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Denis Scheck kommentiert die Top Ten Belletristik

Denis Scheck kommentiert die Top Ten Belletristik | Video verfügbar bis 27.10.2029 | Bild: DasErste.de

Und jetzt aus unendlichen Bücherhallen des virtuellen Studios in der Heiligen Stadt Köln: die Spiegel-Bestsellerliste Belletristik:

10) Walter Moers: "Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte"

Von seinem neuesten Ausflug nach Zamonien in die Welt der Ubufanten, Schlaufüchse und Kristallskorpione bringt Walter Moers 20 sogenannte "Flabeln" mit – Lachfabeln mit tierischen Protagonisten, die souverän jede Lesererwartung unterlaufen und durch ungewöhnliche Enden verblüffen, so wie etwa die Flabel vom Schmiegehäschen, das den Beißwolf totbeißt. Genial!

9) Sabin Tambrea: "Vaterländer"

Was als einfühlsam erzählte Geschichte vom Weggehen und Ankommen aus Kinderperspektive beginnt, weitet sich zu einer erschütternden Darstellung des Horrors der Ceausescu-Diktatur in Rumänien. "Wie ist es möglich, dass sich heute", lässt Tambrea ein Opfer der Securitate schreiben, "so viele Henker, die schön längst für ihre Verbrechen hätten zur Rechenschaft gezogen werden müssen, immer noch ungestraft vor unseren Augen bewegen?"

8) Klaus Peter Wolf: "Der Weihnachtsmannkiller 2"

Wenn ein Regionalkrimi schon "Der Weihnachtsmannkiller 2" heißt, darf man dahinter ein Buch mit dem intellektuellen Reiz und dem Vergnügungspotential einer CD mit dem Titel "Kuschelrock 17" vermuten. Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht.

7) Jan Weiler: "Munk"

Dieser Roman über einen 51-jährigen Architekten, der auf der Rolltreppe eines Zürcher Kaufhauses einen Herzinfarkt erleidet und in der Reha über seine Beziehungen zu den 13 sein Leben prägenden Frauen nachdenkt, ist auf eine erfreuliche Art "weise", wie es die großen Romane Jane Austens sind. Jan Weilers "Munk" stiftet Lesevergnügen und darüber hinaus produktive Einsichten in die Kunst zu leben und zu lieben.

6) Caroline Wahl: "Windstärke 17"

Trauer und Co-Abhängigkeit sind die bestimmenden Themen dieses Romans über eine junge Frau, deren Leben durch den sich seit langem ankündigenden Suizid ihrer Mutter aus dem Gleis springt. Caroline Wahls Literatur ist eine erfreuliche Disruption im mitunter sehr berechenbaren Einerlei der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.

5) Julia Dippel: "A Storm to Kill a Kiss"

Wenn man schon auf Seite eins über den Satz stolpert "Fier auf den Grosschot", wird dies nicht nur maritim gebildeten Menschen die Lust an der Lektüre verleiden. Eine Schot nennt man beim Segeln eine Leine zum Bedienen eines Segels, und so eine Schot ist im Deutschen immer weiblich. Diese Romantasy ist nicht nur stilistisch ungelenk, sondern auch was den Plot und die Charaktere anlangt, schlicht eine Katastrophe. Meinen Lektüreeindruck fassen diese Sätze auf der letzten Seite des Romans bündig zusammen: "Mir wurde schlecht. Ich wollte nur noch, dass mein Herz aufhörte zu schlagen, damit der Schmerz endete."

 4) Carsten Henn: "Der Buchspazierer"

Diesen zum Gruseln verkitschten Roman über die Plaudereien eines 9-jährigen Mädchens mit einem 72-jährigen Buchhändler, der für jeden armen Tropf den richtigen Schmöker parat hat, habe ich vor Jahren bei seinem ersten Erscheinen sechsmal nach Strich und Faden verrissen. Jetzt sorgt eine Kinoverfilmung dafür, dass er auf die Bestsellerliste zurückkehrt. Angesichts dieser unverhofften Wiederauferstehung toten Materials darf man den Roman mit Fug und Recht einen Buchzombie nennen.

3) Ewald Arenz: "Zwei Leben"

Die zwei Leben, von denen Ewald Arenz erzählt, sind zwei Frauenleben. Wie ein Dorf in Süddeutschland in 70 Jahren für diese zwei Frauen zum Gefängnis, zur Gruft, ja zum sich am Blut ihrer Lebensziele mästenden Vampir werden kann: das fängt Arenz auf den Seiten dieses Romans sehr glaubhaft ein. Gruselig, aber glaubhaft und überzeugend!

2)  Charlotte Link: "Dunkles Wasser"

Ein Massaker auf einem Campinglatz in Schottland, 15 Jahre später eine verschwundene Mitreisende in Frankreich … Wie hängen die beiden Fälle zusammen? Henry David Thoreau sagt, die meisten Menschen lebten ihr Leben in stiller Verzweiflung. Warum aber so viele Menschen so verzweifelt sind, die in meinen Augen faden, langweiligen und unglaubwürdigen Großbritannien-Krimis der Deutschen Charlotte Link zu lesen, bleibt mir ein Rätsel.

1) Volker Klüpfel und Michael Kobr: "Lückenbüßer"

Respekt, das hätte ich Volker Klüpfel und Michael Kobr nicht mehr zugetraut: Im 13. Fall ihres Allgäuer Serienkommissars schaffen sie die literarische Wende und beweisen, dass man mit Adalbert Kluftinger nicht nur bräsige "Butzele"-Krimis erzählen kann, sondern auch einen reflektierten lokalpolitischen Wahlkrimi, der es in sich hat. Dabei kandidiert der Kommissar nicht nur als Lückenbüßer für den Gemeinderat und überrascht sich und uns, weil er gut zubereiteten Seitan mit zart geschmorter Allgäuer Landente verwechselt, sondern muss sich auch mit Menschen herumschlagen, die nicht länger als "Systemschafe" leben wollen. Tierisch gut!

Stand: 27.10.2024 18:42 Uhr

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