Gespräch mit Claudia Garde

»Die Außenwelt hat mich in der Geschichte kaum interessiert.«

Fühlte sich ihre Rückkehr zum Kieler-"Tatort" und die Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Sascha Arango wie ein Heimspiel an?

Das Wort Heimspiel hat für mich den Beigeschmack von "Ach, das schütteln wir aus dem Ärmel, wir kennen hier jeden Grashalm". Das Gefühl habe ich in der Arbeit mit Sascha Arango sicher nicht. Ich glaube, unsere Zusammenarbeit zeichnet sich dadurch aus, dass wir beide immer nach dem Unvorhersehbaren suchen, der Überraschung. Darin treiben wir uns gegenseitig an und hinterfragen jedes Bild. Es wird nicht gemütlich mit Sascha, aber es ist immer spannend und oft sehr amüsant.

War es Ihnen Lust oder Last, ein Sequel zu drehen, dessen erster Teil einen der Aufsehen erregendsten "Tatorte" der letzten Jahre vorgelegt hatte?

Ich glaube, darüber habe ich zunächst nicht nachgedacht. Als beschlossen wurde, einen Teil 2 zu machen, lag die Last erst mal auf Saschas Schultern. Ich wusste, wenn das Buch mehr ist als nur der Versuch, einen Erfolg weiter auszuschlachten, dann werde ich auch meinen eigenen Film daraus machen können.

Mit Christian Alvart führte ein renommierter Kollege die Regie beim Vorgängerfilm. Ergibt sich, wenn man an eine bestehende Arbeit anknüpft, eine besondere Herausforderung aus den Vorgaben und den eigenen, künstlerischen Ansprüchen?

Es ist nicht das erste Mal, dass ich ein Format von renommierten Kollegen übernehme. Ich habe ja auch schon ein paar Filme gemacht und glücklicherweise so viel Selbstbewusstsein, dass ich mich über die gute Leistung der anderen freuen kann, weil sie inspiriert und in mir etwas bewegt. Christian Alvarts Film war eine tolle Vorlage, dennoch wusste ich sehr schnell, dass wie hier in vielerlei Hinsicht einen ganz anderen Film machen werden. Ich glaube, dass ich da mehr aus mir selbst schöpfe als aus der Analyse dessen, was meine Vorgänger gemacht haben.

Welche Atmosphäre, welche Bilder hatten Sie im Sinn, um der Geschichte ihren passenden Charakter zu verleihen?

In meiner Herangehensweise spielten Licht und Schatten sowie Möbel und Einrichtung eine große Rolle. Was machen ein Raum und seine Einrichtung mit einem Menschen, der auf sich gestellt ist? Wie wirkt er darin, was erzählt der Raum, was verschweigt er? Welche Farben alarmieren, welche wiegen in Sicherheit? Diese Räume zu finden, zu konstruieren, war ein elementarer Teil unserer Herangehensweise an die Geschichte. Wir haben für einige Motive Studiosets gebaut, weil sie nur so unseren Vorstellungen entsprechen konnten. Mit dem Kameramann Philip Peschlow und der Szenenbildnerin Martina Brünner haben wir immer wieder die Innenwelten der Protagonisten definiert, damit wir diese entsprechend in Raum und Licht übersetzen können.

Ihr Film zeigt wenige, offene Horizonte; das Licht draußen wirkt bisweilen hart, scheint den Figuren zuzusetzen. In welchem Verhältnis stehen die Außenzu den Innenräumen ihrer Geschichte?

Die Außenwelt hat mich in der Geschichte kaum interessiert. In diesem Film geht es nur um Innenwelten der Protagonisten. Und die sind hier so privat und geheim, dass es fahrlässig wäre, sie dem Gegenüber anzuvertrauen. Das betrifft vor allem Korthals und Borowski. Licht im übertragenden Sinn ist da eher bedrohlich, es bringt etwas an den Tag, das man besser verbirgt. In dieser Weise ist es auch angelegt. Es blendet fast und verbirgt dadurch mehr, als es sichtbar macht.

Es gelingt Ihnen nachdrücklich, die Angst einflößende Präsenz des Psychopathen Kai Korthals fortzuschreiben. Was war Ihnen wichtig, um die Figur neu zu modellieren?

Um eine Figur zu beschreiben, muss ich sie verstehen. Zumindest einen Teil davon. Ich muss Empathie für sie entwickeln. Ich habe versucht, Kai K. zu einer Privatperson zu machen. Wir können ihn diesmal in seiner eigenen Welt beobachten anstatt in der anderer Menschen. Was natürlich schnell klar wird im Film, dass diese Welt auch wieder nur ein Konstrukt seiner kranken Psyche ist. Sie zu verstehen ist so gut wie unmöglich. Gerade deshalb war es bei diesem Fall wichtig, Kai eine Handlungsmotivation zu geben, die auch ein gesunder Mensch nachvollziehen kann.

Ihnen fällt das Privileg zu, Kommissar Borowski über bislang bestehende Konturen seiner Persönlichkeit fortzubewegen. Wie haben Sie sich dem Kommissar in seinem emotionalen Taumel genähert?

Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch, dessen Frau, Mann oder Kind entführt wird, der dunklen Seite in sich selbst begegnet. Das beginnt mit der eigenen Fantasie, die auf brutale Weise das Bild des Opfers in der Falle entwirft. Dieses Bild ist bei einem Kriminalkommissar vermutlich um einiges ausgeprägter als bei einem Postbeamten (es sei denn, er heißt Kai Korthals). Wie soll man dem also begegnen? Nach der Verzweiflung kommt die Wut. Die Rückkehr des stillen Gastes beschreibt das Duell zweier wütender Männer. Der eine hat, was der andere will. Sie könnten tauschen. Aber Borowski ist Polizist. Er gehört zu den "Guten". Das macht es für ihn ungleich schwerer, weil er sich innerhalb der Rechtsstaatlichkeit bewegen muss. Die Entscheidung, diesen Pfad zu verlassen und den Polizeiapparat außen vor zu lassen, fällt von einer Sekunde auf die Nächste. Sie ist instinktiv und vielleicht auch die einzig richtige.

Ein angedeuteter Oberlippenbart, drum herum die Spuren nachlässiger Rasur – illustriert die äußereErscheinung des Kommissars seinen folgenden Höllensturz?

Auch Kommissare verändern ihr Erscheinungsbild von Zeit zu Zeit. Dazu könnte der Oberlippenbart gehören. Die Unrasur nach der Entführung war für mich keine Frage. Die Freundin ist weg, stelle ich mich da wirklich noch vor den Spiegel und rasiere ich mich? Es geht hier um Stunden.

Borowskis Liebesgeschichte mit Frieda Jung setzen Sie mit einer Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit in die Welt, die keine Fragen zulässt und keine Erklärungen braucht – eine beabsichtigte Pointe?

Ja. Frieda ist wieder da. Hurra! Sie kommt wie in einem Traum und sie verschwindet, wie in einem Alptraum.

Der nervenaufreibende Kampf Gut gegen Böse steuert auf ein großes Finale hin. Welche Idee steht hinter dem Showdown?

Auf das Psychoduell folgt die physische Entladung. Die Geschichte erfährt am Ende des Films einen weiteren Twist, der die Spannung noch mal erhöht. Borowski verschafft sich einen vagen Vorsprung und jetzt kommt endlich auch der Polizeiapparat ins Spiel. Die Action, die nun folgt, setzt die zurückgehaltene Kraft, Wut und Angst aller in den Stunden davor frei. Sie ist ein Sinnbild dafür und natürlich Bestandteil des Genres.

Sie haben elf "Tatort"-Folgen inszeniert, mehr als jede andere Regisseurin in Deutschland. Auf einer Podiumsdiskussion wurden sie einmal angekündigt als die "Kathryn Bigelow" des deutschen Fernsehens. Wenn es so etwas gibt wie eine weibliche Sicht auf das Verbrechen und seine Protagonisten – wie anders würden viele der von Männern inszenierten Kriminalgeschichten aussehen?

Bei einem guten Film stelle ich mir selten die Frage, ob er von einer Frau oder einem Mann in Szene gesetzt wurde. Wollten Sie von mir wissen, wie eine meiner weiblichen Kolleginnen diese "Tatort"-Folge inszeniert hätte, könnte ich das vermutlich ebenso wenig beantworten, wie bei einem Mann. Wenn der Name Kathryn Bigelow in meinem Zusammenhang fällt, vermute ich, dass man in manchen meiner Filmen Erzählmuster erkennt, die man als männlich bezeichnen würde. Insofern bin ich ja ein ganz guter Beweis dafür, dass die Trennlinie nicht so einfach zu ziehen ist.

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