Mo., 01.05.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Kenia: Arztbesuch im Niemandsland – Unterwegs mit der Kamelklinik
Der letzte ruhige Sonnenaufgang – ab heute warten vier Wochen harte Arbeit auf die Kamelführer und ihre Schützlinge. Auch 15 ungnädige Tiere ahnen schon, was auf sie zukommt – bestückt mit Zelten, Proviant und vor allem mit Medikamenten. "Das Kamel hier? Das hat keine Lust, die schwere Last zu tragen", erzählt ein Kamelführer. "Er ist das erste Mal dabei, er ist noch in der Ausbildung. Aber mit der Zeit wird er sich schon einkriegen, spätestens nach ein paar Tagen." Abgesehen von den Tieren sind die, die diesen harten Trip auf sich nehmen, mit Leidenschaft bei der Sache. Neben den Kamelführern gehören der Arzt Godwin Ruto und die Krankenschwester Pauline Kopiki zum Team der mobilen Klinik. Dafür opfern sie sogar ihren Urlaub. "Da, wo Straßen sind, wissen die Leute schon eine Menge, aber da, wo wir hingehen, haben sie noch nicht viel zum Beispiel über Familienplanung gehört", erzählt die Krankenschwester. "Es ist aber wichtig, dass wir diese Menschen auch erreichen."
Es mangelt an sexueller Aufklärung
Erstmal muss die Karawane runter ins Tal, ins Rift Valley. Autos können hier nicht mehr passieren. Aber auch die Kamele sind nicht begeistert. "Die sind das eigentlich gewöhnt, aber Kamele lieben es, sich zu beschweren", sagt der Kamelführer: "Bei der Ausbildung, morgens, abends, sogar, wenn ich es nur so kurz berühre. Jammern gehört einfach zu ihrer Natur." Schon am Wegesrand spricht die Krankenschwester Pauline Frauen an und lädt sie zur Sprechstunde ein. Familienplanung, Verhütungsmethoden – Aufklärung darüber ist eine der Hauptaufgaben der Kamelklinik. Nach einem fünfstündigen Marsch sind alle erschöpft, aber heil unten an der ersten Station im Rift Valley angekommen. Für die Kinder sind die Kamele wie eine Zirkus-Attraktion. Pauline und Godwin Ruto öffnen ihre Krankenstation unter freiem Himmel. Der erste Patient möchte einen HIV-Test machen. Der Mann fragt, ob er sich mit verunreinigter Nahrung anstecken kann. Pauline erklärt ihm geduldig, dass HIV durch ungeschützten Sex mit einer infizierten Person übertragen wird und zeigt ihm, wie er sich mit einem Kondom schützen kann. Er hat noch nie zuvor eines gesehen.
Um die zehn Kinder sind normal
Die Frauen scheinen sich nicht zur mobilen Klinik zu trauen, also geht Pauline im Ort herum und klärt über Verhütung auf. Die meisten wollen davon nichts hören. Eine Frau kann Pauline schließlich überzeugen. Phillis ist 36 Jahre alt und hat bereits neun Kinder. Jetzt stimmt sie zu, sich ein Hormon-Implantat setzen zu lassen, mit dem sie drei Jahre lang nicht schwanger wird. Arzt Godwin Ruto behandelt sie unbemerkt von Neugierigen zu Hause. "Die Menschen hier glauben, dass diese Implantate für immer unfruchtbar machen", erzählt Pauline. "Es fehlt ganz klar an Aufklärung. Außerdem sind viele davon überzeugt, dass Frauen, die verhüten, Prostituierte seien." Ihr Mann, so ist Phyllis überzeugt, will noch mehr Kinder, aber das unsichtbare Implantat kann sie vor ihm verheimlichen. "Ich möchte erstmal dafür sorgen, dass die Kinder, die ich schon habe, eine ordentliche Ausbildung bekommen", sagt Phyllis. Neun Kinder, erzählt sie, seien gar nicht so viel, ihre Nachbarinnen hätten alle zehn, elf oder zwölf.
Binden oder Tampons gibt es nicht
Pauline besucht die Schule von Waseges. Sie ist so voll, wie man es bei dem kleinen Ort nicht vermuten würde. Aber jede Familie hat eben um die zehn Kinder. Der Sexualkundeunterricht ist in den meisten ländlichen Schulen in Kenia rudimentär. "Solange ihr in die Schule geht", sagt Pauline zu dem Thema, "müsst ihr eure Beine für die Männer geschlossen halten." Die Krankenschwester hat den Mädchen etwas mitgebracht: wiederverwendbare Stoffbinden. Sobald sie nämlich ihre Periode bekommen, fällt die Schule für sie in dieser Zeit aus – Binden oder gar Tampons gibt es nicht, daher warten die Mädchen meist zu Hause, bis die Blutung vorbei ist. Mit den wiederverwendbaren Stoffbinden hofft Pauline, dass sich das verhindern lässt. Leider reichen die Binden nicht mal für die Hälfte der Mädchen.
Medizinischer Abenteuertrip
Am nächsten Morgen geht es weiter – tiefer ins kenianische Niemandsland hinein. Im Örtchen Sambaka warten schon einige Patienten, Wochen vorher sind sie bereits über die Visite der Kamelklinik unterrichtet worden. Die Kamelführer haben erstmal frei und ersteigern auf einer Ziegenauktion ein Tier fürs Abendessen. Der Arzt Godwin Ruto untersucht eine Patientin nach der anderen. Die alte Dame hat gleich mehrere Beschwerden. Das nächste Krankenhaus ist eine Tagesreise entfernt – kaum jemand hier hat Geld für den Transport. Die Menschen in diesen abgelegenen Regionen Kenias fallen durchs Raster der Gesundheitsversorgung. "Für die Kamelklinik zu arbeiten ist so schwierig", erzählt der Arzt Godwin Ruto. "Erstmal müssen wir die Leute erreichen und dann dazu bringen, zu uns zu kommen. Wir müssen ständig improvisieren. Wir können auf den Kamelen ja auch nicht so viel transportieren. Es ist ganz anders als in einem normalen Krankenhaus." In so einem arbeitet er sonst, aber seit zwei Jahren verbringt Godwin Ruto seinen Jahresurlaub bei der Kamelklinik. Der Gesellschaft etwas zurückgeben, so nennt er es.
Die Kamelführer haben die ersteigerte Ziege in alle Einzelteile zerlegt und bereiten von Suppe über Blutwurst und Gulasch alles zu. Die meisten von ihnen haben nie etwas anderes gemacht, als mit Kamelen durch Kenia zu ziehen. "Ich bin bei der Kamelklinik dabei, weil ich glaube, dass es besser ist als jede andere Arbeit", erzählt einer. "Da, wo ich herkomme, gibt es aber auch nicht viele Alternativen." Bei allen Strapazen: Das Team der mobilen Kamelklinik hat auch viel Spaß bei diesem medizinischen Abenteuertrip. Und abends, am Lagerfeuer, da beschweren sich sogar ausnahmsweise die Kamele nicht mehr.
Autorin: Sabine Bohland, ARD Studio Nairobi
Stand: 14.07.2019 12:22 Uhr
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