Interview mit Pamela Pabst
Sie haben ein Buch geschrieben, wie Sie Ihren Weg als erste deutsche Strafverteidigerin, die von Geburt an sehbehindert ist, gegangen sind. Sehen Sie etwas, was andere nicht sehen?
Mein Buch heißt ja "Ich sehe das, was ihr nicht seht". Damit ist nicht gemeint, dass ich irgendwie übersinnliche Fähigkeiten hätte. Ich kann auch nicht immer hören, ob jemand die Wahrheit sagt oder nicht. Aber ich denke, ich habe einen anderen Blick auf die Welt, weil ich mich nicht von den optischen Dingen ablenken lasse und so dichter an den Menschen dran bin und mich vielleicht besser auf diese einstellen kann. "Sehen" bedeutet bei mir auch, mit allen Sinnen wahrzunehmen. Ich sage durchaus auch: "fernsehen" und "auf die Uhr sehen".
In einem Interview haben Sie gesagt, dass Ihr Lebensmotto von einem Zitat des früheren US-Präsidenten Bill Clinton inspiriert ist: "Nichts wird uns aufhalten. Alles ist möglich." Was bedeutet diese Aussage für Sie und Ihr Leben?
Zunächst möchte ich zu diesem Zitat gern sagen, dass mich Sprache immer sehr fasziniert hat, und es war zunächst vor allem der Klang dieses Zitates, welcher mich sehr berührt hat. Erst später fiel mir auf, dass dieses Motto gut zu mir passt, weil ich, so lange ich denken kann, nie das Gefühl hatte, aufgrund meiner Blindheit etwas nicht zu können. Ich kann vieles nicht, z.B. singen. Aber ich denke, dass man als blinder Mensch mit der entsprechenden Hilfe sehr viel erreichen kann. Es braucht nur manchmal mehr Zeit, mehr Kraft und die eine oder andere Idee bei der Umsetzung.
Sie haben in nur acht Semestern Ihr Studium bewältigt. Wie haben Sie Ihren Weg zur Juristin in der Welt der Sehenden absolviert und wie sind Sie mit Hindernissen umgegangen?
Im Studium habe ich mit einem sprechenden Computer meine Klausuren geschrieben, darüber hinaus gab es die Gesetzestexte und Aufgabentexte in digitaler Form. Meine Lehrbücher wurden mir meist auf Kassette aufgenommen. Außerdem haben meine Kommilitonen und meine Mutter mir vorgelesen. Da ich integriert, also zusammen mit sehenden Kindern in der Schule war, war ich es gewöhnt, andere um die notwendige Unterstützung zu bitten, was auch immer gut funktioniert hat. Sehr im Gegensatz zu meiner Schulzeit war ich im Studium nicht den Anfeindungen meiner Mitstudenten ausgesetzt. Probleme gab es in der Studienzeit eigentlich keine.
Wie sieht Ihr heutiger Berufsalltag aus? Haben Sie wie Romy Heiland im Film eine Sparringspartnerin, die Sie unterstützt?
Ich bin fast jeden Tag im Gericht, was für mich den wesentlichen und auch schönsten Teil meines Berufes ausmacht. Wenn ich meine Robe anziehen kann, bin ich glücklich. Ich habe zwei Assistentinnen, die sich meine Unterstützung teilen. Die eine arbeitet von morgens 8.00 Uhr bis 15.00 Uhr und liest alles vor, was im Büro anfällt: Briefe, Akten etc. Vieles scannen wir heute auch ein, damit es mir der Computer vorlesen kann. Außerdem begleitet sie mich zu Gerichtsterminen in der gesamten Bundesrepublik. Meine andere Assistentin begleitet mich meist in die Gefängnisse und sorgt dafür, am Nachmittag das Chaos zu ordnen. Am Nachmittag kommen jeden Tag Mandanten, die viele Unterlagen mitbringen, die gesichtet und kopiert werden müssen. Also, es ist sehr bunt bei uns, jeden Tag etwas anderes. Ohne fremde Hilfe könnte ich meinen Beruf aber nicht ausüben.
Wie reagieren Ihre Mandanten darauf, dass Sie sehbehindert sind?
Inzwischen wissen die meisten Mandanten, dass ich eine Sehbehinderung habe, ich mache es aber nie bewusst zum Thema. Nicht, weil ich es verstecken will, sondern weil es meist nicht wichtig ist. Es ist kein Problem, einen Mandanten darum zu bitten, ein mitgebrachtes Schriftstück vorzulesen. Manche haben meine Sehbehinderung erst nicht bemerkt. Andere meinen, dass ich ihren Fall besonders gut bearbeiten kann, weil ich trotz dieser Sehbehinderung das Studium gemeistert habe. Manche Inhaftierten lassen sich durch meine Sehbehinderung inspirieren, sich doch noch einmal zusammenzureißen und ihr Leben neu in die Hand zu nehmen. Sie meinen, dass ihre Inhaftierung begrenzt ist, aber meine scheinbare Eingeschränktheit nie endet.
Denken Sie, Sie sind objektiver und unvoreingenommener Mandanten und Tatverdächtigen gegenüber als Anwälte, die sehen können? Wer sind Ihre Mandanten?
Auch blinde Menschen haben Vorurteile. Wenn mir die Stimme nicht gefällt oder der Mandant nicht gut riecht, kann ich genauso Vorurteile haben wie andere Kollegen auch. Meine Mandanten kommen aus allen Bereichen der Gesellschaft, und es ist ein bunter Ritt durch das Strafgesetzbuch: Diebe, Betrüger, Mörder, Brandstifter, Räuber, Drogendealer. Alles dabei. Ich habe auch sehr viele Inhaftierte als Mandanten. 99,99 Prozent sind sehend und männlich, gefühlt ebenso viele Prozent ausländischer Herkunft. Bei mir ist die ganze Welt zu Gast.
Wie waren für Sie die Dreharbeiten zu "Die Heiland – Wir sind Anwalt"? Waren Sie am Set und was haben Sie dort erlebt?
Die Dreharbeiten waren großartig! In Romys Kanzlei an ihrem Schreibtisch zu sitzen oder Lisa Martinek in einem meiner Lieblingsgerichtssäle beim Plädoyer zu erleben, ist ein unvergessenes Erlebnis gewesen. Die Rolle der Romy hat auch viel von mir, z.B. meine Hörspielkassettensammlung oder die Schneiderbüste mit der Robe darüber. Und Lisa Martinek spielt die Romy ganz wunderbar. Es war ein Ohrenschmaus, den Schauspielern bei den Dreharbeiten zuzuhören. "Die Heiland – Wir sind Anwalt" ist seit langem die erste Serie des rbb im Abendprogramm des Ersten. Ich selbst habe als Kind "Liebling Kreuzberg" gespielt. Vielleicht spielen zukünftige Rechtsanwaltskollegen ja demnächst "Die Heiland".
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