So., 09.03.25 | 18:30 Uhr
Das Erste
Syrien: Hoffnung und Angst – die junge Kulturszene von Aleppo
Ausgelassene Stimmung in Aleppo. Natalie Bahhade hat eingeladen – und etwa 80 Gäste sind gekommen. Sie lechzen nach Musik und dem Gefühl von Freiheit. Lange hatten die Kreativen und politisch Andersdenken unter Assad keinen Raum.
Eine alte Fabrikhalle als Anlaufstelle für die alternative Szene. Früher wurde hier die Stromversorgung für ganz Aleppo geregelt. Nun fallen Vergleiche mit Berlin und den Nachtclubs der deutschen Hauptstadt.
Kultureller Aufbruch nach Assad?
Sie führt das Künstlerkollektiv mit an: Natalie, 28, schafft bewusst einen Ort für politischen Austausch: "Jetzt, einen Monat nachdem das Regime gefallen ist, trauen wir uns sogar Filmvorführungen zu machen, mit politischen Inhalten, syrische Filme, die Kritik üben in alle Richtungen und danach unterhalten wir uns darüber. Wir brauchen das unbedingt. Es war verboten, du hättest früher dich selbst, deine Familie, deine Freunde, dein Zuhause in Gefahr gebracht."
Eine neue Freiheit in alter Kulisse. Aleppo, Syriens zweitgrößte Stadt, im vergangenen Jahrzehnt vor allem Kriegsschauplatz. Der Wendepunkt Ende November: die Stadt mit der imposanten Zitadelle fiel überraschend schnell an die Islamisten. Assad war wenige Tage später Geschichte.
Heute feiern die Menschen den Beginn einer neuen Ära. Natalie war nicht von Anfang an in Feierstimmung: "Die erste Nacht war furchtbar, ich war voller Angst. Wie hörten nur 'die Islamisten kommen'. Es wurde gemunkelt wir müssten Kopftuch tragen, könnten womöglich nichtmehr raus auf die Straße ohne das es Probleme gibt, nichts davon ist eingetreten."
Natalie kommt aus einer armenisch-christlichen Familie mit eigenem Unternehmen. Sie stellen Holzmöbel her. Nun nach dem politischen Machtwechsel im Land hofft ihr Vater bald mehr Ware exportieren zu können. Dafür müssten aber die Sanktionen gegen Syrien schnell fallen, meint er.
Syrien – ein Land voller Widersprüche, denn Feiern war für Natalie in Aleppo unter Assad möglich. Sie konnte auflegen als DJane. Nur Lieder mit politischen Botschaften waren streng verboten.
In diesen Tagen legt sie nur zuhause auf. Denn das Party-Nachtleben findet unter neuer, islamistischer Führung aktuell nicht statt.
Statt großen Techno-Partys bleibt es bei Events im gemütlichen Rahmen. In die Ausgelassenheit mischt sich auch Skepsis.
Natalie und ihr Künstlerkollektiv werden kämpfen. Dass Kreative und politisch Andersdenke in Aleppo ihren Raum dauerhaft behalten.
Ramin Sina, ARD Kairo
Stand: 09.03.2025 20:44 Uhr
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