Interview mit Lisa Martinek
Wie haben Sie sich darauf vorbereitet, eine blinde Anwältin zu spielen?
Das waren gleich zwei Bereiche, in denen ich mich überhaupt nicht auskenne. Ich hatte keine Ahnung, wie es ist, ohne Sehvermögen durchs Leben zu gehen, und mir war die Welt der Juristen vollkommen fremd. Im Berliner Blindenverein fand meine erste Begegnung mit Blinden und sehbehinderten Menschen statt. Einmal wurde unsere Gruppe, bestehend aus zehn Erwachsenen, die sich alle nicht kannten, mit Dunkelbrille in einen uns fremden Raum geführt und an einen Frühstückstisch gesetzt, von dem wir nur wussten, was sich darauf befindet, aber nicht, wo etwas steht. Dabei habe ich erfahren, dass ohne Kommunikation nichts geht. Erst einmal stellt man sich der Person vor, die neben einem sitzt und merkt sich die dazugehörige Stimme. Man spricht sich immer mit Namen an, weil sonst keiner weiß, wer gemeint ist. Und dann beginnt die Sucherei. Eine Dame hatte die Marmelade gefunden, dabei aber versehentlich mit der ganzen Hand hineingefasst, weil sie sich nicht wie vermutet im Glas, sondern in einer Schale befand. Ein Teil der Gruppe hatte daraufhin keine Lust mehr auf Marmelade. Eine andere Dame hat behauptet, sie hätte keinen Durst, weil sie Angst hatte, den heißen Kaffee zu verschütten. Das hat dann ihr Nachbar für sie erledigt. Wir hatten innerhalb kürzester Zeit einen engen Umgang miteinander, weil wir uns gegenseitig helfen mussten. Man spürte schnell, wer der Situation mit Humor begegnete und wer unfrei wurde. Das Erstaunen war groß, als wir unsere Brillen abnahmen: Das Verhalten und der Charakter eines Menschen haben oft nichts mit der äußeren Erscheinung zu tun und manchmal passte das Bild, das ich mir von der anderen Person gemacht hatte, ganz wunderbar zum Original.
Sie haben mit einem Schauspielcoach trainiert, blind zu sein, wie kann man sich das vorstellen?
Mit dem Coach habe ich alles Technische erlernt: Wie gehe ich mit dem sogenannten Langstock um, wie finde ich mich in einer fremden Umgebung zurecht, wie auf der Straße, wie in geschlossenen Räumen? Was schaffe ich alleine, wann ist Hilfe unumgänglich? Er hat mir Hilfsmittel gezeigt und dass es wichtig ist zu wissen, wo man seine Sachen abstellt, weil man sonst ewig danach suchen muss. Wie erkenne ich Geldstücke? Wofür gibt es an der U-Bahn und an Ampeln die Rillen am Boden, wie gehe ich über eine stark befahrene Straße. Wie orientiere ich mich? Wenn ich Sehende nach dem Weg frage, muss ich Straßennamen benutzen, als Blinder orientiere ich mich aber an der Beschaffenheit des Bodens. Ich habe mir eine Schlafbrille aufgezogen und mich von ihm führen lassen. Dann hab ich versucht, alleine mit dem Langstock zu gehen. Es ist erstaunlich, wie schnell die anderen Sinne geschult werden. Ich konnte hören, wo sich eine Baulücke befindet und wie breit die Straße ist, ob wir durch einen Tunnel oder unter Bäumen hindurchgehen. Man riecht den U-Bahn-Eingang schon von weitem, riecht am Ku’damm, ob man schon beim Bäcker vorbeigegangen ist oder der Dönerladen heute geschlossen hat, weil man ja bereits über die Vasen vor dem Blumenladen gestolpert ist, die immer zu weit auf dem Fußgängerweg stehen. Mir hat sich eine ganz neue Welt eröffnet.
Sie haben Pamela Pabst getroffen, wie haben Sie sie erlebt?
Pamela Pabst ist eine wunderbare, herzliche Person. Während ich mir noch Gedanken gemacht habe, ob ich ihr zur Begrüßung die Hand reiche und wie sie das erkennen soll, lag ich schon in ihren Armen, weil sie mich einfach zu sich gezogen hatte. Fast alles, was Romy Heiland ausmacht, habe ich Pamela zu verdanken. Ich habe viel Zeit mit ihr verbracht und durfte sie beobachten – ihre Körperlichkeit, ihre Direktheit, ihren Humor. Vieles hat unsere Headautorin Jana Burbach von ihr übernommen, weil man sich das gar nicht ausdenken kann. Mehrmals war ich bei ihr in der Kanzlei und hab einfach dagesessen und zugeschaut. Nach zwei Stunden brummt einem der Kopf. Pamela schreibt mit Zehn-Finger-System auf ihrer Tastatur, der Screen Reader liest in Höchstgeschwindigkeit vor, was sie getippt hat, gleichzeitig beantwortet sie Fragen, die ihr ihre Assistentin stellt oder nimmt Telefonate an. Ich durfte sie zu Gerichtsverhandlungen begleiten, konnte sehen, dass sie die Gebäude wie ihre Westentasche kennt und wie sicher sie darin agiert. Und wie verloren und zerbrechlich sie andererseits in Situationen wirkt, in denen sie auf andere Personen angewiesen ist. Diese Diskrepanz zwischen absoluter Souveränität und großer Zerbrechlichkeit hat mich an der Rolle Romy Heiland am meisten gereizt.
Sie haben eine Ausbildung als Tänzerin absolviert. Hat Ihnen dies bei der Darstellung der Romy Heiland geholfen, weil Sie eine besondere Körperwahrnehmung haben und somit intuitiver spielen können?
Das kann sein. Wobei ein Teil meines Berufes eben aus kopieren und nachmachen besteht. Ich werde so schnell nicht lernen, mit verbundenen Augen alleine über eine stark befahrene Straße zu gehen. Ich schaue Pamela dabei zu, wie sie mit raschem Tempo durchs Gericht marschiert und dabei in Kauf nimmt, sich mit der Schulter am Türrahmen zu stoßen oder über Stühle zu stolpern, die im Weg stehen, ohne auch nur einen Mucks von sich zu geben. Ihr wurde beigebracht, dass man seinem Gegenüber den Kopf zuwendet, wenn man sich unterhält. Wenn aber das Gespräch anstrengend wird, geht sie mit dem Ohr in die Richtung des Gesagten, um sich besser konzentrieren zu können. Das sehe ich und mache es nach. Schauspieler sind Meister im Nachmachen.
Engagieren Sie sich ehrenamtlich in einem sozialen Bereich?
Seit einem Jahr bin ich Botschafterin für Mother Hood e.V. Wir setzen uns dafür ein, dass die Voraussetzungen für eine sichere Geburt weiter gegeben sind. Wir versuchen, der Schließung von Kreissälen, dem Mangel an Hebammen und der Tatsache, dass die meisten Menschen gar nicht wissen, was eine sichere Geburt ausmacht, entgegenzuwirken. Die Geburt ist erst einmal ein natürlicher Vorgang und sollte auch als ein solcher gesehen werden. Wenn die Voraussetzungen dafür aber nicht mehr gegeben sind, rutscht der Geburtsvorgang in den medizinischen Bereich. Er wird pathologisch. Das ist ein großes Problem, das sich zur Zeit rasant verschlimmert.
Sie sind Mutter von drei Kindern. Wie erklären Sie Ihren Kindern, wie wir mit Menschen mit Behinderung umgehen sollten?
Inzwischen bin ich mit Pamela befreundet. Meine Kinder mögen sie sehr. Da muss ich gar nichts erklären. Die fragen ihr Löcher in den Bauch. Die Mädchen erleben Pamela und wenn ihnen was komisch vorkommt, dann fragen sie. Mit einer für Erwachsene frappierenden Direktheit. Und zwar Pamela selbst. Das finde ich wichtig, den Mut haben zu fragen. Im Blindenverein habe ich eine Frau kennengelernt, die seit Jahren einer blinden Dame assistiert und immer noch unsicher ist, wie sie sich bemerkbar machen soll, wenn sie den Raum betritt. Räuspern fand sie blöd, anschleichen wollte sie sich aber auch nicht. Was ist die Lösung? Die Dame zu fragen. Miteinander zu kommunizieren ist unglaublich hilfreich.
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