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Georgien: Am Scheideweg zwischen Russland und der EU

Georgien: Am Scheideweg zwischen Russland und der EU | Bild: Norbert Hahn, ARD Moskau

Tiflis, Georgiens Hauptstadt. Etwa ein Drittel der 3,7 Millionen Einwohner des Landes lebt hier, in diesen Tagen umringt von Wahlplakaten an jeder Ecke. Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ tritt gegen sieben Parteien der Opposition an. Es ist ein Ringen um den richtigen Weg: in die EU – oder nach Russland?
Die georgischen Regionen Südossetien und Abchasien sind seit dem Kaukasuskrieg 2008 praktisch von Russland besetzt. Russland ist eines der ganz wenigen Länder die sie als unabhängige Staaten anerkannt haben.
Wir fahren aufs Land, wo der „Georgische Traum“ seine Hochburgen hat – und wo man eher auf Russland setzt. Hier, nordwestlich von Tiflis, lebt man von der Landwirtschaft – vor allem dem Weinbau. Der Winzer Soso Lekishvili empfängt uns. Bei der Ernte packt auch seine Frau an. Familienwerte, Glaube und Traditionen werden hochgehalten. So wollen es die Lekishvilis, so will es der Georgische Traum. Manches von dem, was aus Brüssel kommt, hat da keinen Platz wie etwa gleichgeschlechtliche Lebensentwürfe.
Aus Weintrauben wird Saft – so geht’s hier seit mehr als 70 Jahren. Am Ende, wenn aus allem Wein geworden ist, wird er nach Russland exportiert. Oder die russischen Touristen nehmen ein paar Flaschen mit. Man brauche Russland nun mal, sagt Soso Lekishvili.

Vertriebene im eigenen Land

Nicht weit entfernt von den Lekishvilis: Das Flüchtlingsdorf Tserovani, erbaut für 10.000 Georgier, die aus den von Russland besetzen Gebieten vertrieben worden sind. Auch hier: Wahlwerbung des Georgischen Traums, überall. Geld scheint für die Partei keine Rolle zu spielen; hinter ihr steht der wohl reichste Mann des Landes, mit guten Kontakten zu Moskau.
In einem der Häuschen lebt Spartak Basharuli mit seiner Familie. 2008 wurde er von der russischen Armee aus Südossetien vertrieben. Das Land hat er verloren – immerhin hat er nun Bienenvölker und kann durch Honigverkauf dazu verdienen. Er ist wütend auf die Russen – und die Regierungspartei, die behauptet, nur sie könne den Frieden bewahren.

Jung, urban und für die Europäische Union

Sie alle wollen auch in die EU: Massendemonstrationen in Tiflis, im Mai. Es geht um Gesetze, die die Meinungsfreiheit beschneiden und autokratische Tendenzen zeigt – ganz wie in Russland, sagen sie hier. Auf der Straße: vor allem junge Leute. Viele von ihnen haben inzwischen EU-Länder bereist. Anders als ihre Eltern lernen sie lieber Englisch als Russisch. Menschenrechtsaktivistin Ana Jabauri hat in Budapest und Wien studiert, setzt sich für inhaftierte Demonstranten ein. Sie will in einer liberalen, freien Demokratie leben und blickt mit Sorge auf die Wahl: “Wir haben gute Gründe, anzunehmen, dass die Regierungspartei versuchen wird, die Wahlen zu fälschen, deshalb tun wir alles, um Wahlbeobachter auszubilden.“
Die großen Demos zeigen, wie besorgt viele Georgier sind. Ob sich das Land eher für die EU oder für Russland entscheidet, scheint völlig offen.

Autor: Norbert Hahn, ARD Moskau

Stand: 20.10.2024 20:22 Uhr

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