So., 24.03.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Vietnam: Die schwimmenden Märkte verschwinden
Sein Boot war einst der ganze Stolz von Herrn Trinh – sein eigenes schwimmendes Ananas-Geschäft. Und: Es war das Zuhause für die ganze Familie. Doch das ist vorbei, wie Herr Trinh traurig erzählt: "Meine Frau und ich saßen zusammen, haben das Geld gezählt und mussten uns eingestehen, dass es nicht reicht für uns. Wir haben dann unseren Kindern gesagt, dass sie sich einen Job suchen müssen in der Stadt." Seine Kinder und seine Frau hat Herr Trinh inzwischen nach Ho-Chi-Minh-Stadt geschickt, damit sie dort Arbeit finden und so das Überleben der Familie sichern. Früher hat Ching seine ganze Familie ernährt, jetzt ist der stolze Vater auf die Unterstützung seiner Kinder angewiesen.
Schon seine Eltern lebten hier auf dem Fluss im Mekong-Delta, aber früher waren es Hunderte Boote mehr. Alles, was die fruchtbare Region im Süden Vietnams zu bieten hat, wurde damals auf dem Wasser gehandelt. "Der Markt hat sich verändert. Es ist für alle schwer geworden, hier den Lebensunterhalt zu verdienen. Es werden weniger, viele Händler geben auf", sagt Nguyen Van Trinh.
Saigon: Fabrikarbeiter statt schwimmende Händler
Ho-Chi-Mingh-City ist 190 Kilometer entfernt, aber es scheint so, als wäre es ein anderer Planet. Die Millionenstadt, die früher Saigon hieß, wächst rasant, wird immer moderner. Die Wirtschaft boomt. Chings Sohn Phue war 16 als er vor zwei Jahren in der Papierfabrik am Rand der Stadt anfangen musste. Seine Aufgabe: 20.000 Toilettenpapierrollen am Tag produzieren. Dafür arbeitet er neun Stunden – zwischendurch gibt es eine Pause.
Viele der jungen Arbeiter stammen wie Phue aus dem Mekong-Delta. Sie versuchen in den Fabriken der Stadt zu überleben und teilzuhaben am wirtschaftlichen Erfolg ihres Landes. Ein modernes Leben zu führen, anders als die Eltern. Phue allerdings sehnt sich zurück. Umgerechnet 260 Euro verdient er im Monat – für Essen, Miete und um ein bisschen für den Vater zu sparen. "Manchmal will ich aufgeben, der Job ist so hart. Aber dann denke ich, ich darf das nicht, ich muss das Geld für meine Familie verdienen, also mache ich weiter", sagt Nguyen Huu Phuc. Die Mutter hat ein Zimmer gemietet. Auch sie arbeitet jetzt in der Stadt, gemeinsam mit der Tochter in einer Holzfabrik. Fast jeden Tag machen sie Überstunden, um den Verdienst aufzubessern. Der Feierabend beginnt für alle erst spät und wie so oft fragt sich die Mutter, ob es richtig ist, was sie tun: "Zuhause auf dem Wasser haben wir mehr Freiheiten. Das Leben in der Stadt ist viel teurer. Hier muss ich Miete zahlen, hab immer Ärger mit dem Vermieter und der Wohnraum ist ja auch sehr klein." Die Kinder mussten schnell lernen, erwachsen werden.
Lkw verdrängen Boote im Mekong-Delta
Das Leben in Saigon hat die Familie verändert. Mehr als ein halbes Jahr haben sie den Vater nicht gesehen. Alle vermissen den Vater. Aber: Das Geschäft des Vaters zu übernehmen, zurückzukehren auf den schwimmenden Markt – längst ist das unvorstellbar. Die Verkäufer auch auf den kleineren Booten spüren, dass der Markt seine Bedeutung verliert. Ein Jahrhundert lang war es das Handelszentrum. Auf den zahlreichen Wasserstraßen konnten früher die Waren schneller und günstiger transportiert und gehandelt werden als an Land. "Es läuft schlecht seit die großen Straßen fertig sind. Die Früchte hier aus der Region können jetzt einfacher mit dem Lkw transportiert werden. Unser Geschäft geht den Bach runter", erklärt Nguyen Van Trinh.
Schwimmende Märkte erhaltenswertes Kulturerbe
Welche Überlebenschance hat die Tradition in einem Land, das sich so schnell verändert wie Vietnam? Während die Zahl der Händler sinkt, steigt die Zahl der Touristen. Die schwimmenden Märkte sind eines der beliebtesten Reiseziele in Vietnam. Das frühmorgendliche Treiben ist ein begehrtes Fotomotiv. Die vietnamesische Regierung hat die Märkte zum erhaltenswerten Kulturerbe erklärt. Auch, um noch mehr Touristen in die Region im Süden des Landes zu locken. Aber die Händler können sich von den Urlaubern allein nicht über Wasser halten. Auch sie fühlen sich fast wie Touristen – in ihrer eigenen Heimat.
"Ich wünsche mir eine Zukunft für den schwimmenden Markt, er soll nicht verschwinden. Vielleicht haben wir irgendwann genug Geld für ein Haus am Ufer, und dann machen wir für die Touristen weiter", hofft Nguyen Van Trinh.Mit einem kleineren Boot dann. Aber Ananas möchte Ching weiter verkaufen, gemeinsam mit seiner Frau noch ein wenig die Familientradition erhalten.
Autorin: Christiane Justus, ARD Studio Singapur
Stand: 23.07.2019 14:11 Uhr
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