Interview mit Oke Stielow

"Tatort: Querschläger" am 1. Dezember 2019, 20:15 Uhr
"Tatort: Querschläger" am 1. Dezember 2019, 20:15 Uhr - Mit Wotan Wilke Möhring, Franziska Weisz u. a. | Bild: NDR / Christine Schroeder

Gespräch mit Autor Oke Stielow

»Wie weit bist du bereit, für deine Familie zu gehen?«

Der "Tatort" erzählt von einem Vater, der um das Leben seiner kranken Tochter kämpft und dafür großes Unrecht begeht. Gab es einen persönlichen Anlass für die Geschichte?

In meiner persönlichen Familiengeschichte mit meinen Kindern gab es eine Situation, die sicher dazu beigetragen hat, dass ich mich in die Figur Thewes hineindenken konnte. Ich weiß, wie man sich fühlt, wenn man diese Angst bekommt, weil man der Wahrheit und auch der Ungewissheit ins Auge blicken muss. Aber das Ende bedeutet auch nicht immer, dass alles zu Ende ist. Das versteht Thewes noch nicht und dadurch entsteht die dramatische Zuspitzung. Seine Tochter leidet an einem sehr seltenen Krankheitsbild, unter anderem einer cranio-cervicalen Instabilität. Das gibt es tatsächlich, aber nur Ärzte in den USA haben sich darauf spezialisiert. Für die Operation muss man viel Geld zahlen und die Krankenkasse übernehmen die Kosten nicht, weil es nicht genügend Belege für den Erfolg dieser Operation gibt.

Wie haben Sie recherchiert?

Als ich über seltene Erkrankungen recherchiert habe, war ich sehr erschüttert. In der EU liegt die Zahl bei 30 Millionen Menschen, die an 8000 unterschiedlichen seltenen Erkrankungen leiden. In Deutschland geht man von vier Millionen aus. Finanzierungen in die Forschung lohnen sich für die Unternehmen nicht und von den Krankenkassen bekommt man kaum Unterstützung. Diese Fakten waren für mich wichtig, damit man versteht, dass diese Familie glaubwürdig auf sich alleine gestellt ist. Am Ende sollte es um die Liebe in einer Familie gehen. Die reinste Form der Liebe. Und um die Frage: Wie weit bist du bereit für deine Familie zu gehen?

Warum schafft es Thewes nicht, einen anderen Weg zu gehen?

Eine solche existentielle Situation durchzustehen, ist extrem für Eltern. Kinder zu haben, ist wie eine emotionale Achterbahnfahrt. Man weiß nicht genau, wann geht es hoch, wann geht es runter, wann nach links und wann nach rechts. Und wenn du ein krankes Kind hast, findet das Ganze noch dazu im Dunkeln statt. Und dabei nicht zu wissen, ob das eigene Kind überlebt, ist zermürbend. Besonders wenn man glaubt, das Steuer nicht mehr in der Hand zu halten. Deswegen überschreitet Thewes die Grenze des Zulässigen. Er will sein Kind nicht aufgeben. Er will niemanden verletzen, aber als das sozusagen aus Versehen passiert, rutscht er Stück für Stück weiter ab. Die Rolle ist mit Milan Peschel fantastisch besetzt. Dieser fragile Typ, dem man gar nicht zutraut, dass so etwas in ihm ausbricht und der selbst mit sich die ganze Zeit kämpft.

Liegt für Steffen Thewes die große Ungerechtigkeit auch darin, dass er sich immer ans Gesetz gehalten hat und der Jimmy Aksoy, von dem er Geld will, nicht?

Auch. Als Zollfahnder sieht Thewes immer wieder auch Steuerhinterzieher, die sich mit dem ergaunerten Geld dicke Autos kaufen und fürs Wochenende nach New York fliegen. Geld, das zum Teil auch dazu dienen sollte, Bedürftigen, Kranken oder Schwachen zu helfen, wenn sie in eine Notsituation geraten. Als sein Ein und Alles so krank ist, will er ein Teil von dem Schwarzgeld zurückholen. Nur das ist schwerer als gedacht. Und Jimmy Aksoy ist ja eigentlich kein Betrüger im großen Stil. Er hat ein illegales Geschäft gemacht, um sich und seiner Spedition einen Startvorteil zu sichern. Seitdem lebt er ein ehrliches Leben, liebt seine Frau und tut alles für seine Kinder. Wie ich bei meinen Recherchen herausgefunden habe, ist er nicht der Einzige, der einen Teil der Einnahmen nicht angibt. Das tun auch Akademiker – z. B. Ärzte, die sich selbstständig machen. Aber das sind alles Dinge, die die Erwachsenen falsch machen. Den wichtigsten Satz für mich sagt Falke: "Für die Fehler unserer Eltern können wir nichts."

Warum haben Sie eine lesbische Polizistin eingeführt?

Es war oft die Frage, wohin geht die Grosz eigentlich, wenn sie geliebt werden will oder lieben will. Wir haben das nicht zu Ende erzählt, sondern nur angedeutet. Es ist einfach eine weitere Option für die nächsten Filme, ein Pass für den nächsten Mitspieler. Die Zukunft wird zeigen, wo das hingeht. Fakt ist: Homosexualität in der Polizei ist ein extrem sensibles Thema. Tine Geissler kann nicht herumlaufen und sagen: "Ich hab mich in dich verknallt", sondern sie muss vorsichtig sein, weil sie auch nicht weiß, wie Grosz drauf ist. Grosz ist vor allem ein Mensch, der anderen Menschen gegenüber offen ist. So etwas wie Liebe entscheidet sich für sie nicht über die Frage, ob sie zusammen im Bett waren oder nicht.

4 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt über das Kontaktformular an die ARD-Zuschauerredaktion: https://hilfe.ard.de/kontakt/. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.