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Russland: Kritiker in Gefahr

Russland: Kritiker in Gefahr | Bild: Ina Ruck / BR

In Russlands Teilrepublik Komi haben die Kinderwagen Kufen. Komi liegt im hohen Norden des Landes, die Hauptstadt heißt Syktyvkar.

Auch von hier ziehen junge Männer in den Krieg, stolz zeigt man sie auf Plakaten. 240.000 Einwohner hat Syktyvkar. Das Zeichen der sogenannten Spezialoperation, das große "Z", ist auch hier allgegenwärtig, wie in vielen russischen Städten. Und: Auch hier traut sich kaum jemand, von "Krieg" zu sprechen – oder ihn gar zu kritisieren.
Aleksandras Freund Nikita hat das getan, hat zynische Kommentare über den Krieg gepostet. Nun laufen zwei Strafverfahren gegen ihn, wegen Verleumdung der Armee und wegen Rechtfertigung von Terrorismus.
Seit dem 7. Dezember sitzt er in Untersuchungshaft. Seitdem hat Aleksandra nur Briefkontakt zu ihm. Sie war dabei, als sie an die Tür hämmerten – und Nikita abholten: "Ich konnte gar nicht so schnell öffnen, habe entriegelt und bevor ich die Klinke drücken konnte, stürmten sie schon rein: Schnelle Eingreiftruppe in voller Ausrüstung, mit Maschinengewehren. Ich habe zuerst gedacht, die haben sich vertan, die checken jetzt unsere Pässe und gehen wieder."
Aber sie gingen nicht: Hausdurchsuchung, Festnahme – seit diesem Tag hat Aleksandra Nikita nicht mehr gesehen.

Ein Geschichtslehrer, der sich nicht wegduckt

Nikita Tuschkanow war Geschichtslehrer im kleinen Ort Mikun, ein paar Autostunden von Syktyvkar entfernt. Den Mund hat er sich noch nie verbieten lassen. Vor zwei Jahren hat er hier am Lenindenkmal gegen die Verhaftung von Aleksej Nawalny protestiert. Die Ein-Mann-Demo kostete ihn den Job, er verlor seine Stelle als Lehrer. Auch nachdem er seine Stelle an der Schule verloren hatte, blieb Nikita in Mikun, gab Nachhilfe und Fernunterricht.
Als sein Land die Ukraine angriff, kritisierte er das scharf. Er beschimpfte Putin im Internet, nannte Russland einen Aggressor, gar einen faschistischen Staat. Dass er nun in Haft ist, haben sie gehört in Mikun. Er war beliebt im Ort. Doch auch hier sind sie lieber vorsichtig.

In Syktyvkar ist Aleksandra mit Nikitas Mutter verabredet, am Busbahnhof. Das erste Mal seit seiner Festnahme werden sie ihn sehen können – heute ist Prozesstag, sie fahren zu einem Gericht in der Provinz. Neben den beiden Strafprozessen gibt es auch noch dieses Verwaltungsverfahren gegen Nikita, wegen eines Posts, den er längst gelöscht hat. Eine kleine Sache, ein Erörterungstermin, ob das Verfahren nicht eingestellt werden kann. Die Richterin entscheidet auf Einstellung des Verfahrens. Ein kleiner Sieg, aber ein Sieg. Die beiden Strafprozesse stehen noch bevor – für sieben Jahre könnte Nikita im Straflager verschwinden. Optimistisch ist seine Mutter nicht, nicht für ihren Sohn, und nicht für ihr Land.

Nikitas Untersuchungsgefängnis liegt am Stadtrand von Syktyvkar – Besuch empfangen darf er nicht. Nur wenige hundert Meter entfernt ist der städtische Friedhof. Für die neuen Soldatengräber hat man hier die vorderste Reihe reserviert. Auch Männer aus Komi sind zu Dutzenden in der Ukraine gefallen. Wie viele genau, sagt niemand.

Autorin: Ina Ruck, ARD Moskau

Stand: 29.01.2023 23:03 Uhr

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