So., 24.03.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Neuseeland/Australien: Suche nach Wurzeln für den Rassismus?
Neuseeland trauert um die 50 Toten des Terroranschlags von Christchurch. Die Regierung will die Waffengesetze verschärfen, Besitzer geben ihre Schusswaffen von sich aus zurück. Das friedliche Land am anderen Ende der Welt hat seine "Unschuld" verloren, heißt es. Aber woher kam der Hass, woher kommt der Rassismus, der zu diesem brutalen Verbrechen geführt hat?
Neuseelands Premierministerin Adern steht für Zusammenhalt
Eine Woche nach den Anschlägen kommen die Menschen zusammen – zum Freitagsgebet in Christchurch. Auch Mustafa Boztas, Flüchtling aus Syrien, ist dabei. Er hat den Angriff auf die Al Nour Moschee mit viel Glück überlebt: "Mir wurde ins Bein geschossen, die Kugel ist durch meinen Körper gewandert. Ein Stück steckt noch zwischen meinen Rippen. Ich bin geschockt, denn ich hätte niemals für möglich gehalten, dass so etwas in Neuseeland passiert." 5.000 gläubige Muslime sind zum Gebet gekommen – und dreimal so viele, die vor allem eines wollen: Anteil nehmen, trösten, stärken. Imam Gamal Fouda warnt vor der bösen Idee, einer angeblich weißen Überlegenheit. Vor allem aber sagt er danke an die Regierung und die wunderbaren Neuseelaender: Dass ihr uns zeigt, das wir Euch nicht egal sind.
Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern stellt den Zusammenhalt in den Vordergrund: "Wenn ein Teil des Körpers leidet", zitiert Ardern ein muslimisches Sprichwort, "dann fühlt der ganze Koerper den Schmerz. Neuseeland trauert mit Euch. Wir sind eins." Umringt von Menschen und kaum zu sehen, aber Adern hat eine wichtige Botschaft: Rassismus gibt es überall. Und ihn bekämpfen muss die ganze Welt.
Australien: Angst vor Überfremdung
Dieser Kampf findet in Australien schon statt. Im Land der Einwanderer wächst bei vielen die Angst vor Überfremdung. Rechtsextreme Gruppen wie die United Patriots Front oder die Australian Defence League marschieren auf. Muslimische Immigranten seien Schuld an steigender Kriminalität und wachsender Arbeitslosigkeit, behaupten sie. Und sie demonstrieren – zum Beispiel gegen den Neubau einer Moschee vor vier Jahren. "Am Ende des Tages könnt ihr entweder ein Muslim sein oder Australier. Die oder wir. Ein Miteinander kann es nicht geben", sagt Blair Cottrell von der United Patriots Front.
Noch sind es nur einige Tausend, die die Rechtsextremen mobilisieren. Aber die Sorge, dass weitere Kriegsflüchtlinge, zum Beispiel aus Syrien und Afghanistan nach Australien kommen, beschert ihnen Zulauf. Genauso wie die Angst, dass Terrorattacken durch Islamisten wie 2014 in Sydney wiederholen könnten. Auch rechtspopulistische Politiker wie der unabhängige Senator Fraser Anning aus Queensland setzen auf dieses Klientel. Er gilt als Vertreter der Neuen Rechten, ist ein Trump-Bewunderer. Sein Credo: Make Australia great again! Lasst uns Australien wieder groß machen! Mit den Rechtsextremen von der United Patriots Front zeigt er sich auch öffentlich. Und: Anning verknüpft antimuslimische Vorurteile mit Nazi-Rhetorik - so wie bei seiner Antrittsrede im Senat im vergangenen Jahr: "Viele, die angeblich Asyl suchen, wollen doch nur unsere Sozialleistungen. Die Eendlösung des Zuwanderungsproblems kann nur eine Volksabstimmung sein."
Anti-Islam-Rhetorik spaltet die Gesellschaft
Nun, nach dem Terror von Christchurch, fühlt sich Anning missverstanden, will nur einer sein, der sich um sein Land sorgt. Und diesen Satz mit der "Endlösung" hätten linke Medien aufgebauscht: "22 andere Parlamentarier haben das auch gesagt. Endlösung! Im Parlament. Aber nur ich werde deswegen angegriffen. Das ist doch ungerecht!" Und dann kommen sie doch, die Sätze vom angeblichen Bevölkerungsaustausch. Immer mehr Muslime würden die weißen Australier verdrängen. Zu was das führe, sehe man doch in Europa: "Schweden ist doch fast schon verloren. Großbritannien. Frankreich, Belgien. Und auch ihr in Deutschland habt doch diese Zuwanderer. Nicht mehr lange, und ihr werdet sehen, was das für Probleme gibt." Das ist Annings Weltbild. Ähnliches hatte auch der Christchurch-Attentäter behauptet. In einem sogenannten Manifest, das seinen Massenmord an den Muslimen begründen sollte.
Tragen Politiker wie Fraser Anning Mitschuld am rechtsextremen Terror? Nun verurteilt er die Tat natürlich. Aber seine Anti-Islam-Rhetorik spaltet die Gesellschaft. Und auch er selbst wird zur Zielscheibe. So wie bei einer Pressekonferenz unmittelbar nach den Christchurch-Attacken: Aus Protest gegen die Anti-Muslim-Rhetorik des Senators attackierte ihn ein Jugendlicher mit einem rohen Ei. Und Annings Leute schlagen hart zurück: "Der Typ kam von hinten, das war dumm. Da hat er eben eine Ohrfeige bekommen. Die hätte ihm seine Mutter schon viel früher verpassen sollen", sagt Anning. Die Geschichte von der Ei-Attacke ging um die Welt, in Melbourne konnte man sie sogar als Wandbild betrachten. Aber dann übermalten es Unbekannte wieder. Islamfeinde und ihre Kritiker stehen sich unversöhnlich gegenüber in diesen Tagen in Australien.
Ardern ändert Waffengesetze in fünf Tagen
Neuseeland zeigt sich dagegen wehrhaft – auch ohne Waffen. Denn Premier Ardern nimmt nicht nur Anteil. Sie handelt auch entschlossen: Binnen einer Woche hat die Premierministerin alle voll- und halbautomatischen Waffen im Land verbieten lassen. Ihr ist damit in fünf Tagen gelungen, was in den USA seit Jahrzehnten unmöglich ist. "Was ich getan habe, hat nichts mit Führungskraft zu tun. Es ist nur der Widerhall der Menschlichkeit von uns hier in Neuseeland", sagt Ardern.
Rote Rose, schwarzes Kopftuch – ein Bild aus Neuseeland für die Welt. In Christchurch werden die Opfer des Angriffs beerdigt. Viele von Ihnen kamen als Flüchtlinge nach Neuseeland. Jetzt hallen die Namen der Toten über den staubigen Platz. Alle Würde den 50 Opfern. Dem Täter aber keinerlei Publicity – kein Name, kein Gesicht. Neuseeland straft ihn mit Ignoranz. Auch das ein Verdienst der Premierministerin. "Ardern hat einen wahnsinnig guten Job gemacht für die Neuseelander. Sie hat uns gezeigt, was Liebe ist. So viel Zuneigung ist unglaublich. Sie ist wunderbar", sagt Flüchtling Mustafa Boztas.
Eine schreckliche Tat vereint die Menschen. Die Antwort auf blanken Hass, so glauben sie hier in Christchurch, ist Zusammenhalt und Mitgefühl. Neuseeland zeigt der Welt, wie es gehen kann.
Autoren: Philipp Abresch/Jan Liebold
Stand: 24.03.2019 20:32 Uhr
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