So., 01.02.15 | 19:20 Uhr
Das Erste
El Salvador: Drastische Haftstrafen für Schwangerschaftsabbruch
"Ich bin morgens aufgestanden und auf die Toilette gegangen. Dort muss ich ohnmächtig geworden sein, denn als ich zu mir kam, lag ich auf dem Boden, in meinem eigenen Blut. Mein Freund brachte mich ins Krankenhaus, wo sie mir sagten, ich sei schwanger, aber es sei kein Kind mehr in meinem Körper. Ich wusste nicht einmal, dass ich schwanger war. Sie haben mir Mord vorgeworfen, Mord an einem wehrlosen Ungeboren. Jedenfalls sei es keine Fehlgeburt gewesen, sagten sie. Und noch im Krankenhaus wurde ich festgenommen. Der Richter hat nicht viele Worte gemacht, sich auch nicht um meine Gesundheit gekümmert. Er sagte nur, sie gehen jetzt erst mal sechs Monate ins Gefängnis, bis wir den Fall untersucht haben."
Es wird ein ganzes Jahr. Dann erst bekommt Delmi Ordoñez über eine Menschenrechtsorganisation einen Anwalt, der ihre Unschuld beweist.
Erzkonservatives El Salvador
Das Gesetz verbietet im erzkonservativen El Salvador Abtreibung, aber auch eine Fehlgeburt bedeutet mindestens Untersuchungshaft und führt oft zu vernichtenden Urteilen. 30- bis 40-jährige Haftstrafen sind üblich. Aktuell sitzen 17 Frauen mit solchen Urteilen im Gefängnis.
Schlimme Zustände in den Gefängnissen
Wir haben die Erlaubnis mit drei von ihnen zu sprechen.Daniela Ramos, Anwältin einer Frauenorganisation, begleitet uns. Im Gefängnis dürfen wir nicht drehen, also können wir nur erzählen was wir gesehen haben. Der Frauenknast ist für die Insassinnen die Hölle: Für 700 Gefangene gebaut, sind hier angeblich 2.700 Frauen eingesperrt.
Wir treffen Guadalupe Vasquez, die seit acht Jahren in Haft ist. Sie schläft in einer Zelle, so groß wie ein halber Tennisplatz, mit 216 anderen Frauen und teilt sich mit ihnen eine Toilette. 2007 hat Guadalupe eine Fehlgeburt. Sie ist im neunten Monat und verblutet fast. Der Arzt der sie rettete, zeigt sie auch an und sie wird zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Anwältin Daniela Ramos kämpft gegen solch frauenverachtende Urteile: "Wir die gute Nachricht bekommen, dass das Oberste Gericht ein Gnadengesuch von Guadalupe zur Abstimmung in der Nationalversammlung zugelassen hat. Das ist ein großer Schritt und wir hoffen, dass die Abgeordneten die Chance nutzen, die das Gericht ihnen gibt, um Guadalupe die Freiheit wiederzugeben.
Betroffene meist arm und ungebildet
Alle Frauen, die bisher in El Salvador wegen Abtreibung verurteilt wurden, sind arm und ungebildet. Die meisten kommen wie Guadalupe vom Land. In einem Dorf das man nur zu Fuß erreicht, besuchen wir Hilda, ihre Mutter. Die Anwältin erzählt ihr vom anstehenden Gnadengesuch. Hilda nimmt es ohne erkennbare Freude auf. Sie sagt, nach acht Jahren sei ihr die Kraft ausgegangen. "Ich weiß nur, dass meine Tochter unschuldig ist. Sie hat das Haus verlassen wie jeden Tag. Wenn sie was Schlechtes getan hätte, dann hätte ich ihr das angemerkt."
"Es ist so ungerecht, was meiner Tochter angetan wird"
Hilda Vasquez ist 43 Jahre, hat noch drei andere Kinder und fünf Enkel. Guadalupe fehlt ihnen und die paar Dollar die sie früher verdiente fehlen der Familie zum leben. Seit Monaten war Hilda nicht mehr bei Guadalupe im Gefängnis. Zwei Dollar für die Fahrt nach San Salvador sind zu viel. Damit sie dabei sein kann, wenn die Nationalversammlung über das Schicksal ihrer Tochter entscheidet, nehmen wir sie mit in die Hauptstadt.
Hier werben die Parteien derzeit um Wählerstimmen. Im März wird gewählt. Und vor Wahlen zeigen sich die Politiker gerne großzügig. Noch nie hat die Nationalversammlung ein Gnadengesuch abgewiesen. Aber es gab auch noch nie ein Gnadengesuch von einer Frau, die wegen Mordes an einem Ungeborenen verurteilt ist. Eine kleine Gruppe Demonstranten macht vor dem Kongress Stimmung für Guadalupes Sache. Hilda ist gerührt, dass Fremde für ihre Tochter kämpfen: "Es ist so ungerecht, was meiner Tochter angetan wird. 30 Jahre! Es kann nicht sein, dass sie sie weiter im Gefängnis lassen, dass sie diese Strafe verbüßen muss, für etwas, was sie nicht getan hat."
Gnadenerlass: Eine Stimme fehlt
Die Nationalversammlung emtscheidet über neun Gnadengesuche und eines nach dem anderen wird befürwortet. Einer hat ein Boot gestohlen, ein anderer Drogen an Kinder verkauft. Alle kommen frei. Hilda Vasquez beobachtet das regungslos. Als letzte ist ihre Tochter an der Reihe. Aber anstatt gleich über Guadalupes Fall abzustimmen, entbrennt eine Diskussion. Einige Abgeordnete wollen verhindern, dass das Abtreibungsgesetz durch diesen Gnadenerlass aufgeweicht wird.
"Ein Fötus ist keine Sache! Vor unseren Gesetzen ist ein Fötus ein Mensch. Dieses Kind hätte gelebt. Die Mutter hat es den medizinischen Möglichkeiten vorenthalten. Das ist ihr Problem. Aber wir dürfen ein solches Gnadengesuch auf keinen Fall unterstützen", sagt Ernesto Angulo, Abgeordneter der Partei Arena. Einige Politiker versuchen noch auf andere einzureden. Und es wird klar, wie emotional das Thema Abtreibung in El Salvador ist. Dann ist Abstimmung. Langsam zählen die Ja -Stimmen nach oben, 43 sind nötig, aber bei 42 bleibt die Stimmauszählung stehen.
"Unsere ganze Gesellschaft ist schuldig"
Unfassbar, Guadalupe fehlt eine einzige Stimme zur Freiheit. Dass sie ihren Glauben nicht verlieren darf, ist das einzige, was Hilda in ihrer Verzweiflung herausbringt. Anwältin Daniela Ramos findet deutlichere Worte: "Unsere ganze Gesellschaft ist schuldig. Vom Kind bis zum Greis sind alles unverbesserliche Machos. Von der Erziehung bis in den Beruf wird uns das hier vorgelebt.
Delmi, die nach einem Jahr aus dem Gefängnis gekommen war, hat ihre Freiheit zwar wieder, aber das Leben nach der Haft ist ein anderes. Für die Gesellschaft bleibt sie eine Kindsmörderin. Die Familie und ihr Freund lassen sie im Stich. Keiner gibt ihr mehr Arbeit. Solange die Menschen so denken, sagt sie, solange brauchen wir nicht hoffen, dass die Politiker Gesetze ändern.
Autor: Peter Sonnenberg, ARD-Studio Mexiko-Stadt
Stand: 04.11.2015 16:12 Uhr
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