Im Gespräch mit Volker Krappen und Raimund Maessen
Drehbuchautoren
Ihr Krimi spielt am Wilhelmshavener Tiefwasserhafen. Was war Ihre Ausgangsidee? Was wollten Sie erzählen?
Raimund Maessen: Unser "Tatort" heißt "Kaltstart", weil es für ThorstenFalke und Katharina Lorenz einen rasanten Einstieg bei der Bundespolizei gibt. Interessanterweise ist die Bundespolizei im deutschen Fernsehen ein noch fast unbeackertes Feld, so dass es auch für uns spannend war, da in ein Milieu reinzuriechen, das wir aus Fernsehkrimis noch nicht kannten.
Volker Krappen: Zu den Aufgaben der Bundespolizei gehört die Bekämpfung organisierter Schleuserkriminalität, die auch an deutschen Seehäfen zu finden ist. Und der Jade Weser Port in Wilhelmshaven ist ja nicht nur ein milliardenschweres Politikum, sondern es geht hier um die Existenz von ganz vielen Beteiligten und Betroffenen. Das ist natürlich interessant für einen Krimi, weil hier jede Menge Konfliktstoff liegt, und zudem ist das Ganze mit einem Milieu verbunden, das auch filmisch hochinteressant ist.
Inwiefern ist die Arbeit der Bundespolizei ein reizvolles Thema für Krimiautoren?
Raimund Maessen: Ich sehe da ganz stark den Aspekt einer politischen Dimension, die das Ganze hat und in die ja auch die Kommissare in "Kaltstart" hinein ermitteln, indem es um die eigentlichen Drahtzieher geht, die hinter allem stecken. So etwas lässt sich besonders gut zusammen mit der Bundespolizei erzählen, zu deren Aufgaben ja u.a. die Bekämpfung von organisierten Verbrechen und Schleusungskriminalität gehört.
Volker Krappen: Wir empfinden den speziellen Deliktfokus der Bundpolizei als etwas sehr Modernes; hier eröffnet sich ein Kosmos von globalisierter Gegenwartskriminalität. Und zwar mit den ganz konkreten Auswirkungen und Auswüchsen, mit denen es die Ermittler hautnah zu tun bekommen. Nach Berechnungen der UNO beträgt der Umsatz mit organisiertem Verbrechen, Drogenschmuggel und Menschenhandel weltweit jährlich zwei BillionenDollar. Das muss man sich mal klarmachen. Menschenhandel ist die drittgrößte Schattenwirtschaft der Welt nach Drogen- und Waffenhandel. Und natürlich hat uns diese gesellschaftliche und politische Großdimension hinter den spannenden Ermittlungsfeldern interessiert.
Woran liegt es, dass die Bundespolizei bislang so selten Thema war?
Volker Krappen: Ich glaube, dabei spielt eine Rolle, dass es die Bundespolizei in ihrer jetzigen Form noch nicht sehr lange gibt. Außerdem ist wenig bekannt, dass diese Behörde eine eigene Kripo hat. Man denkt ja bei Bundespolizei eher an die Uniformierten an den Flughäfen oder bei der Bahn, aber es gibt dort auch spezielle Ermittlungsgruppen, die hochprofessionell ausgestattet und ausgebildet sind und eben kriminalpolizeilich arbeiten. Und die tragen zivil, genau wie andere Kripoleute. Mit diesem Kosmos, mit diesem Apparat arbeiten wir.
Wer gegen Schleuser ermittelt, kommt auch sehr konkret mit illegalen Einwanderern in Berührung. Ein sensibler Bereich. Wie sind Sie da herangegangen?
Volker Krappen: Uns kam es auf die menschlichen Tragödien an, die mit der ganzen Asylthematik in Zusammenhang stehen. Und wir wollten auch erzählen, was das mit den beteiligten Polizisten macht, wenn sie vor solchen Flüchtlingen stehen. "Kaltstart" führt gleich mit aller Härte vor, dass auch die Arbeit bei der Bundespolizei kein Zuckerschlecken ist.
Die Ermittler begreifen erst allmählich, dass es um mehr geht als um Menschenhandel. Der Zuschauer weiß schon länger, dass noch andere im Hintergrund wirken, aber auch er bleibt im Unklaren darüber, wer das ist. Was ist der Zweck dieser Erzählstrategie?
Raimund Maessen: Wir hatten von Anfang an vor, der Schleusungsgeschichte noch Elemente eines Politthrillers hinzuzufügen. Dabei stellte sich heraus, dass es atmosphärisch ganz wichtig ist, auch die Beklemmung zu erzählen, die entsteht, wenn man nicht genau weiß, wer einen beobachtet und wie viel derjenige weiß. Das hat sich ein bisschen auch bei uns im Schreiben gespiegelt, denn so, wie sich der eigentliche Knackpunkt des Falls für die Kommissare und für die Zuschauer Zwiebelschicht für Zwiebelschicht offenbart, hat sich bei uns auch beim Schreiben Schritt für Schritt ergeben, wie wir die Twists der Geschichte am spannendsten in Szene setzen.
Ermittler, die observieren und gleichzeitig observiert werden. Technische Überwachung ist momentan ein sehr großes Thema; hatten Sie Lust, den Spieß mal umzudrehen, indem Sie die Polizei ausspähen lassen?
Raimund Maessen: Hier ist es ja nicht der Bürger, der den Staat ausspäht, sondern letzten Endes sind es nackte wirtschaftliche und letztlich ja auch amoralische Interessen, die dahinterstehen. Wenn Sie so wollen, ist es die menschliche Gier, die hier das Böse darstellt.
Volker Krappen: Diese ganze Dimension der Überwachung ist natürlich in vielerlei Hinsicht spannend. Wir glauben, dass das, was man so weiß oder zu wissen glaubt, über das, was staatliche Geheimdienste oder auch Aufklärungsund Nachrichtendienste großer Konzerne treiben, möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs ist. Man kann im Bereich der Fiktion, auch gerade der Krimifiktion, mit gut gesponnenen, realitätsgespeisten Spekulationen gar nicht mutig genug sein und liegt in Wahrheit fast unweigerlich dann doch irgendwie richtig; das ist immer wieder verblüffend.
In Ihrem Film sind die international aufgestellten Übeltäter den Behörden technisch gesehen weit voraus. Ist das, was wir am Ende sehen, Zukunftsmusik oder in Ihren Augen gar nicht mehr so weit von der Realität entfernt?
Raimund Maessen: Wir sehen das nicht als Zukunftsmusik. Das ist ein "Tatort" und kein Dokumentarfilm, aber für uns ist das in thematischer und sachlicher Hinsicht durchaus Realität. Wir haben es hier mit mafiösen Strukturen zu tun. Die sind finanziell bestens ausgestattet und sorgen auch dafür, dass sie technisch bestens ausgerüstet sind. In gewisser Weise liefern die sich ein Katz- und Maus- Spiel mit der Polizei, die natürlich versucht hinterherzukommen. Aber in einigen Punkten kann die Polizei tatsächlich nicht mit der technischen Ausstattung konkurrieren, die man hat, wenn man über unbegrenzte Geldmittel verfügt und über die entsprechende kriminelle Energie und das technische Know-how.
Wie gefällt Ihnen die Umsetzung Ihres Buchs durch Marvin Kren?
Raimund Maessen: Ich war sehr beeindruckt. Das ist ein, wie wir gehofft hatten, sehr anspruchsvoller und spannender Tatort geworden, der einfach grandios aussieht, aber auch emotional berührt.
Volker Krappen: Wir sind vor allem von der Bildsprache und dem Erzählstil begeistert und finden, dass das eine Modernität hat, die mit der Vielschichtigkeit und der Thematik des Falles korrespondiert, in dem es eben um zeitgenössische organisierte Kriminalität mit all ihren menschlichen, strukturellen Facetten geht.
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