Interview mit Tobias Moretti
Was haben Sie durch die Arbeit an dem Film "Louis van Beethoven" Neues über diesen Ausnahmekünstler und ‚WahlWiener‘ erfahren? Inwieweit hat die intensive Beschäftigung mit seiner Person Ihr Beethoven-Bild verändert?
Diese Epoche zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat mich schon immer fasziniert, dieser Umbruch auf allen Ebenen, der in die moderne Industriegesellschaft mündet. Natürlich wusste ich von der revolutionären Gesinnung Beethovens; es ist mir bei dieser Arbeit aber noch deutlicher geworden, in welchem Ausmaß er Tabubrecher auf allen Ebenen war – musikalisch und gesellschaftlich. Er markiert eine Zäsur auch in seinem Verständnis des Künstlertums. Neu war für mich die Beschäftigung mit seinen Streichquartetten, die für den späten Beethoven so eine zentrale Rolle spielen.
Sie haben als junger Mann angefangen, Komposition zu studieren. Was ist Ihrer Meinung nach noch heute das Besondere an Beethovens Musik?
Nun, es gibt, denke ich, Berufenere als mich, die Bedeutung von Beethoven für die Musikgeschichte zu erläutern. Ich habe mit seiner Musik lange gekämpft, ich war fasziniert und verzweifelt zugleich, weil ich kein Instrument so beherrsche, dass ich sie vernünftig spielen könnte. Als ich mich bei der Vorbereitung mit der Großen Fuge für Streichquartett beschäftigt habe, war ich überwältigt, wie abstrakt das ist. Das Stück ist von 1825, aber es klingt an manchen Stellen schon wie Arnold Schönberg.
Beethoven der Gesellschaftsmann, Weißweintrinker, Kämpfer: Dient das Bild von Beethoven als eine Art Blaupause für das Ideal eines modernen Künstlers?
Beethoven hat als einer der ersten Musiker versucht, als "freier" Musiker zu leben und zu arbeiten, ohne Anstellung bei Adligen oder bei Hofe. Diese Unabhängigkeit von feudalen Strukturen, die sich in dieser Zeit ja im Verfall befinden, erzeugte natürlich andere Abhängigkeiten und andere Produktionszwänge. Insofern ist er sicher ein Vorläufer einer modernen Künstlerexistenz. Allerdings hat er diesen Vorstoß zeitweise auch bereut und sich in den späten Jahren wieder um eine Anstellung bemüht. Dass seine Vorliebe für Weißwein ihn wesentlich von früheren Musikerkollegen unterschieden hat, wage ich aber zu bezweifeln.
Was war Ihnen bei der Darstellung "Ihres" Beethoven wichtig?
Ich hatte ja nur einen kleinen Part dieser Biographie, die letzten Lebensmonate darzustellen; man macht sich nicht so recht klar, dass Beethoven ziemlich jung gestorben ist, jedenfalls für unser Verständnis. Es ist unvorstellbar, was es für einen Menschen mit diesem Genie, diesem Freiheitsdrang, diesem unerbittlichen künstlerischen Anspruch bedeutet haben muss, über Jahrzehnte kaum etwas oder nichts zu hören. Wie er sich an den Widrigkeiten eines solchen Lebens abgearbeitet hat, wie sich daraus auch Bösartigkeit und Geiz entwickelt haben, das ist schon beklemmend. Dieser freie Geist hat am Schluss resigniert festgestellt, dass die gesellschaftlichen Hierarchien nur wechseln; sie werden nicht beseitigt, sondern nur gegen andere ausgetauscht.
2020 ist Beethovenjahr. Können solche Jubiläen, die weit über Europa hinaus begangen werden, den Zugang zur klassischen Musik fördern? Oder sind solche organisierten Ereignisse eher eine neue Vermarktungsform der Eventkultur?
Natürlich gibt es auch einen "Markt" für Beethoven, warum auch nicht? Aber wir sind alle verantwortlich dafür, dass wir den Kern unserer Kultur, ihre revolutionäre Kraft und ihre Sinnhaftigkeit vor allem jungen Menschen nahebringen. Das ist ein unglaublicher Schatz, den wir da zu vermitteln haben. Da liegt unser Kulturauftrag, auch der der Medien, mitten in digitaler Unverbindlichkeit und Sinnentleertheit.
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