Interview mit Sebastian Koch
Wann haben Sie zum ersten Mal von WERK OHNE AUTOR gehört?
Florian Henckel von Donnersmarck und mich verbindet seit Jahren eine sehr enge, vertrauensvolle Freundschaft. Wir unterhalten uns regelmäßig und tauschen uns aus über die Dinge, die uns beschäftigen, die Stoffe, die uns interessieren, die Projekte, an denen wir arbeiten. Ich erinnere mich noch, wie er mir erstmals von seiner Idee für "Werk ohne Autor" berichtete. Mir war sofort bewusst, dass es ein außergewöhnlicher Stoff war, der viel mit Florian zu tun hat, mit den Dingen, die ihn beschäftigen, die ihn interessieren. Im Mittelpunkt stand das Aufeinandertreffen zweier Männer, die auf den ersten Blick nichts miteinander gemein haben, beide brillante Köpfe, die aber unterschiedlicher nicht sein könnten und auch absolut gegensätzliche Sichtweisen vom Leben und der Welt haben. Der junge Kurt Barnert auf der einen Seite, ein Künstler auf der Suche nach seiner Stimme, erfüllt mit einem Heißhunger auf Leben, das er durch seine künstlerische Seele filtert; der souveräne, über alles erhabene Professor Seeband auf der anderen Seite, der über ein gewaltig großes Wissen verfügt, aber emotional völlig verarmt ist. Die Ironie ist, dass beide große Meister auf ihrem jeweiligen Gebiet sind, sie aber nicht miteinander vereinbar sind. Die Geschichte lässt sie unter einem Dach miteinander leben, nachdem Kurt die Tochter von Seeband geheiratet hat, die Konflikte sind vorprogrammiert... aber sie können unmöglich miteinander. Das ist eine starke Ausgangssituation. Aus dem Aufeinanderprallen dieser beiden gegensätzlichen Männer bezieht der Stoff seine Kraft, und es ergibt sich daraus eine wunderbare Geschichte über das Wesen der Inspiration und die Kraft der Kunst. Es gibt eine unverkennbare Verwandtschaft mit "Das Leben der Anderen", allerdings aufgetragen auf einer viel größeren Leinwand. Als Florian mir davon erzählte, gab es noch kein Drehbuch, nur die Idee. Aber seine Erzählung war schon so fein, so emotional, gepaart mit einem großen Wissen und einer großen Intelligenz, so mitreißend, dass für mich kein Zweifel bestand, dass es sich um einen großen Kinostoff handeln würde – und, dass ich unbedingt mit dabei sein wollte.
Über die beiden Figuren, über Kurt Barnert und Carl Seeband, wird viel über deutsche Identität erzählt.
Seeband ist so deutsch, dass es weh tut. Dieses Streben nach Perfektion, dieses Beharren darauf, dass nur das Messbare zählt, dass es nur darum geht, weiter zu kommen, der Beste zu sein. Er ist einer der vielen, die Nietzsche sehr einseitig und ohne den großen Überbau gelesen haben; und natürlich findet er eine Heimat im Nationalsozialismus, der diese Art der Interpretation von Nietzsches Philosophie auf die Spitze treibt. Seeband ist ein faszinierendes Ungeheuer. Er ist eiskalt und dominant. Aber das wirklich Monströse an ihm ist, dass er davon überzeugt ist, das Richtige zu tun. Es gibt kein Ungerechtigkeitsempfinden, kein Schuldbewusstsein. Er macht, was er macht, weil es für ihn gar keine Alternative gibt und weil er daran glaubt. Natürlich ist das unvereinbar mit der intuitiven Empfindsamkeit eines Künstlers, auch wenn er auf seine Weise genauso kompromisslos ist, wie seine Nemesis. Einer der prägnantesten Sätze von ihm, der mir besonders in Erinnerung geblieben ist, und der ihn wohl am besten beschreibt, ist gerichtet an seinen zukünftigen Schwiegersohn: "Um Sicherheit im Leben zu haben, ganz gleich was Du tust, musst Du der Beste sein. Nicht einer der Besten. Der Beste."
Wie spielt man eine Figur wie Seeband, wie gibt man einem solchen Ungeheuer Ausdruck?
Man muss sich vor Augen führen, was für ein Mensch er ist, in was für einer Zeit er lebt. Er stellt ja nicht nur Ansprüche an andere. Er muss erst einmal selbst diesen bedingungslosen Ansprüchen gerecht werden. Und das wird er. Er denkt einzig in objektiven, quantifizierbaren Größen und blendet alles andere aus. Ein Ideologe durch und durch. Diesen Mann zu spielen war etwas sehr Besonderes für mich. Es war wichtig, einen Ansatz zu finden, der ihn nicht zur Karikatur verkommen lässt. Er sollte kein Abziehbild sein, kein Klischee eines Bösewichts. Er ist ein messerscharfer Denker, er ist wie ein Skalpell. Er ist die personifizierte Ökonomie. Er ist immer perfekt gekleidet, sein Scheitel ist immer perfekt gezogen, die Haare haben immer exakt die richtige Länge. Und so spricht er auch. Es ist für mich immer noch nicht nachvollziehbar, von wo Florian diese Figur aus sich herausgeholt hat, vor allem woher er diese perfekte Sprache hergezaubert hat. Er muss das ja auf eine Weise empfunden, gelebt oder geträumt haben, kein Satz war zu viel, kein Satz war zu wenig, wir haben nicht ein einziges Wort hinzugefügt bzw. weggelassen. In meinen 35 Jahren als Schauspieler habe ich so etwas noch nie erlebt. Als ich den Text zum ersten Mal gelesen hatte, war ich entsetzt –wie sollte ich diese unaussprechbaren, fast nicht zu denkenden Sätze sprechen. Dann mit der Zeit und dem wachsenden Verständnis der Figur, habe ich gespürt, dass, wenn ich diese komplizierten, gemeißelten Gedanken denken kann, ist Seeband da und lebendig. In perfekter Haltung, Form und Habitus. Ich habe mir sozusagen Carl Seeband durch das sprachliche Geschenk von Florian zu Eigen machen können.
Seeband ist eine Figur, die sich über ihre Haltung erschließt.
Die Körpersprache war ganz wichtig. Er ist immer aufrecht, das Kreuz ist immer durchgedrückt, bis hin zur Steifheit. Sein Kopf neigt sich keinen Millimeter zu irgendeiner Seite – er sitzt gerade auf dem Körper. Er macht keine einzige Bewegung zu viel. Er denkt und bewegt sich wie ein Skalpell. Beim Lesen musste ich manchmal an die Figur denken, die Laurence Olivier in „Der Marathon Mann“ spielt, Christian Szell, der „Weiße Engel“, der selbst wiederum an Mengele angelehnt war. Szell und Seeband sind Brüder im Geiste. Ein weiterer wichtiger Schlüssel für mich waren Kostüm und Maske. Gabriele Binder hat lange und wie ich finde sehr erfolgreich daran gearbeitet, die richtige Garderobe für Seeband zu finden. Die Anzüge sind wie eine zweite Haut, aber auch wie eine Uniform – makellos. Schließlich habe ich dann noch ca. sieben Kilo abgenommen, nur so konnte die absolute Strenge, dieses gemeißelte Gesicht zur Geltung kommen. Stück um Stück entstand dann mein Seeband. Er ist elegant, geschmackvoll, stilsicher, aber er strahlt keinerlei Wärme aus, kein Leben, keine Empathie, kein Verständnis für eine Umwelt, die nicht exakt so ist, dass sie seiner Vorstellung entspricht. Dabei ist er nicht eitel oder gar arrogant. Er ist einfach immer korrekt.
Entscheidend ist Nachvollziehbarkeit.
Auf keinen Fall sollte Seeband ein Abziehbild werden, eine Karikatur. Man muss ihn verstehen können, so ungeheuerlich er auch sein mag, man muss den Menschen hinter dem Ungeheuer sehen. Als Schauspieler darf ich nicht über meine Figur urteilen. Ich muss sie beschützen, so unangenehm das auch sein kann. Der Erste Weltkrieg hat Spuren hinterlassen bei ihm, hat ihn geprägt, er will weiterkämpfen, weil er die Niederlage nicht akzeptieren will. Für ihn geht der Krieg immer weiter. Er ist ein Überzeugungstäter durch und durch. Für mich als Schauspieler ist es spannend, zu den Wurzeln einer solchen Figur durchzudringen: Woher kommt das? Warum ist der so? Warum kann er nicht jemand umarmen, warum kann er nicht lieben, warum kann er nicht zärtlich sein? Die Suche nach Antworten trägt dazu bei, dass ich diesen Menschen spielen kann, wie er ist, ohne ihn zu werten oder zu beurteilen. Die Rolle hat mir einiges abverlangt. Schön war es nicht, sich in der Haut eines solchen Menschen aufzuhalten – ein Mann, der ein überzeugter Anhänger der Euthanasie ist und nicht davor zurückschreckt, in das Leben seiner eigenen Tochter immer wieder völlig unverhältnismäßige "Eingriffe" durchzuführen. Abends war ich bisweilen froh, die Tür hinter mir zuzumachen und Seeband für ein paar Stunden loszuwerden.
Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den anderen Schauspielern? Sie haben gesagt, dass Seeband Dominanz ausstrahlt – überrollt man damit nicht die anderen Darsteller?
Ich hätte es als Fehler empfunden, mich zurückzuhalten. Im Gegenteil: Es war wichtig, Seeband so kompromisslos und entschlossen zu spielen, wie nur möglich. Nur so war es den Kollegen möglich, überhaupt aufrichtig auf ihn zu reagieren. Außerdem haben es Schauspieler vom Kaliber eines Tom Schilling oder eine Paula Beer nicht nötig, dass man vor der Kamera Rücksicht auf sie nimmt. Sie können sich selbst behaupten. Für mich war es nur wichtig, Seeband so klar und konzentriert wie möglich zu spielen. Es war auch klar, dass ich vom ersten Drehtag an voll da sein musste. Da gab es kein Herantasten. Ein Seeband tastet sich nicht heran. Er ist da und gibt den Ton an. Immer. Ich glaube, wir haben eine außergewöhnliche Figur für einen außergewöhnlichen Film erschaffen.
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