Mo., 14.12.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
USA: Außer Schießen nichts gelernt?
Trotz klirrender Kälte lässt er seine Mitarbeiter heute draußen antreten. Milwaukees Polizeichef will, dass seine Beamten ein selbstbewusstes Signal geben: Wir haben nichts zu verbergen! Edward Flynn weiß: Das Vertrauen in Amerikas Cops ist schwer erschüttert durch rassistische und schießwütige weiße Polizisten.
"Bürger kriegen nur den schlechten Teil mit"
Wir begleiten Paul Helminiak und seinen Partner auf Streife. Beide leiden unter dem miesen Image der Polizei, aber man kenne ja die Schuldigen: "In den Medien kommen dauernd Leute zu Wort, die Polizisten bei irgendwas beobachtet haben. Aber die Bürger kriegen ja nie die ganze Situation mit, sondern nur den schlechten Teil und folgern daraus, der Polizei sei wegen dieses Vorfalls generell nicht zu trauen!"
Körperkameras sollen künftig getragen werden
Ein Notruf gegen Mitternacht, wir rasen zu einem See. Der Zentrale war ein Lebensmüder gemeldet worden. Der Mann erwartet offenbar Handschellen, hat vielleicht schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht, ist aber wohl geistig verwirrt. Weil selbst solche Routine-Einsätze in den USA eskalieren, sollen Milwaukees Polizisten künftig Körperkameras tragen. Der Chef ist nicht begeistert: "Alle sollen jetzt diese Kameras tragen, weil uns nicht mehr zu trauen sei. Wir trauen 900.000 Polizeibeamten nicht mehr wegen fünf Youtube-Videos?! Im Ernst? Dabei schreiten wir oft in den intimsten Momenten eines Lebens ein! Ich bin unsicher, ob wir das wirklich alles filmen sollten. Aber ich musste einsehen: Wir sind so unter Druck, dass wir jedwede Technik nutzen müssen, um die Rechtmäßigkeit unseres eigenen Handelns nachzuweisen."
Längst gelten Amerikas Cops nicht mehr automatisch als die Guten. Fortbildung an Milwaukees Polizeiakademie. Auch erfahrene Beamte wie Leon Davis und Jesus Gloria müssen hier regelmäßig zum Training. Feuer frei mit Gewehr und Pistole. Auch junge Rekruten lernen wochenlang den Umgang mit Waffen, eindeutig Schwerpunkt der Ausbildung, die insgesamt nicht mal ein halbes Jahr dauert.
Häusliche Gewalt im Rollenspiel
Möglichst in die Mitte des Körpers treffen, um die Bedrohung auszuschalten – so steht es im Lehrbuch. Aber wie oft müssen sie im echten Einsatz schießen? "Ich habe noch nie im Dienst geschossen, in 11 Jahren nicht. Hoffentlich bleibt mir das auch künftig erspart", sagt Jesus Gloria.
"Ich bin 20 Jahre dabei und musste auch noch nie auf einen Verdächtigen schießen, bin auch noch kein Mal unter Beschuss geraten. Aber ich habe täglich gefährliche Einsätze und ziehe meine Pistole deshalb bestimmt zweimal am Tag schussbereit aus dem Holster", erklärt Leon Davis.
Szenen einer Ehe – häusliche Gewalt im Rollenspiel. Milwaukees Polizisten müssen häufig solche Streitigkeiten schlichten, es gibt viele soziale Brennpunkte in der Stadt. Armut, Arbeitslosigkeit und Drogen prägen den Polizeialltag. Unterschwellig geht es dabei oft um Hautfarbe und Herkunft. Deshalb fördert der Polizeichef ethnische Vielfalt. Seine Beamten trainieren stundenlang das verbale Deeskalieren. Aber bringen gemischte Teams wirklich mehr bei echten Konflikten? "Klar macht das erstmal einen Unterschied, aber am Ende hängt das Ergebnis vom Kommunikationstalent ab. Wer gut reden kann, erreicht was, egal welche Hautfarbe ein Polizist hat!
Verständnisvolle Helferin statt unbarmherzige Gesetzeshüterin
Ashley Porubski ist gerade Mutter geworden und schon zurück im Dienst. Sie und William Schmitz nehmen uns mit in Milwaukees gefährlichsten Distrikt. Warum es gerade hier so viele Gewaltverbrechen gibt, können sie sich nicht erklären: "Das hat vielleicht mit Armut zu tun, mit Perspektivlosigkeit, Frust und Wut. Aber manchmal ist es nicht mal das, sondern es ist was wie deren Mentalität. Die schießen dann, nur weil ihnen ein Freund ein T-Shirt geklaut hat." Sie selbst will auf keinen Fall zu dieser Spirale der Gewalt gehören. Ashley versteht sich eher als verständnisvolle Helferin denn als unbarmherzige Gesetzeshüterin.
Notruf einer Nachbarin. Sie hat Frauenschreie gehört. Widerstandslos lässt sich der Mann durchsuchen, er soll seine Freundin geschlagen haben. Beide stehen vermutlich unter Drogen- oder Medikamenteneinfluss. Die Frau erzählt, sie habe sich selbst verletzt, nur zögernd vertraut sie sich der Polizistin an. Ihr verdächtigter Freund beteuert seine Unschuld. Willliam Schmitz glaubt dem Mann, trotzdem muss er ihn mitnehmen. Vorsichtshalber wird er eine Nacht in der Arrestzelle verbringen – so will es das Gesetz. "Wenn sie sowas machen, können wir das nicht ignorieren, wir müssen eingreifen, okay? Das ist unser Job", erklärt William Schmitz.
Probleme werden auf die Polizei abgewälzt
Über solche Einsätze berichten die US-Medien nie, klagt Milwaukees Polizeichef: "Die amerikanische Gesellschaft wälzt ihre sozialen Probleme seit 40 Jahren auf uns ab. Wir Polizisten sind heutzutage Notfallpsychologen, Drogenberater, Familientherapeuten, Jugendbetreuer und Sozialarbeiter – erst danach dürfen wir uns um Raub, Vergewaltigung und Mord kümmern!"
Amerikas Polizisten sind unter Beschuss, buchstäblich und politisch. Nach Tagen und Nächten in Milwaukee haben wir aber den Eindruck, dass die Polizei sich hier nicht mehr nur als Staatsgewalt begreift. Vielleicht ein Neuanfang: häufiger reden,seltener schießen.
Autor: Stefan Niemann, ARD-Studio Washington
Stand: 10.07.2019 07:45 Uhr
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