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Russland: Anwalt einer verlorenen Sache?

Russland: Anwalt einer verlorenen Sache? | Bild: Ina Ruck, ARD Moskau

Jewgenija Berkowitsch, Regisseurin, sechs Jahre Lagerhaft. Ebenso ihre Kollegin Swetlana Petritschuk, verurteilt wegen angeblicher Verherrlichung von Terrorismus. Nikita Tuschkanow, Geschichtslehrer, fünfeinhalb Jahre, verurteilt wegen "Diskreditierung der Armee". Aleksej Gorinow, Kommunalpolitiker, schwer lungenkrank, sieben Jahre Straflager. Er nennt den Krieg Krieg, verurteilt wegen "Falschinformation".
Kafkaesk anmutende Prozesse, härteste Strafen gegen politisch Unliebsame. Und immer weniger Strafverteidiger, die bereit sind, solche Fälle zu übernehmen – zu gefährlich.
Michail Birjukow könnte längst in Rente sein, aber – er macht weiter. Einer müsse es ja machen, sagt er: "Sie haben meinen Mandanten in ein anderes Untersuchungsgefängnis verlegt, ohne seine persönlichen Sachen. Sowas passiert leider oft: sie bringen einen Häftling in eine andere Anstalt, seine Sachen bleiben einfach liegen. Dann muss ich da hin."

Keine Freisprüche bei politischen Verfahren

Sein Mandant, das ist Grigorij Melkonjanz, prominenter Wahlbeobachter, vor Gericht, weil er angeblich für ein in Russland verbotenes europäisches Netzwerk von Wahlbeobachtern arbeitet. In Wahrheit, glauben viele, gehe es darum, dass Melkonjanz immer wieder Manipulationen bei russischen Wahlen aufgedeckt hat. Ihm drohen bis zu sechs Jahren Haft. Mit Freispruch rechnet niemand.
Denn nicht mal ein Prozent aller Strafverfahren endet in Russland mit Freispruch, in offensichtlich politisch motivierten Verfahren liegt die Quote bei null.

Man dürfe sich nicht entmutigen lassen, sagt Michail Birjukow. Er bereite politische Prozesse sehr penibel vor wegen der besonderen Verantwortung: "Wir wissen, dass wir für die Zukunft arbeiten, für die Archive. Wir sehen doch, wie man heute die Prozesse aus der Stalinzeit aufarbeitet. Auch unsere Verfahren wird man später untersuchen, die Argumente der Verteidiger, der Angeklagten genau studieren – und die Urteile der Richter."

Birjukow hat auch Ilja Jaschin verteidigt. Der Oppositionspolitiker war mehr als zwei Jahre in Haft, kam im August bei einem internationalen Häftlingsaustausch frei. Jaschin ist jetzt in Deutschland, darf nicht mehr nach Russland zurückkehren.
In dieser Strafkolonie 300 Kilometer von Moskau entfernt saß er zuletzt ein. Beim Austausch konnte er nichts mitnehmen außer seiner Zahnbürste. Gemeinsam mit Jaschins Vater Walerij holt der Anwalt Iljas persönliche Sachen dort ab.
Jede Woche konnte Michail Birjukow seinen Mandanten im Lager sehen. Die Eltern Jaschin durften in mehr als zwei Jahren Haft nur drei Mal zu ihrem Sohn. Anwälte sind für Häftlinge oft der einzige Draht zur Außenwelt und die Verbindung zur Familie: "Wir sind mehr als Freunde geworden", sagt Walerij Jaschin. "Wir sind wie Verwandte. Das ist enger als Freundschaft."

Einen Anwalt, eine Anwältin zu finden wird jedoch für politisch Angeklagte immer schwieriger.
Michail Birjukows Familie und Freunde drängen ihn seit Langem, auszureisen. Über Gefahr redet er nicht gerne, aber natürlich ist sie da. Er beobachte die Situation permanent, sagt er uns. Solange es möglich sei, werde er seinen Job machen. Er werde hier gebraucht.

Autorin: Ina Ruck, ARD Moskau

Stand: 08.09.2024 17:51 Uhr

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