Interview mit dem Regisseur Andreas Herzog
Statt der üblichen Ermittlerduos sind beim "Tatort" aus Dortmund vier Kommissare im Einsatz. War das für Sie als Regisseur eine besondere Herausforderung?
Beim Dortmunder "Tatort" wird ausschließlich aus der Perspektive der Ermittler erzählt. Ich kann also nicht über einen Verdächtigen erzählen, wenn nicht mindestens einer der vier Kommissare dabei ist. Jeder in diesem Quartett hat eine private Ebene, die natürlich Berührungspunkte mit dem aktuellen Fall hat. Deshalb erschien es mir besonders wichtig, dem Zuschauer über den Subtext einer Szene die Möglichkeit zu geben, emotional auf die betreffende Figur einzusteigen. Zusammen mit meinem Kameramann Ralf Noack habe ich mir genau überlegt, wie wir die oft so leicht dahingesagte Floskel "nah an den Figuren erzählt" mit filmischen Mitteln für den Zuschauer "erlebbar" machen können. Wir haben die Ermittler also konsequent deren Perspektive erzählt und mit der Kamera geradezu verfolgt. Alles, was sie sehen, hören und erleben bekommt etwas mehr Distanz.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Als Bönisch der Familie Petzokat die traurige Nachricht überbringen muss, dass ihre Tochter Nadine ermordet wurde. Ursprünglich sollte zuerst gezeigt werden, wie die Mutter mit Nadines kleiner Schwester herumalbert und lacht. Es klingelt, Martina Bönisch steht vor der Tür und sagt den Satz, der an dieser Stelle in fast jedem Krimi gesagt wird. Um in der Erzählperspektive zu bleiben, beginnt die Sequenz nun mit Martina, die vielleicht zum hundertsten Mal "eine traurige Nachricht überbringen muss". Sie geht durch die Hochhausschluchten von Dortmund Clarenberg und schließlich durch ein Treppenhaus auf die Eingangstüre einer Mietwohnung zu. Wir hören jetzt durch die geschlossene Türe wie Mutter und Tochter spielen und lachen. Wir sehen Martina Bönisch, die wie gelähmt vor der Türe steht und für einen Moment unfähig ist den Klingelknopf zu drücken. Die Kamera ist ganz nah bei ihr, sie atmet tief durch und klingelt. Als sie die Türe öffnet, sehen wir, mit den Augen von Martina, eine noch lachende Mutter und Tochter. Kein Wort wird gesprochen, nur die Vorahnung, dass etwas nicht stimmt, ist im Gesicht der Mutter zu sehen. Einen Moment später erleben wir aus der Distanz, wie die Mutter zu ihrem Mann auf den Balkon läuft. Sie sagt ihm etwas, dass wir nicht hören. Der Mann blickt Martina nur entgeistert durch das Wohnzimmerfenster an. Wieder ein Schnitt auf Martina, ganz nah. Es geht mir immer darum, den Zuschauer nicht einfach nur zusehen zu lassen, sondern vielmehr ihn einzuladen, mit Herz und Verstand an der Geschichte teilzunehmen.
"In einer anderen Welt" ist erst der dritte "Tatort"-Fall aus Dortmund. Hatten Sie entsprechend mehr Spielraum, die "neuen Kommissare" in Szene zu setzen?
Es ging in dieser Folge viel mehr darum, den Figuren eine Entwicklung zu geben, weniger darum, etwas Neues dazu zu erfinden. Der Spielraum in der Inszenierung hat also sehr mit den Haltungen der Protagonisten zu sich selbst und gegenüber den Kollegen zu tun. Wie lange noch wird Martina versuchen, ihren Alltagsfrust mit einem Callboy zu vertreiben? Wird sie an dieser Situation etwas verändern und wenn ja, warum? Faber ist durch den Verlust seiner Frau und Tochter nach wie vor schwer traumatisiert. Auch diesmal kommt es wieder zu Gefühlsausbrüchen, die nicht unbedingt etwas mit Polizeiarbeit zu tun haben. Aber genau damit bringt er immer wieder seine Gegenüber aus dem Konzept und entdeckt Schwächen, die jemand anderem vielleicht verborgen geblieben wären. Darüber hinaus kommt es in dieser Episode zu einer inneren Wende bei Faber. Er beginnt zu lernen, wie er mit seinem Schicksal umgehen kann.
Dieser Tatort erzählt die Geschichte eines Mädchens, das der Welt, in der es lebt, entfliehen will. Ohne Erfolg. Was hat sie an diesem Fall gereizt?
Hauptsächlich interessierten mich die Parallelen, die es zwischen den Charakteren der Kommissare und denen der Episodenrollen gibt. Das Opfer, die 16-jährige Nadine, führt ein Doppelleben, weil sie es nicht schafft, sich von den Zwängen ihres Alltags zu befreien. Unsere vier Helden haben alle ein ähnliches Problem und lernen durch diesen Fall ein wenig mehr über sich selbst. Faber, dessen Doppelleben sich durch abwechselnde gedankliche Aufenthalte in der Vergangenheit und dem Erwachen in der Gegenwart manifestiert, benutzt diese Erkenntnis ganz intuitiv, um der Lösung des Falles näher zu kommen. Auch Martina Bönisch und die "Young Guns" Nora und Daniel haben ihre privaten Geheimnisse, die ihr Berufsleben nicht vereinfachen. Sie stellen fest, dass sie sich irgendwann entscheiden müssen, welchen Weg sie gehen wollen.
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