So., 28.07.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Südafrika: Die Klinik auf Schienen
Wo dieser Zug auftaucht, kommt mit ihm die Hoffnung, sagen die Leute. 19 Waggons, 350 Meter lang. Kreuz und quer durch Südafrika fährt die rollende Klinik, vor allem auf dem Lande warten die Menschen sehnlichst darauf, dass der "Zug der Hoffnung" bei ihnen Station macht.
In einer kleinen Kabine lebt Kefiloe Mamba monatelang. Sie ist eine der Ärztinnen an Bord – und sie erntet oft ein Lächeln, wenn sie ihren Namen nennt: Mamba wie die Schlange mit den Giftzähnen. Denn Doktor Mamba ist ausgerechnet Zahnärztin. Neun Monate im Jahr ist sie mit dem Zug unterwegs: "Ich mache den Job trotzdem gern, weil ich sehe wie groß die Not der Patienten ist", erklärt sie. "Ich habe auch schon in einer teuren Privatklinik gearbeitet. Aber hier erleben wir viel mehr Dankbarkeit von den Patienten, die wir behandeln."
Günstige Behandlungspreise in der rollenden Klinik
Eine der Stationen des Zuges ist Tzaneen, eine Kleinstadt im ländlichen Norden Südafrikas. Es sind vor allem Menschen wie Lisbeth Shai und ihre Töchter, die medizinische Hilfe brauchen. Ihre Älteste, Johanna, hat selbst schon zwei Kinder. Es gibt ein staatliches Gesundheits-System in Südafrika. Vergleichsweise günstig, aber für Familie Shai und viele andere immer noch zu teuer. "'Mein Zahn tut weh', hat meine Tochter Bridget immer wieder gesagt. Über ihre Kinderkrippe habe ich von der Zugklinik erfahren. Sie haben mir gesagt, wir können uns im Zug für wenig Geld behandeln lassen", erzählt Johanna Shai. Umgerechnet nur 160 Euro im Monat verdient Lisbeth Shai als Haushaltshilfe – und sonst hat niemand in der Familie einen Job. Selbst die 9 Euro für die Fahrt mit dem Taxibus zum Bahnhof in Tzaneen ist deshalb eine große Investition.
25 Kilometer entfernt liegt die Stadt Tzaneen. Sie ist umgeben von Farmland, vor allem hier gibt es Arbeit, aber auch im Tourismus. Doch die Jobs sind längst nicht genug für alle.
Es ist morgens kurz nach 8 Uhr: Als Familie Shai am Zug ankommt, ist die Schlange der Wartenden trotzdem schon sehr lang. Nicht nur die günstigen Behandlungspreise haben sie angelockt – viele haben schlicht keine Klinik an ihrem Wohnort und sind von weit her angereist. Vier Stunden musste die kleine Bridget Shai warten, dann ist sie ein Fall für Doktor Mamba. Und die hat keine guten Nachrichten. Bridget ist ein typischer Fall im ländlichen Südafrika: Sie hätte schon viel früher zum Arzt gehen müssen. "Bridget klagt über Schmerzen in einem Backenzahn oben links und der ist voller Karies. Wir können den Zahn nicht retten. Er muss raus“, erklärt Doktor Mamba.
Studenten unterstützen medizinisches Team
Während drinnen Bridget kurz vor der ersten Zahn-OP ihres Lebens steht, ist draußen die Warteschlange kaum kürzer geworden. "Wir warten schon seit 1 Uhr morgens und erst um 7 Uhr machte die Klinik auf", erzählt Mohale Senyolo. "Aber das Warten lohnt sich, weil die Behandlung hier bezahlbar ist." Und arm sind in Südafrika längst nicht mehr nur Schwarze. Auch Hester Jordaan ist gekommen, weil sie auf den Klinikzug angewiesen sind: "Wenn man zur örtlichen Zahn-Klinik geht, zahlt man bis zu 7 Euro – selbst wenn man arbeitslos ist. Dort wartet man den ganzen Tag und wenn man drankommt ziehen sie nur einen Zahn. Hier bezahlt man 60 Sent und sie ziehen Dir, wenn es sein muss, gleich drei Zähne."
Insgesamt 40 Studenten sind Teil des medizinischen Teams – und nicht nur bei Doktor Mamba. An Bord ist auch eine Augenklinik und Abteilungen für Allgemein-Medizin, Psychologie und Krebsheilkunde. Außerdem gibt es einen zweiten Zug, der durch andere Landesteile fährt. Den Großteil der Kosten trägt die Staatsbahn, dazu unterstützen Sponsoren den Zug. Auch die Augenklinik ist unschlagbar günstig – und: unglaublich schnell: Die Brillen werden an Bord angefertigt, sind in einer Stunde fertig und kosten gerade einmal 2 Euro. Viele Patienten können im Zug noch am selben Tag Hilfe bekommen – nur wenn große Operationen nötig sind, müssen die Ärzte sie an eine Klinik überweisen. Die Klinik schließt am Abend. Einige Patienten bereiten sich darauf vor, die Nacht auf dem Bahnsteig zu verbringen. Sie sind heute nicht mehr dran gekommen.
Schlechtes Gesundheitssystem
Der Zug ist zweifellos eine gute Sache – zeigt aber auch wie schlecht es um das Gesundheitssystem des Landes steht. Auch für Doktor Mamba geht der Tag in ihrer Vier-Quadratmeter-Kabine zuende. Es ist ein Job, der viel fordert von der verheirateten Ärztin. "Ich opfere Zeit, die ich mit meiner Familie verbringen könnte", erklärt sie. "Ich bin hier und sie sind in Pretoria – weit weg von mir. Und dann habe ich nur dieses winzige Bett hier statt des großen Zuhause. Aber ich beschwere mich nicht. Der Job macht Spaß, weil er sehr erfüllend ist."
Doktor Mambas größte Sorge ist, dass bei der Eisenbahn das Geld immer knapper wird – eine Folge von Korruption und Misswirtschaft, wie bei vielen südafrikanischen Staatsunternehmen. Am Ende könnte das selbst den Zug der Hoffnung in eine finanziell hoffnungslose Situation bringen.
Autor: Thomas Denzel, ARD-Studio Johannesburg
Stand: 28.07.2019 21:31 Uhr
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