassen, als er sich selber "gestürzt" hat, als es nicht mehr anders geht. Und selbst dann legt der Staatschutz noch den Maulkorb an: "Langsam, Logprom wird Zigmilliarden nach Hamburg pumpen!" Es geht um wirtschaftliche Interessen, für die Individuen mit persönlichen Verfehlungen wie Revenbrook nur nützliche Idioten sind.
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