SENDETERMIN So., 01.11.20 | 23:35 Uhr | Das Erste

Denis Scheck kommentiert die Top Ten Belletristik

Platz 10: Christian Berkel: "Ada"

In diesem Roman über das Erwachsenwerden Adas ist alles drin, was man sich von einer historischen Nummernrevue in Gestalt eines Entwicklungsromans erwartet: das Berlin der 50er Jahre mit Rückblenden auf Hitler und die Männer des 20. Juli über Paris oh, là, là bis zu Woodstock. Literarisch nicht sonderlich aufregend, immerhin aber pointensicher und süffig erzählt.

Platz 9: Delia Owens: "Der Gesang der Flusskrebse"

Warum hält sich dieses Buch aus der Feder einer amerikanischen Zoologin nun schon seit über einem Jahr auf der Bestsellerliste? Alles entscheidend für den Erfolg dieses Krimis mit starken Nature-writing-Elementen ist sein Setting, das Marschland North Carolinas. Ein Buch für Menschen, die gern mit dem Kopf verreisen.

Platz 8: Carmen Korn: "Und die Welt war jung"

Drei Handlungsstränge mit Familiengeschichten, die Anfang der 50er Jahre in Hamburg, Köln und San Remo spielen, verknetet Carmen Korn in voraussehbarer Seriendramaturgie zu einem Hefezopf von einem Roman. Das Ergebnis erinnert mich an eigene Backversuche: am Anfang und am Ende drüsch, in der Mitte aber klätschig.

Platz 7: Anne Weber: "Annette, ein Heldinnenepos"

Der Siegertitel des diesjährigen deutschen Buchpreises ist inhaltlich eine stockkonservative Entscheidung, denn das Buch bietet wieder mal eine Nachhilfestunde in Zeitgeschichte. Anne Weber erzählt das Leben der Resistancekämpferin Annette Beaumanoir, die nach dem Zweiten Weltkrieg für die algerische Unabhängigkeit kämpfte und in Frankreich zur Terroristin erklärt wurde. Weil Anne Weber für diesen Stoff jedoch die kluge Wahl traf, ihn als Versepos zu erzählen, also in der Form etwa von Eschenbachs "Parzival", vermag ihr Buch auch ästhetisch zu überzeugen.

Platz 6: Elke Heidenreich: Männer in Kamelhaarmänteln

Was unter der Feder schwächerer Autoren sich wie eine Aufgabe aus einem Creative-Writing-Kurs gelesen hätte – "Schreiben Sie autobiographische Anekdoten rund um Kleidungsstücke" –, löst Elke Heidenreich souverän, klug und unterhaltsam.

 Platz 5: Thomas Hettche: "Herzfaden"

Die Medien- und Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel der Augsburger Puppenkiste zu erzählen: Das ist der geniale Plan Thomas Hettches in seinem neuen Roman. Bisweilen reibt man sich angesichts der höchst aktuellen Bezüge und Pointen verwundert die Augen, heißt der Bösewicht in "Kleiner König Kalle Wirsch" doch tatsächlich Zoppo Trump.

Platz 4: Joachim Meyerhoff: "Hamster im hinteren Stromgebiet"

Im fünften Teil seines autobiographischen Romanzyklus erzählt der Schauspieler Joachim Meyerhoff von dem Schlaganfall, der ihm im Alter von 51 Jahren traf, und wie ihm das Erzählen dabei geholfen hat, die Krankheit zu überwinden. "Mein Leben besteht einzig aus dem Versuch, aus dem Kompensieren von Defiziten Kunst zu machen. Wer keine Füße hat, muss lernen auf den Händen zu tanzen". Dieses Buch hilft dabei.

Platz 3:  Marc-Uwe Kling: "Qualityland 2.0"

Eine schrille Satire auf die Religion des Neoliberalismus, eine Welt, in der eine Handvoll Superreicher mit Hilfe smarter Technologien eine bewusst dumm gehaltene Bevölkerung ausbeutet. Mit sehr breitem Pinsel gemalt und mit reichlich pubertärem Humor erzählt, konnte mich diese unerwartete Fortsetzung des Qualityland-Romans trotz einiger origineller Pointen von beißendem Witz letztlich nicht von ihrer Notwendigkeit überzeugen.

Platz 2: Ken Follett: "Kingsbridge"

Das Problem dieser Vorgeschichte zu "Die Säulen der Erde" ist das Problem aller historischer Romane Ken Folletts. Sein Handlungspersonal, egal ob Normannenprinzessin oder angelsächsischer Bootsbauer, das doch angeblich das Westengland des Jahres 1000 nach Christus bevölkert, hat durch die Bank die Bewusstseinsinhalte von aktiven Mitgliedern der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Darüber kann man lachen, aber nicht tausend Seiten lang.

Platz 1: Volker Klüpfel und Michael Kobr: "Funkenmord"

Im neuen, dem elften Kluftinger-Krimi wird der Allgäuer Kommissar Interims-Polizeipräsident, verheddert sich in WhatsApp und gendergerechter Sprache, schafft sich einen Thermomix an und löst einen 35 Jahre zurückliegenden Mord. Wenn die spannendste Szene in einem Krimi allerdings die Szene ist, in der der Kommissar zweimal an einem Tag Käsespätzle essen muss, erst bei seiner Mutter, dann bei seiner Frau, dann weiß man, dass sich eine Serie erschöpft hat. Wenn das Pferd tot ist, sollte man absteige

Stand: 01.11.2020 18:00 Uhr

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