So., 02.06.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Japan: Führerschein-Prüfung für Senioren
Menschen, Massen, Sensationen – so geht es auf den Straßen von Tokio zu. Durch dieses Großstadt-Chaos kämpft sich auch Hiromi Koga. Der 74-Jährige ist Taxifahrer. Beinahe jeden Tag sitzt er hinterm Steuer. "Also Spaß ist das hier für mich nicht. Du darfst vor allem keinen Unfall bauen. Jemanden anzufahren, einen Fahrradfahrer, das wäre wirklich schlimm." Zwar gibt es in Japan immer weniger Verkehrsunfälle, tödliche Crashs aber mit älteren Fahrern nehmen jedes Jahr weiter zu.
In Chiba bei Tokio muss ein Grüppchen Renter seine Fahrtüchtigkeit beweisen. Der Test ist in Japan verpflichtend für alle über 75 –Theorie und Praxis stehen auf dem Programm. Setsuyo Shibata hat noch gut lachen. Aber dann wird es Ernst. "Man sollte nicht denken, ach, das Älterwerden das betrifft mich nicht. Ich passe schon sehr auf beim Fahren. Denn wer weiß."
Poblem: Autofahren mit Demenz
Die Aufgaben sind leicht: Bilder sollen richtig zugordnet werden: Kanone, Orgel, ein Ohr, ein Radio. Kann man sich merken, findet Frau Shibata und legt los. Manch anderer kommt bereits schon jetzt ins Schleudern. Eines der großen Probleme bei alten Autofahrern: Demenz. "Die Leute können sich nicht mehr gut orientieren", sagt Fahrlehrer Yanagida. "Sie wissen oft nicht mehr recht, wo sie sind." Manche schaffen es schon nicht, das aktuelle Datum richtig auszufüllen. Oder so einfache Dinge, wie ihr eigenes Geburtsdatum."
Das Auto ist wichtig für die Menschen auf dem Land. Auch deswegen fiebern die Fahrschüler dem Ergebnis nervös entgegen. Frau Shibata ist erleichtert. 96 Punkte, fast volle Punktzahl. Vor allem: ein Fehler weniger als ihr Ehemann.
Bei Herrn Nakayama lief es nicht so gut. Auffassungsgabe, Erinnerungsvermögen – alles lässt nach. Den Führerschein abgeben will er trotzdem nicht: "Ich wohne im Moment alleine. Ich kann nicht ohne Auto. Für mich wäre das Abgeben des Führerscheins das Ende des Lebens, so, wie ich es bisher kenne."
Im Schritttempo durch den Parcours
Frau Shibata muss jetzt zeigen, was sie noch drauf hat – im Praxistest. Durch den Parcours geht es vorsichtig, fast im Schritttempo: gasgeben, einparken, abbiegen. Frau Shibata guckt nach rechts, aber fährt nach links. Ihr Fahrlehrer ist trotzdem zufrieden: "Frau Shibata ist etwas nervös, aber gut. Bei anderen alten Fahrern merke ich oft, dass sie einfach nicht rechtzeitig anhalten. Gut wäre: Anhalten und im Kopf nochmal bis drei zählen."
Menschen den Führerschein wegnehmen darf die Polizei in Japan nur in Ausnahmefällen. So kommen sie hier auf immer neue Ideen, damit ältere Menschen ihren Führerschein freiwillig abgeben.
Führerschein abgeben – Rabatt für die Einäscherung
Die Bestatterin Natsuko Kusakabe hatte die vielleicht verrückteste: Wer seinen Führerschein abgibt, bekommt später Rabatt auf die Einäscherung. "Wir verteilen unsere Flyer an alle Leute, auch an die Jungen. Damit sie ihre Eltern und Großeltern zu Hause ansprechen, falls sie sich Sorgen machen darüber wie sie Auto fahren", erklärt sie.
Auch mit Rabatten beim Schnellimbiss haben sie schon experimentiert oder beim Busfahren. Den Beerdigungsrabatt aber hat noch niemand angenommen.
Autor: Philipp Abresch, ARD Studio Tokio
Stand: 23.07.2019 14:06 Uhr
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