Director's Note: Niki Stein zum "Tatort: Der Inder"
»Dass der 'Tatort', der in Stuttgart angesiedelt ist und seine Geschichten aus der regionalen Besonderheit von Stadt und Menschen schöpft, an 'Stuttgart 21' nicht vorbeikommt, liegt auf der Hand: Wohl keine Stadt in Deutschland ist durch ein Bauvorhaben so durchgerüttelt worden, in ihren gesellschaftlichen Grundfesten, aber auch in der Wahrnehmung durch das restliche Land, wie Stuttgart.
Mit Erstaunen und Verwunderung reiben sich die Menschen jenseits von Alb und Neckar die Augen und fragen sich: Was ist denn mit den Stuttgartern passiert, diesen am Fortschritt orientierten Erfolgsmenschen? Warum wehren sie sich plötzlich mit Zähnen und Klauen gegen ein visionäres Projekt, das Verkehrsprobleme löst und städtebauliche Großchancen bietet? Und das Ganze in einer argumentativen Uneinheitlichkeit, die von Käferschutz, über Thermalwassersorge, Verschwendung öffentlicher Gelder bis zum Denkmalschutz reicht ...
Als die 'Tatort'-Redaktion des SWR an mich herantrat, mich diesem Thema als 'Nicht-Stuttgarter', sozusagen von außen, zu nähern, erfüllte mich zunächst Unbehagen: Auch ich verstand sie nicht, die Stuttgarter. Besser man baut einen Bahnhof als einen Großflughafen. Toll, wenn man plötzlich mitten in der Stadt eine riesige Fläche hat, auf der man die Stadt völlig neu erfinden kann.«
Die Recherche: Getrieben von einer Neugier
»Ich fühlte mich also falsch am Platz, begann aber zu recherchieren, mit Stuttgartern zu sprechen, Architekten zu befragen, Naturschützer ... getrieben von einer Neugier, herauszubekommen, was da vor sich geht in Stuttgart. Denn irgendwie schien mir 'Stuttgart 21' symptomatisch für das, was mit einer sich demokratisch organisierenden und manifestierenden Gesellschaft geschieht, wenn sie ein Projekt dieser Größenordnung angeht: Sie wird zerrissen!
Bedenkenträgerei trifft auf Innovationsfreude, Zukunftsangst auf die Angst vor Stagnation und Stillstand. Irgendwie scheint es kein 'Richtig' und 'Falsch' mehr zu geben, sondern nur 'Größeres Übel' und 'Kleineres Übel' und am Ende steht ein Kompromiss. Die Dome des Mittelalters wären mit dieser Haltung nicht entstanden. Aber auch diese Projekte hatten zu kämpfen mit Pfusch und Schönrednerei, enttäuschten Hoffnungen und persönlicher Bereicherung. Die Baugeschichte der Dome ist reich an Kriminalität und Intrige, aber auch an Visionären und technischen Genies – warum sollte das bei den Domen der Neuzeit anders sein.«
Zwischen Angst, Hysterie und Begeisterung
»Mich interessiert diese Gemengelage zwischen Angst, Hysterie und Begeisterung: Die Figuren, von denen der Film handelt, repräsentieren den Konflikt um den Bahnhof: Da ist der Naturschützer, der wahnhaft die Thermalwasserströme in Gefahr sieht, die Politikerin, die gegen Korruption kämpft, die aktive Landesregierung, die zwischen den Stimmungen ihrer Stammwähler und den Sachzwängen der Politik gefangen ist. Und da gibt es die Gestalter, die Anpacker, die sich verrannt und verhoben haben an der Größe des Projektes.
Sie alle sollen eine Rolle spielen in diesem Kriminalfilm, der ein Verbrechen braucht, um einer zu sein. Begangen wird es von einem Enttäuschten, der sich verrannt hat in einem Wollen endlich das zu tun, wovon der Mensch träumt, zumindest der Schwabe: Ein 'Häusle' zu bauen! – Im 'Tatort' reicht uns natürlich kein 'Häusle', es muss schon ein 'Dom' sein.
Am Ende bleibt die Hoffnung, dass der Bahnhof gelingt und der Verkehr wieder rollt in der von Dauerstaus geplagten Stadt. Das hoffen nicht nur die beiden Kommissare Lannert und Bootz.«
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