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Das Erste
Indien: Erster Kindergeburtstag – Zu Besuch bei der ältesten Mutter
So richtig in Feierlaune ist er noch nicht am Geburtstagsmorgen. Aber Armaan ist wohlauf. Und wie die Mutter sagt, meistens sehr munter, wie kleine Kinder halt so sind. "Er will immer spielen", erzählt sie. "Er klettert auf mir herum, als wäre ich eine Leiter. Und er hämmert mit seinen kleinen Fäusten gegen mich. Einmal hat er mir einen solchen Kopfstoß gegeben, dass mir die Zähne immer noch wehtun." Daljinder tut in diesen Tagen der ganze Körper weh. Sie leidet an Arthritis. Fühlt sich der Mutterrolle körperlich oft nicht gewachsen. Und in ihrem Ehemann Mohinder hat sie auch nicht immer eine starke Stütze. Er ist 80, sie 72. "Wenn ich so fit wäre wie meine Mutter in meinem Alter, dann wäre es ja kein Problem. Aber ich bin nun mal krank. Vor Schmerzen kann ich nicht einmal richtig schlucken. Doch das hat nichts mit meinem Sohn und der Geburt zu tun."
Ein Wunschkind - mit über 70
Armaan ist ein Wunschkind. Den Wunsch hatten Daljinder und Mohinder seit ihrer Hochzeit vor 47 Jahren. Er blieb unerfüllt. Bis sie im Fernsehen die Werbung einer Klinik sahen, die sich speziell an ältere Frauen mit Kinderwunsch richtete. Zwei Jahre dauerte die Behandlung. Mit einer gespendeten Eizelle gelang schließlich die Befruchtung.
Etwas untergewichtig, aber gesund
Vor einem Jahr: Aufnahmen aus den Tagen kurz nach der Geburt. Der kleine Armaan ist etwas untergewichtig, aber sonst gesund. Daljinder ging in der Mutterrolle auf und war, genau wie ihr Mann, überglücklich. "Ich habe immer den Glauben daran behalten, dass ich ein Kind bekommen würde", sagt sie. "Und jetzt hat es endlich geklappt." Mit dem Elternglück kamen auch Probleme. Wie das Gerede in der Nachbarschaft. Viele dort sahen die späte Geburt kritisch. Und noch ein anderes Problem zerrte an den Eltern: Sie wurden erpresst, es gab sogar eine Morddrohung. "Eines Tages kriegte ich einen Anruf", erzählt Mohinder. "Jemand forderte umgerechnet 10.000 Euro, sonst würde er mich töten und unser Kind verschleppen. Ich habe Anzeige erstattet. Wir bekamen Polizeischutz. Wochenlang haben wir uns nicht aus dem Haus getraut." Mittlerweile fühlen sich die Eheleute wieder sicher genug, um mit Armaan einen Geburtstagsausflug zu machen. Es geht zu einem Tempel in der nordindischen Stadt Chandigarh. Dort wollen sie eine Zeremonie abhalten. Zum Dank für die göttliche Geburtshilfe.
Hilfe aus der "Nationalen Fruchtbarkeitsklinik"
Die medizinische Unterstützung haben sie hier bekommen: "Nationale Fruchtbarkeitsklinik" nennt sich die Einrichtung. Anurag Bishoi ist einer der führenden Spezialisten Indiens – und seit der Weltrekord-Geburt berühmt. Einige Kollegen haben ihm deswegen Profilierungssucht vorgeworfen. Blödsinn, sagt er: "Daljinder war einfach sehr hartnäckig. Und schließlich gibt es doch kein Gesetz, das eine so späte Geburt verbietet." Die meisten Frauen, die hier Hilfe suchen, sind jünger als 40 Jahre. Einen Boom an Senioren-Schwangerschaft gibt es nicht. "Man darf nicht vergessen: Frauen wie Daljinder hatten früher nicht die Chance einer künstlichen Befruchtung", sagt der Arzt. "Anders als heute, da wartet doch keine Frau bis ins hohe Alter."
Rituelles Geburtsfest für Armaan
Daljinder und Mohinder sind mit ihrem Sohn am Tempel angekommen. Sie gehören der Sikh-Glaubensgemeinschaft an, da tragen Männer Turbane, und Armaan bekommt schon mal einen Vorgeschmack. Auch beim Anbetungsritual kann er mitmachen. Für die Priester ist die späte Geburt kein Wunder – sondern Karma. "Jeder bekommt das, was für ihn bestimmt ist", sagt der Priester Lakhwinder Singh. "Diesem Paar war es bestimmt, einen Sohn zu haben. Dass sie zunächst kinderlos blieben, war Vorsehung, und dass es am Ende doch geklappt hat, auch." Die Eheleute verköstigen die Tempelbesucher. Rituelles Geburtstagsfest für Armaan. Aber auch hier stehen einige der späten Geburt skeptisch gegenüber. "Es ist ja Gottes Sache, wem er ein Kind schenkt. Aber ehrlich gesagt finde ich das in dem Alter schon problematisch", sagt ein Mann.
Die Eltern fragen sich oft, was mit Armaan wird, wenn sie nicht mehr da sind. Sie haben keine engen Verwandten, überlegen deshalb, ihn in ein paar Jahren auf ein Internat zu schicken. Er soll trotz seiner ungewöhnlichen Eltern ein ganz normaler Mann werden. Und auf dem Weg dahin wollen sie ihn noch ein paar Jahre begleiten.
Autor: Markus Spieker, ARD Studio Neu Delhi
Stand: 14.07.2019 12:22 Uhr
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