So., 10.07.22 | 18:30 Uhr
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Senegal: Traktoren für mehr Lebensmittelsicherheit
Ackerfläche gibt es eigentlich genug im Senegal. Trotzdem ist das Land extrem abhängig von Getreideimporten aus Russland und der Ukraine. Ein Grund ist die Struktur der Landwirtschaft. Die meisten Bauern bestellen nur kleine Flächen. Geld für Maschinen haben sie nicht. Deswegen bleibt in der Summe viel fruchtbares Land brach liegen. So war die Idee geboren: Maschinen gemeinsam nutzen. Ein Modell, dass auch deutsche Bauern durch den "Maschinenring" kennen. Gemeinsam gehen sie jetzt das Projekt Lebensmittelsicherheit an. Dank der Traktoren soll in diesem Jahr auf 25.000 Hektar Getreide geerntet werden.
Mehr Maschinen – mehr Felder bestellen
Endlich kam der Regen. Der Boden ist feucht und Landwirt Tombong Balde kann die Scholle bearbeiten. Auch der Traktor ist rechtzeitig gekommen. Und der ist entscheidend, denn ohne den Traktor vom Maschinenring könnte er nur einen Teil seiner Felder bestellen. "So eine Maschine schafft bis zu 15 Hektar am Tag. Wenn wir mehr Maschinen hätten, könnten wir zusammen noch mehr Felder bestellen. Aber es fehlt uns an schwerem Gerät."
In diesem Jahr ist der Traktor da. Mehr noch, es gibt auch fachliche Unterstützung: Der Agrarwissenschaftler Faustin Thiaw leitet die Maschinenringe hier im Süden des Senegal. Gemeinsam mit den Bauern will er ein ehrgeiziges Ziel erreichen: Hier in der Region um Kolda die Ackerfläche um rund 2.000 Hektar vergrößern. Denn genug fruchtbare Böden haben sie. "Der Krieg in der Ukraine hat Konsequenzen, besonders für afrikanische Länder wie den Senegal. Der Großteil unseres Weizens kommt aus den beiden Ländern, die im Krieg sind. Die Maisproduktion hier ist eine Chance, unsere Bauern und uns autarker zu machen."
Die Idee der Maschinenringe: Maschinen gemeinsam nutzen
Die Zeit drängt. Während der Regenzeit müssen die Felder bestellt werden. Je länger die Maschinen laufen, desto mehr Fläche schaffen sie und umso weniger abhängig ist das Land von teuren Getreide-Einfuhren. Deshalb ist es auch so wichtig, dass die Maschinen hier gewartet und teilweise auch hergestellt werden können. Teure Maschinen gemeinsam nutzen. Das ist auch das Prinzip der Maschinenringe in Deutschland. Eine Idee, die seit 2018 im Senegal Nachahmer findet. Mit Unterstützung von deutschen Bäuerinnen und Bauern. Landwirtin Lena-Maria Ruß vom Bundesverband der Maschinenringe ist aus Bayern angereist. "Das ist für uns sehr wichtig, weil hier eine Infrastruktur da sein muss im Senegal, um eben diese Ersatzteile zu beschaffen, um Reparaturen durchführen zu können und hier Hersteller zu haben, die diese Dienstleistung dann durchführen können."
Und der Leiter des Landesverbandes Kolda, Faustin Thiaw, meint: "Wir können keine komplizierten Maschinen in den Senegal importieren und darauf setzen, dass der Landwirt die auch bedienen kann. Wir müssen Vertrauen haben in die Fähigkeiten der lokalen Maschinenproduktion." Noch gibt es dafür Geld und Hilfe aus Deutschland, doch in Zukunft sollen die Maschinen lokal finanziert werden und die Ringe sollen sich selbstständig tragen. Der Weg für viele Landwirte zu verlässlicher Produktion sei noch weit, sagt Werkstattbesitzer Abdou Diakhoumpa. "Ich kenne ihre Schwierigkeiten, den Boden zu bestellen. Wenn es regnet, bauen sie nichts an. Denn niemand gibt den mittellosen Bauern Maschinen oder Saatgut."
Sharing-Economy hilft bei der Lebensmittelversorgung
Agrarwissenschaftler Faustin Thiaw auf dem Weg zu einem benachbarten Maschinenring. Der will ab heute Kredite vergeben. Denn es gibt ein strukturelles Problem: Zu Beginn der Aussaat kommen Kosten auf die Bauern zu – für Dünger und Saatgut, für ausgeliehene Maschinen. Dafür haben sie aber nicht genug Geld. Deshalb vergibt der Maschinenring jetzt auch Kredite. Erst werden die Papiere überprüft, dann ein Vertrag geschlossen. Die Bauern erhalten umgerechnet rund 120 Euro. Doch das Geld geht nicht an sie direkt, der Ring behält es ein, um für alle Saatgut und Dünger zu kaufen. "In der Regenzeit, die jetzt angebrochen ist, haben die Bauern immer große Geldprobleme. Wir geben ihnen einen Kredit, damit sie sich das Saatgut leisten können. Zurückzahlen werden sie den später mit einem Teil ihrer Ernte." Die, so hoffen alle, möglichst gut ausfällt.
Zurück auf dem Feld. Lena-Maria Ruß testet den Traktor. Mehr Landwirtschaft im Senegal – ein kleinteiliger, aufwändiger Prozess. Aber der richtige Weg, sagt die Landwirtin. "Ich glaube, die Idee, gemeinsam Maschinen zu nutzen, funktioniert überall auf der Welt. Und da der Sharing-Economy-Gedanke in der Landwirtschaft bei uns schon seit über 60 Jahren im Maschinenring praktiziert wird, ist es ein tolles Konzept, das ja auch in Afrika funktioniert. Gerade weil im Senegal die Landwirte sehr viel in der Gemeinschaft arbeiten."
Bald werden weitere deutsche Bauern kommen. Sie wollen die Kollegen im Senegal schulen, wie der Traktor beim Pflügen und Säen am besten eingesetzt wird. "Wenn die Deutschen dann kommen und uns zeigen, wie wir den Traktor nutzen sollen, dann sammeln wir Wissen, das wir mit anderen teilen können", sagt der Landwirt Tombong Balde. "Wissen ist die wahre Ressource, den materiellen Reichtum kann man Dir stehlen, Wissen nicht." Wissen, das sie dringend brauchen, denn die meisten Bauern im Senegal arbeiten per Hand oder mit einfachsten Mitteln. Auch diese Maschine zum Sähen von Erdnüssen hat Bauer Balde vom Ring geliehen. 25.000 Hektar zusätzlich wollen die Bauern in den nächsten Wochen im ganzen Land bestellen. Es wird nicht reichen, aber es ist ein erster Schritt.
Autorin: Caroline Hoffmann, ARD-Studio Nairobi
Stand: 11.07.2022 10:50 Uhr
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