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Israel: Ahmeds Kampf zurück ins Leben

Es ist seine 17. Operation. Die Schmerzen, unter denen der kleine Ahmed leidet, müssen furchtbar sein. Die Haut des Vierjährigen ist am ganzen Körper verbrannt. Radikale jüdische Siedler hatten sein palästinensisches Elternhaus mit Molotowcocktails angezündet. "Ahmed lag 27 Tage im Koma", erzählt sein Opa Hussein Dawabsheh: "Und dann noch weitere vier Monate, in denen ihn die Ärzte täglich nur für vier Stunden ins Bewusstsein zurückgeholt haben."

Ein Molotowcocktail riss die Familie aus dem Leben

Die Wohnung von Ahmeds Familie brannte komplett aus.
Die Wohnung von Ahmeds Familie brannte komplett aus. | Bild: NDR

Ahmed stammt aus dem Dorf Duma südöstlich von Nablus im Westjordanland. Wenige Monate nach dem Brandanschlag besuchen wir die Familie zum ersten Mal. Onkel Hassan führt uns zum Tatort. In diesem Haus am Ortsrand haben Ahmed, seine Eltern und sein damals 18 Monate alter Bruder Ali gelebt. Bis sie am 31. Juli 2015 nachts laut offiziellen Ermittlungen das zufällig ausgewählte Ziel eines Mordanschlages wurden. "Siedler haben einen Molotowcocktail durchs geschlossene Fenster geworfen", erzählt Hassan Dawabsheh. "Das Zimmer, in dem alle vier Familienmitglieder geschlafen haben, ging sofort in Flammen auf. Der kleine Ali schlief allein auf einer Matratze. Ahmed lag im Bett zwischen Mama und Papa." Die Eltern versuchten sich schon lichterloh brennend mit ihren kleinen Söhnen ins Freie zu retten. Der eineinhalbjährige Ali rutschte der Mutter dabei aus den Armen. Er verbrannte noch im Haus. Vater Saed erlag eine Woche später seinen schweren Verletzungen. Um die Mutter Rehan kämpften palästinensische und israelische Ärzte noch fünf Wochen – vergebens.

Entsetzen in der Bevölkerung

"Mein Kopf tut mir so weh vom vielen Weinen": Ahmeds Großmutter stand Monate nach der Tat noch unter Schock.
"Mein Kopf tut mir so weh vom vielen Weinen": Ahmeds Großmutter stand Monate nach der Tat noch unter Schock. | Bild: NDR

Als wir im Winter 2016 nach Duma kommen, ist Ahmed seit einem halben Jahr im Krankenhaus. Im Dorf haben sie große Angst, dass die Siedler wiederkommen und weitere Häuser anzünden könnten. Ahmeds Großmutter steht noch unter Schock. "Mein Kopf tut mir so weh vom vielen Weinen", sagt sie. "Ich hoffe, dass meine Kinder ins Paradies kommen. Und dass Gott an den Tätern Rache nimmt und wütend auf sie wird." Auch die israelische Bevölkerung ist entsetzt. Nicht nur über die Tat, sondern auch über solche Bilder. Radikale Siedler bejubeln den Tod des palästinensischen Babys, Ahmeds Bruder. Sie schwenken Bilder des kleinen, bei lebendigen Leib verbrannten Ali. Die Behörden greifen hart durch, nehmen mehrere Teilnehmer vorübergehend fest. Außerdem verhaften sie den Anführer der radikalen Siedlerbewegung und drei seiner Anhänger als tatverdächtig für den Brandanschlag. Die Radikalen hatten ein Manifest veröffentlicht, in dem sie zum Mord an Ungläubigen und Arabern aufrufen. Ihr Ziel: Ein jüdischer Gottesstaat.

Besuch von israelischen und arabischen Freiwilligen

Ahmed muss einen Schutzanzug tragen, weil 70 Prozent seiner Haut verbrannt sind.
Ahmed muss einen Schutzanzug tragen, weil 70 Prozent seiner Haut verbrannt sind. | Bild: NDR

Im Frühjahr 2016 erstmals positive Meldungen aus dem Sheba Krankenhaus in Tel Aviv. Ahmeds Genesung macht Fortschritte. Er kann aufstehen, spielt selbstvergessen mit seinem neuesten Geschenk. Und er hat jede Menge Ablenkung. Täglich besuchen ihn arabische und israelische Freiwillige. Sie wollen ein Zeichen setzen, gegen die Wahnsinnstat. "Araber oder Jude, ist doch egal", sagen sie. "Ein Kind ist ein Kind. Wir lieben Ahmed von ganzem Herzen. Wir sprechen zwar keine arabisch, aber wir verständigen uns auch so." Den Schutzanzug muss Ahmed tragen, weil 70 Prozent seiner Haut verbrannt sind. Er darf darunter nicht ins Schwitzen geraten. Sein Besucher will ihn deshalb jetzt zurück ins Zimmer bringen. "Aber nein, ich will nicht ins Bett zurück", sagt Ahmed. "Ich werde ganz bestimmt nicht schwitzen. Ich will einfach weiter spielen." Der Junge weiß noch nicht, dass seine Mama, sein Papa und der Bruder tot sind. Er fragt ständig, wann er endlich wieder zu ihnen zurück nach Hause darf.

Weitere Operationen stehen an

Am 22. Juli 2016, fast genau ein Jahr nach der Tat, kann Ahmed das Krankenhaus gemeinsam mit seinem Großvater verlassen.
Am 22. Juli 2016, fast genau ein Jahr nach der Tat, kann Ahmed das Krankenhaus gemeinsam mit seinem Großvater verlassen.  | Bild: NDR

Am 22. Juli 2016, fast genau ein Jahr nach der Tat, kann Ahmed das Krankenhaus verlassen. Er wird künftig bei seinem Großvater Hussein leben, der mit ihm die ganzen zwölf Monate im Hospital verbracht hat. Zum Abschied sind nochmals alle seine Wegbegleiter und neuen Freunde da. Auch der israelische Chefarzt ist gekommen, um der Familie alles Gute zu wünschen. "Ich gehe jetzt nach Hause und ich freue mich so, endlich. Tschüs Krankenhaus, das war's", sagt Ahmed. Der Opa hat Ahmed inzwischen gesagt, dass seine Eltern und der Bruder tot sind. Aber der jetzt Fünfjährige hat noch nicht wirklich begriffen, was das bedeutet. Er weiß auch nicht, dass er weiterhin einmal die Woche zur Kontrolle ins Krankenhaus zurückkehren muss. Und ihm stehen noch unzählige plastische Operationen bevor.

Schule wurde nach dem toten Bruder benannt

Inzwischen besucht der Junge eine Schule.
Inzwischen besucht der Junge eine Schule. | Bild: NDR

Ein Jahr später, im Sommer 2017, treffen wir Ahmed wieder. Der Opa kümmert sich nach wie vor rührend um den Enkel. Äußerlich scheint es ihm viel besser zu gehen. Jüdische und arabische Spender haben Geld für Ahmed gesammelt und auf ein Konto gelegt. Aber der Opa hat es nicht angenommen. "Ich will, dass Ahmed mit 18 selbst darüber entscheidet, ob er es annimmt oder nicht", sagt er. "Man kann den Verlust der Eltern doch nicht mit Geld entschädigen." Die Schule, auf die Ahmed nun geht, wurde nach seinem toten Bruder Ali benannt. Natürlich kennen alle hier die traurige Geschichte. Und sie bemühen sich sehr um Ahmed. Aber der fremdelt oft. "Nach allem, was Ahmed erlebt hat, ist er kein normales Kind", sagt Direktorin Huda Eid. "Er weiß oft nicht, wie er sich verhalten soll. Und es tut ihm furchtbar weh, wenn er sieht, wie andere Kinder von ihren Müttern abgeholt werden. Er versucht dann immer, sich mit etwas anderem abzulenken."

Fortschritte beim Lesen und Schreiben

Ahmeds Klassenzimmer ist das einzige der Schule, das zum Schutz seiner empfindlichen Haut mit Vorhängen und einer Klimaanlage ausgestattet wurde. Wenn er sich erst überwunden hat, dann blüht Ahmed im Unterricht jetzt manchmal so richtig auf. Er ist intelligent, macht große Fortschritte beim Schreiben und Lesen. Für kurze Zeit scheint der Sechsjährige zu vergessen, wie sehr er an Körper und Seele verwundet ist.

Autorin: Susanne Glass, ARD-Studio Tel Aviv

Stand: 16.07.2019 07:08 Uhr

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