So., 19.01.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Russland: Putins Plan für die Zukunft
Russland ohne Putin? Das ist kaum vorstellbar, am wenigsten wohl für ihn selbst. Seit 20 Jahren ist er nun an der Macht, mit ihm – ob als Präsident oder als Regierungschef – ist eine ganze Generation groß geworden. Und: ein ganzes Land redet vom "Problem 2024". Denn dann endet Putins Amtszeit als Präsident.
Absicherung der Machtelite
Es gehe nicht nur um Putins Zukunft, sagt die Soziologin und Elitenforscherin Olga Kryschtanowsjaka von der Russische Akademie der Wissenschaften. Es gehe darum, sein gesamtes Umfeld abzusichern. "Er muss dafür sorgen, dass die jetzige Machtelite, all die Leute um ihn herum, auch nach 2024 sicher sind. Dass sie möglichst nichts von ihrem Reichtum verlieren. Und es geht um ihre unmittelbare Sicherheit. Denn wir wissen ja, dass in autoritären Systemen jede Form von Machtübergang immer ein Problem ist."
Erlaubt sind nur zwei Amtszeiten hintereinander. Das Problem hatte Putin schon mal. 2008, nach den ersten beiden, hatte er deshalb das Büro geräumt - zeitweise. Es übernahm der absolut loyale Dmitrij Medwedew. Putin wurde Regierungschef – und wartete. Vier Jahre lang traten die beiden dann gemeinsam auf – das Tandem, nannte man sie. 2012 fuhr Putin zurück in den Kreml. Rochade rückwärts. Zur Amtseinführung war die halbe Stadt abgesperrt. Und für ihn war der Weg frei für zwei weitere Amtsperioden. Zuvor hatte man die schnell noch auf je sechs Jahre verlängert. Doch auch zwei mal sechs Jahre sind endlich.
Putin kündigt Verfassungsänderungen an
Vergangenen Mittwoch: Alle Sender übertragen Putins jährliche Rede an die Nation. Wer ihm zuhörte, verstand, dass er das "Problem 2024" längst angegangen ist. Er kündigte Verfassungsänderungen an. Regierungschef und Parlament sollen in Zukunft gestärkt werden, der Präsident geschwächt. Russisches Recht soll über das internationale gestellt werden. Vieles blieb wolkig, zu allem gab es Applaus.
Dann ging es Schlag auf Schlag: Gleich nach der Rede reichte Regierungschef Medwedew bei Putin seinen Rücktritt ein, wenig später sah das überraschte Volk auf demselben Besucherstuhl schon einen anderen Mann sitzen: Michail Mischustin, den neuen Regierungschef.
Überraschung ist bei Putin Programm, sagt der Politologe Kirill Rogow. "Wir alle haben ein wenig die Orientierung verloren in dem, was da gerade passiert. Sie machen richtig Tempo, im Februar sollen die Verfassungsänderungen fertig sein, im Mai verabschiedet. So schnell, damit die Leute gar nicht nachkommen, gar nicht eingehen können auf die Vorschläge, die da gemacht werden."
Mehrere Optionen nach 2024 für Putin?
Der Umbau der Machtstrukturen im Staat hat begonnen. Mit der geänderten Verfassung will Putin sich für die Zeit nach 2024 offenbar gleich mehrere Optionen schaffen. Laut seiner Rede werden verschiedene Posten vorbereitet, die bei Bedarf weiter aufgewertet werden können. Ein gestärkter Regierungschef zum Beispiel. Möglich sei auch, sagt Elitenforscherin Olga Kryschtanowsjaka, ein Sicherheitsratschef, dem man alle Verteidigung- und Sicherheitsorgane unterstellt. Es gäbe dann natürlich immer noch einen Präsidenten, sagt sie, aber dem wären Grenzen gesetzt.
Putin als eine Art Generalsekretär, Chef eines Politbüros 2:0 – alles denkbar. Die größte Sorge sei aber nicht die Aussicht auf einen ewigen Putin, sagt Kirill Rogow. Er hat die vielen Verfassungsänderungen gelesen, die Putin vorschlägt: "Die neue Verfassung wird Putins Doktrin spiegeln: etwa seinen Isolationismus – russisches Recht über dem internationalen. Oder seine Absage an das Prinzip der Gewaltenteilung, an die Unabhängigkeit der Gerichte. An all das, was im Westen zum Fundament eines modernen Staats gehört."
Putins große Rede wurde auf allen Kanälen gelobt. Am Tag danach seien seine Beliebtheitswerte gestiegen, vermeldet das staatliche Umfrageinstitut. 67 Prozent der Russen hießen seine Arbeit als Präsident gut.
Autorin: Ina Ruck, ARD Studio Moskau
Stand: 23.01.2020 17:32 Uhr
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