Interview mit den Drehbuchautoren von "Alle meine Jungs"

Erol Yesilkaya, Boris Dennulat und Matthias Tuchmann

»Zärtlich, grausam, amüsant, voller praller Lebenslust und banaler Bosheit«

Alle meine Jungs
Der "Tatort: Alle meine Jungs" ist aus der Feder von drei Autoren: Erol Yesilkaya, Boris Dennulat und Matthias Tuchmann. | Bild: Radio Bremen / Jörg Landsberg

Sie haben den Bremer "Tatort: Alle meine Jungs" gemeinsam geschrieben. Wie sind Sie darauf kommen, über eine Parallelgesellschaft von Ex-Knackis im Müll-Milieu zu schreiben?

Matthias Tuchmann: Während meiner Schulzeit arbeitete ich bei einem Entrümpelungsunter-nehmen und war mehrere Tage in einem heruntergekommenen Wohnblock tätig. Dort lebten viele Männer, die aus dem Knast kamen. Was mich beeindruckte, war der raue Charme und der Trotz ihrer Chancenlosigkeit gegenüber. Vor einiger Zeit kam mir das wieder in den Sinn und ich fragte mich, was passiert, wenn jemand das brachliegende Potential dieser Männer nutzen würde.

Erol Yesilkaya: Matthias schlug die Grundidee beziehungsweise das Müll-Milieu vor und sehr schnell merkten wir, wie 'groß' dieses Thema ist: Es gibt keine Gesellschaft ohne Müll. Da erschien der Gedanke einer Parallelgesellschaft als Metapher für 'unsere' Gesellschaft einfach konsequent.

Boris Dennulat: Resozialisierung steht in Deutschland nicht an erster Stelle. Ex-Knackis sollen auch eher aus den Augen – wie der Müll. Hauptsache, er wird regelmäßig abgeholt und stinkt nicht vor dem Haus rum. Was aber, wenn diese Leute, die ihre Strafe abgesessen haben, sich selbst resozialisieren? Sich ihren Teil vom Glück holen? Mit Stolz, Würde, Witz und Selbstbewusstsein?

Was war Ihnen bei der Entwicklung der Geschichte besonders wichtig?

Matthias Tuchmann: Die Tonalität, der vibrierende Sound der Geschichte. Kein Betroffenheits-Sozialdrama im Plattenbau, sondern ein energetischer Kosmos voller Zurückgelassener, die handfest um ihr Stück vom Glück kämpfen.

Erol Yesilkaya: Das Drehbuch war so komplex und das Tableau der Charaktere so umfangreich, dass es in jedem Fall ein emotionales Zentrum der Handlung geben musste. Einen roten Faden, dem man mit Spannung und ohne Schwierigkeiten folgen kann. In diesem Fall war das die Beziehung und der Überlebenskampf der beiden Geschwister Sascha und Yvonne.

Die Figuren, die Umgangsformen untereinander und das gesamte Milieu wirken sehr überhöht. Ist das eine Frage der Inszenierung oder war das von Anfang an von Ihnenals Autoren geplant?

Boris Dennulat: Die Straße der Jungs, ihr ganzes Versorgungsmodell, das ist natürlich auch eine Utopie, Wunschtraum einer Gewerkschaft – und zugleich die düstere Kehrseite. Wir wollten Gut und Böse, das Sympathische und das Abschreckende, den Kleinbürgertraum der Gangster und das große Verbrechen, die große Nummer, möglichst eng zusammenführen.

Matthias Tuchmann: Unsere Idee war, die Geschichte auf verschiedenen Ebenen zu erzählen: Manchmal realistischer Korruptionskrimi, dann wieder grimmige Totalitarismus-Parabel, unterlegt mit einem Schuss lässiger Räuberpistole – zärtlich, grausam, amüsant, voller praller Lebenslust und banaler Bosheit. Daraus entsteht – so hoffen wir zumindest – ein aufregendes Panorama aus Emotionen und Ideen für den Zuschauer.

Sie haben den "Tatort: Alle meine Jungs" zu dritt geschrieben. Wie sieht eine solche Zusammenarbeit aus?

Erol Yesilkaya: Einer schreibt, einer schläft, einer besorgt Nahrung – immer abwechselnd.

Boris Dennulat: Anfangs spricht man alles gemeinsam durch, dann bespricht man die Sequenzen. Jeder schreibt ein paar Szenen am Stück – einen kleinen Bogen –, bevor der andere wieder übernimmt. Dabei haben wir teilweise die Figuren oder Handlungsschwerpunkte aufgeteilt. So überraschen und konfrontieren wir uns gegenseitig. Hinterher geht jeder über die Szenen der anderen.

Worin liegen für Sie in dieser Arbeitsweise die Vorteile?

Matthias Tuchmann: Warum alleine gegen das weiße Blatt ankämpfen? Zusammen zu schreiben, bringt oft bessere Ergebnisse hervor und macht einfach mehr Spaß.

Boris Dennulat: In unserer Bürogemeinschaft arbeiten wir – insgesamt fünf Autoren, eine Autorin – seit Jahren in wechselnden Konstellationen zusammen. Man kennt sich immer besser, so dass man sich je nach StoffPartner sucht, bei denen sich die Stärken am besten ergänzen.

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