So., 04.08.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Italien: Ein Jahr nach der Katastrophe von Genua – Ponte Morandi kein Einzelfall?
Wenn Andrea Bruno den Fisch auf dem Markt abholt, tut er das früh um fünf, fast noch im Schlaf – die Macht der Gewohnheit, eigentlich. Doch seit vor einem Jahr die Ponte Morandi einstürzte, ist im Leben von Andrea Bruno nichts mehr, wie es war, auch, weil er seine Wohnung in der Nähe der Brücke nach dem Unglück verloren hat: "Ich fahre viel vorsichtiger, mit mehr Angst. Ich achte auf alles, was um mich herum passiert. Ich mache mir entschieden mehr Sorgen als früher. Früher fühlte ich mich auf der Autobahn sicher; heute benutze ich sie, weil ich muss."
14. August 2018 – ein heftiges Gewitter und dann: eine der bedeutendsten Verkehrsadern am Ligurischen Meer stürzt ein, reißt 43 Menschen mit in den Tod. Sofort wird nach Schuldigen gefragt: Brüssel, der Autobetreiber "Autostrade per l'Italia", die Politik – der Verkehrsminister jedenfalls weist jede Schuld von sich.
Wie sicher ist Italiens Infrastruktur?
Die Ermittlungen laufen noch. Unsere Interviewanfrage beim Autobahnbetreiber "Autostrade per l'Italia" bleibt bis heute unbeantwortet.
Seit dem Unglück von Genua fragen sich Urlauber und Einheimische immer öfter: Wie sicher sind Italiens Straßen?
Unsere Fahrt geht weiter Richtung Süden. Unterwegs in den Abruzzen, auf der "Straße der Parks", die Rom mit der Adriaküste verbindet. Ganz in der Nähe von L'Aquila treffen wir Tommasso Giambuzzi und Alessandro Lanci. Sie haben eine Bürgerinitiative gegründet und beobachten seit Jahren, dass hier an der Autobahn 24 und 25 der Betreiber in der Pflicht wäre: "Der Staat hat diese Straßen in einem perfekten Zustand an die Betreiber abgegeben. Die privaten Betreiber haben es in 30 Jahren geschafft, sie so verfallen zu lassen, wie wir sie heute vorfinden."
Und das macht die Männern nicht nur wütend, sie haben auch Angst, denn das, was in Genua passiert ist, das wissen sie nur zu gut, kann auch hier in den Abruzzen jederzeit passieren. Hinzu kommt: diese Region hier ist Erdbebenregion.
Vor ungefähr einem Jahr hat die Regierung reagiert – sah Handlungsbedarf. Der Zustand der Straße war so schlecht, es wäre fahrlässig gewesen, nichts zu tun.
Eine verlorene Wohnung
Andrea Bruno aus Genua hatte Glück im Unglück: wenigstens sein Laden blieb vom Einsturz verschont. Die Ponte Morandi, die auf ein Industriegebiet krachte, hat auch die Existenz vieler Menschen zerstört. Auch Brunos Pech: er zählt zu den vielen Menschen, deren Wohnung nicht mehr bewohnbar ist. Er musste sich eine neue Bleibe suchen. Derzeit laufen die Abrissarbeiten auf Hochtouren. Andrea Bruno bleibt nur die Hoffnung.
So geht es auch vielen Neapolitanern im Süden Italiens – vor einigen Wochen tat sich in der Stadt die Erde auf und verschluckte ein Müllauto. Für viele Anwohner unfassbar. Es geschah morgens früh um sechs Uhr. Der Blick ins Loch – metertief nichts. Viele hier haben ihre Wohnungen aus Angst verlassen. Der Geologe Antonio Boemio hat gerade den Auftrag diese Hohlräume zu orten, die zur Katastrophe geführt haben. Es fehlt an allem, so Boemio: neuen Wasserleitungen, mehr Struktur und vor allem an einem Plan, damit so etwas nie wieder passiert.
In wenigen Tagen jährt sich das Unglück von Genua. Viele Einheimische, so auch Andrea Bruno, schauen mit Schrecken auf diesen Tag. Der Zeitplan: Im Frühjahr des nächsten Jahres soll die neue Brücke fertig sein. Doch die Katastrophe der Ponte Morandi werden sie in Genua nie vergessen.
Autorin: Ellen Trapp, ARD Rom
Stand: 05.08.2019 18:23 Uhr
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