Gespräch mit Sascha Arango

(Drehbuchautor)

»Borowski ist für mich der Feingeist, der gebildete Mensch und der Gelassene, Ruhige, der nicht so sehr nach dem Recht schaut, sondern nach dem Bösen und den Gründen, warum jemand etwas tut.«

Tatort Sascha Arango
Sascha Arango schrieb das Drehbuch zu "Borowski und der Engel". | Bild: NDR

"Borowski und der Engel" ist eher ein Psychothriller – dennoch sind alle Elemente, die ein "Tatort" aufweisen muss, vorhanden. Wie schafft man es, ein Genre quasi neu zu erfinden, ohne dessen Regeln zu verletzen?

Der "Tatort" hat ein klares Konzept: nämlich die Jagd nach dem Bösen. Wie man die gestaltet, ist frei. In dieser Folge sind die Ermittler soweit zurückgenommen, wie es gerade noch geht. Der Akzent liegt auf der Täterin, auf ihrem Schicksal und auf ihren Opfern, denen die Geschichte viel Zeit widmet. Wahrscheinlich ist dieser Borowski ein Beispiel dafür, was noch so eben gerade als "Tatort" funktioniert. Das wurde von allen Beteiligten unterstützt. Ich hatte ein sehr ausführliches Exposé geschrieben, das sehr genau beschrieb, was im Vordergrund der Geschichte steht und welches Ziel sie hat. Jeder wusste, wie der Film am Ende aussehen wird, einschließlich der achtminütigen Sequenz, in der Borowski der Täterin in einem spitzfindigen Wortwechsel die Wahrheit entlockt.

Borowski lügt laut eigener Aussage nie. Aber dann tut er es doch. Ist das ein legitimes Mittel, um einen Täter zu überführen?

Eine gute Frage. Ich weiß es nicht. Ist es legitim? Ich denke ja. Ist es legal? Da dürfte es Schwierigkeiten geben, dass die Ergebnisse als Beweismittel zugelassen werden. Aber das Kostbarste, was es gibt, ist das Täterwissen. Wenn der Täter etwas preisgibt, was nur er wissen kann, ist das vor Gericht ein starker Beweis. Sabrina widerfährt ja nur, was sie selber ununterbrochen tut. Vorbild für die Figur ist die Lehrerin "Heidi K.", die einen Kollegen der Vergewaltigung bezichtigt hat, für die er für fünf Jahre unschuldig ins Gefängnis kam, womit sie sein Leben zerstörte. Die Frau erlebt gerade die Hölle, die öffentliche Bestrafung des Lügners. Und Sabrina sagt erst durch die Gegenlüge die Wahrheit. Ich finde diesen Weg legitim. Und die Geschichte ist mit dem Schluss ja längst nicht zu Ende.

Am Anfang wird Borowski als ein Ermittler vorgestellt, der sehr psychologisch arbeitet, der sich Gedanken über das Wesen des Menschen macht und warum er böse ist – oder eben auch nicht. Ist dieser kurze Exkurs über das Böse im Menschen die Essenz Ihrer Arbeit als Krimi-Autor?

Diese Sequenz hat in erster Linie natürlich dramaturgische Gründe, wie sich im Verlauf des Films auch erschließt. Ihr liegt auch die philosophische Überlegung zugrunde, dass die Frage nach dem "Warum" des sich ewig erneuernden Bösen zu nichts führt. Aber die Frage, die zu etwas führt, lautet doch, warum tun wir es nicht? Was erlaubt es uns, nicht zu morden? Aber ganz zu Beginn war klar, dass der Schwerpunkt hier auf dem Mörder liegen würde, und Kommissar Borowski – den ich verkörpert durch Axel Milberg verehre – sollte einen Auftritt haben, der die Geschichte prägt. Das ist meine Verbeugung vor der Figur. Es geht hier ja nicht in erster Linie um Ermittlungen, sondern um Begreifen von Motiven, und da stimmt dieser kleine Vortrag den Zuschauer drauf ein. In dieser Geschichte geht es darum, dass es Todesfälle gibt, die schicksalhaft sind. Sie passieren einfach und daraus entwickelt sich die Geschichte.

Sabrina, die Täterin, verursacht den Unfall nicht mit Absicht. Aber sie nutzt ihn für sich und entwickelt ihre Geschichte spontan. Darin ist sie sehr gut und überzeugend. Was für ein Typ ist sie?

Menschen, die wie Sabrina überzeugend Geschichten erzählen können, haben eine so genannte "histrionische Persönlichkeitsstörung". Man hat Mitgefühl mit ihnen und zweifelt nicht an ihren Darstellungen. Sabrina hat starke Abgrenzungsprobleme und ein sehr starkes Wunschdenken. Wenn man diesen Wunsch erfüllt, hat man den glücklichsten Menschen überhaupt; wenn man den Wunsch verweigert, führt das zu Aggression. Sie ist ein klassischer Borderliner. Alles Schlimme, was passiert ist, wollte sie nicht, aber es ist "eben so passiert".

Der Unfall, der ihr Aufmerksamkeit und Geltung verschafft, wird als wunderbarer Sommertag mit warmen Farben inszeniert.

Das ist Andreas Kleinert zu verdanken. Für Sabrina ist das ein glücklicher Moment. Ich habe ihn so geschrieben, dass es für sie einer der schönsten Momente ihres Lebens ist, wenn sie Christian aus den Trümmern zieht und sie helfen kann. Alles, was sich daraus ergibt, ergibt sich aus dem Moment. Die visuelle Gestaltung der Sequenz entspricht dem Wunsch von Regisseur Andreas Kleinert, die Figur schön zu machen, um sie dann dekonstruieren zu können. Und dann hat er ja mit Benedict Neuenfels auch einen hervorragenden Kameramann an seiner Seite gehabt. Ich habe Sabrina ursprünglich als kleiner und fieser im Auge gehabt, als typischen Verlierertyp.

"Borowski und der Engel" hat einige sehr komische Szenen. Wie kann man in einem so ernsten Film urplötzlich solche Lacher einbauen? Muss das sein, um dem Zuschauer eine heitere Pause zu gönnen?

Das so genannte "Comic Relief", also das Lösen von Spannung durch einen Lacher, bevor es ernst weitergeht, spielt schon eine Rolle. Ich habe immer eine Reihe von komischen Szenen im Kopf, und wenn ich das Gefühl habe, jetzt passt eine, dann verwende ich sie. Wie nun die Szene, als Borowski einen Euro in seinen Kaffeebecher geworfen bekommt – die ich im Drehbuch übrigens viel größer ausgeschmückt hatte. Ich glaube, dass die Figuren in diesem Format diese komischen Begebenheiten brauchen. Schladitz schießt sich in den Fuß. Dinge passieren. Einfach so!

Gab es eine Verabredung zwischen dem Regisseur Andreas Kleinert und Ihnen über die Gestaltung der Geschichte?

Noch bevor ich das Drehbuch angefangen hatte, habe ich beim Sender darum gebeten, einen Regisseur anzufragen, weil ich gerne vorab schon mit einem Regisseur rede. Andreas Kleinert ist mir aufgefallen, weil er so fantastische Filme macht. Er war mein Wunschregisseur. Und es war dann auch von Anfang an eine gute Zusammenarbeit, weil er den Akzent mehr auf das Gute im Menschen legt und ich auf das Böse. Das hat sehr gut funktioniert, auch wenn der Film dadurch an manchen Stellen friedlicher wird.

In den zehn Jahren Borowski haben Sie einige der herausstechendsten Folgen geschrieben. Wie sehen Sie die Entwicklung von Klaus Borowski?

Die Figur des Klaus Borowski wurde maßgeblich von Axel Milberg geprägt. Ich habe nur umgesetzt, wie er sich die Figur vorgestellt hat. Mein Beitrag ist eher das Konzept zu Sarah Brandt. Wofür steht Sarah Brandt im Gefüge des Kieler "Tatorts"? In der Entwicklung der Figur habe ich mir überlegt, was auf Sibel Kekilli passt. Als Figur braucht Sarah Brandt diese Ambivalenz, diese Ausweichhandlungen, was bedeutet, dass sie unberechenbare Momente hat – das ist in "Borowski und der Engel" nicht so, wird aber wieder so sein, wenn die Ermittler mehr im Vordergrund stehen. Die Quoten sind seit "Die Frau am Fenster" in den 9-Millionen-Zuschauer-Bereich gestiegen, was auch darauf zurückzuführen ist, dass man sich – gerade mit ihrer Figur – kontinuierlich bemüht hat, etwas Neues zu schaffen. Sie soll natürlich ein jüngeres Publikum ansprechen und dadurch auch ein Gegengewicht zu Borowskis akademischer Seriösität sein.

Wo würden Sie den Kieler "Tatort" im Reigen der Tatorte einordnen? Das Psychologische, das Nordische?

Sehr gelassen und vor allem feingeistig. Das ist auch für mich der Reiz an der Figur: die Ironie, die Distanz zu sich selbst und diese unvergleichliche Komik. Borowski ist für mich der Feingeist, der gebildete Mensch und der Gelassene, Ruhige, der nicht so sehr nach dem Recht schaut, sondern nach dem Bösen und den Gründen, warum jemand etwas tut. Er ist der Kommissar, der analytisch und überlegt vorgeht.

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