So., 04.09.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Ägypten: Bedrohtes Alexandria
Den größten Teil des Strandes hat das Meer schon aufgefressen. Vor wenigen Jahren noch saßen hier Sonnenanbeter über sechs Stuhlreihen. Eine ist geblieben. Fast 30 Meter Strand werden mittlerweile überspült. Oft peitschen die Wellen sogar direkt gegen die Gebäude. Auch gegen dieses beliebte Strandcafé. Der Blick ist einzigartig. Die Zukunft ungewiss. Die Einnahmen von Tamer Himeda zerbröseln. Der 42-Jährige betreibt das Café seit mehr als 20 Jahren. Doch nun scheinen die Tage gezählt, ebenso wie die der ganzen Häuserzeile: "Wenn das so weitergeht, gibt es hier bald keinen Strand mehr, überhaupt nichts mehr. Im nächsten Jahr wird das Meerwasser bis hier an die Kante kommen."
Risse an der Wand markieren die Bruchstellen. 2019 kollabierte der Vorbau unter dem Druck der Wellen. Seither lebt Tamer Himeda in Angst.
Geht Alexandria unter?
Der einstigen Perle des Mittelmeers droht der Untergang, gegründet vor mehr als 2400 Jahren durch Alexander den Großen, geistiges Zentrum der Welt, heute zweitgrößte Stadt Ägyptens mit mehr als fünf Millionen Einwohnern, über 60 Kilometer umspült von Wasser, das mit steigendem Meeresspiegel immer näher rückt an die historischen Gebäude. Früher oder später werden sie überspült, wie Wissenschaftler befürchten.
Verzweifelt versucht die Stadtverwaltung die Kraft der Wellen zu brechen. Mitarbeiter des Küstenschutzes versenken Zehntausende tonnenschwere Tetrapoden entlang der Küste. Seit September läuft das Projekt. Die Zeit drängt. Es gilt Paläste zu schützen, historische Brücken, Leuchttürme, bevor es zu spät ist
Auch Strände sollen mit einer Wand aus Betonklötzen geschützt werden. Nach und nach versenken Kräne die Tetrapoden im Meer: eine gefährliche Mission gegen die Naturgewalten, Dutzende Millionen Euro teuer.
Vor allem in den engen Gassen Alexandrias sind die Bewohner den Wassermassen schutzlos ausgeliefert. Viermal wurde die kleine Wohnung von Ahmed Ramadan und seine Frau Mansura im vergangenen Winter überflutet. Die Folge von steigendem Meeresspiegel und Starkregen. Die Rentner haben kein Geld, um die Wände immer wieder neu zu streichen oder gar wegzuziehen. Sie behelfen sich mit Plastikplanen und Steinen, auf die sie ihre Möbel stellen. Bei der letzten Flut haben sie ihre Möbel und die meisten Elektrogeräte verloren. Tagelang konnten sie nicht in ihre Wohnung, saßen auf der Straße.
Die Kanalisation von Alexandria hält dem Mix von Regen- und Meerwasser längst nicht mehr stand: zu wenige Rohre, zu dünn und oft verstopft, auch wenn die Stadtverwaltung sie regelmäßig reinigt. Neue werden in Küstennähe gebaut. Sie sollen das Wasser zurück ins Meer führen. Doch all das wird das Problem auf Dauer wohl kaum lösen.
Und doch hoffen viele in Alexandria, dass ein Wunder geschieht, sie irgendwie noch glimpflich davonkommen. Wünsche, die kaum erfüllbar scheinen. Auf Dauer können die Menschen von Alexandria dem Klimawandel nicht viel entgegensetzen.
Autor: Daniel Hechler, ARD Kairo
Stand: 05.09.2022 10:01 Uhr
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