Gespräch mit Andreas Schmidt
Sie spielen die Episodenhauptrolle in "Familiensache". Was hat Sie daran gereizt?
Ich habe schon viele Filme mit Eoin Moore gemacht, von denen ein paar zu meinen wichtigsten zählen, und natürlich habe ich auch hier wieder gesehen, wie sorgfältig die Geschichte recherchiert ist. Selbst eine Figur, die ihre Familie tötet, behandelt er fair; er versucht, sie zu verstehen. Eoin möchte verstehen, warum solche Dinge passieren. Das war für mich das Aufregende und Großartige an diesem Projekt.
Arne Kreuz war sicherlich keine einfache Rolle. War Ihnen trotzdem gleich klar: Das möchte ich spielen?
Nein, das war es nicht. Ich habe selber einen kleinen Jungen, und wenn man so etwas spielt, muss man es ja immer an sich heranlassen. Das kann man nicht von der Oberfläche her spielen. Man erlebt einen Abgrund, der furchtbar ist. Die Dinge, die wir alle in unseren Herzen haben, aber möglichst kleinhalten können, weil unsere Nöte im Alltag – hoffentlich – nicht so groß sind, müssen wir Schauspieler vergrößern, wenn wir so etwas spielen. Wir müssen gucken, woher diese Abgründe kommen und wie eine Realität für jemanden aussieht, der so weit geht. Das ist eine anstrengende und harte Arbeit. Unter anderen Bedingungen würde ich so etwas wahrscheinlich ablehnen, aber da ich wusste, dass Eoin Regie führt, und auch wegen dem Kollegenkreis, der mich hier umgab, habe ich gesagt, ich spiele mit.
Sie kennen Eoin Moore u. a. aus der Zusammenarbeit an "Pigs Will Fly". Was verbindet Sie beide?
Zuallererst mal eine große Freundschaft. Und dann bestimmt auch die Tatsache, dass wir viele Parallelen in unseren Lebensgeschichten haben. Eoin ist im Norden Dublins großgeworden und ich im Norden Berlins, also sind wir beide in großen Trabantenstädten oder in der Nähe davon aufgewachsen. Und vielleicht hatten wir ähnliche Familienstrukturen und können deshalb auch über dieselben Dinge lachen. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass da ein tiefes, tiefes Vertrauen ist. Wir wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können und beieinander gut aufgehoben sind, mit allen Fehlern und Unsicherheiten und mit allen Stärken.
Und wie hält man den Abgründen stand, die sich in so einer Figur, die zu so extremen Dingen fähig ist, auftun? Wie gehen Sie damit um?
Natürlich versucht man, die Rolle nach jedem Drehtag wieder abzustreifen. Und ich muss ehrlich sagen, dass man auch froh ist, wenn man sie wieder ablegen kann. Solange man an dem Film arbeitet, ist man kontinuierlich mit der Sache beschäftigt, aber am letzten Drehtag atmet man dann durch und sieht zu, dass man sein Herz an den richtigen Stellen wieder vergrößert und an anderen Stellen wieder so klein wie möglich macht (lacht).
Inwiefern haben Sie Einfluss auf die Gestaltung der Rolle genommen? Wie sah Ihre Zusammenarbeit mit Eoin Moore konkret aus?
Es gibt nur wenige Regisseure, die ihre Schauspieler so ernst nehmen und so neugierig sind wie Eoin. Und das ist natürlich eine unglaublich dankbare Arbeit. Es ist nicht nur so, dass er einem einen Teppich ausrollt mit so einer guten Vorlage. Er ist auch immer unglaublich neugierig darauf, wie man eine Szene sieht, was man selber davon hält. Wenn ich eine andere Idee für eine Szene habe als er oder wenn ich einfach nur das Gefühl habe, dass ich sie gern von einer anderen Seite aus angehen würde, dann probiert er das sofort aus. Das ist einfach toll. Eoin bleibt ein ewig Suchender. Diese Suche ist nur von Zeit begrenzt und von Geld, aber nie von fehlender Neugier.
Können Sie uns ein konkretes Beispiel nennen für eine Szene, die Sie anders angehen wollten?
Ach, solche Dinge passieren beim Drehen mit ihm einfach immer wieder. Auch den anderen Kollegen gegenüber hat er diese Offenheit. Ein kleines Beispiel ist dieses Bild ganz am Anfang, wo Arne auf der Erde liegt und von seinem Traum erzählt. Dieser Traum bebildert, was innerlich in ihm vorgeht, und zwar zu einem Zeitpunkt, als der Zuschauer noch gar nicht weiß, was für eine Geschichte da auf ihn zukommt. Ich habe vorgeschlagen, die Szene etwas intimer zu spielen, Arne mehr aus einer inneren Hilflosigkeit heraus sprechen zu lassen, nachdem wir es zuerst etwas anders probiert hatten. Eoin wollte das dann auch sofort unbedingt machen, und es hat gut funktioniert.
Arne hat seine Tat offenbar seit Längerem geplant. Trotzdem versucht er noch mal, Jeanette zurückzugewinnen. Glaubt er selbst noch, dass alles wieder gut werden kann?
Ja, das glaubt er, aber das ist echter Realitätsverlust, denn das könnte ja nie mehr zu einer funktionierenden Beziehung oder Umgebung führen. Arne müsste irgendwann eingestehen: Ich hab’ alles verloren, wir müssen unseren Lebensstandard aufgeben und woanders neu anfangen. Aber dazu ist er überhaupt nicht bereit. Er sagt, nur auf die Art und Weise, wie ich sie im Kopf habe, wird alles doch noch gut. Und das ist sozusagen das Endstadium. Dass das Bild, das er von sich hat, in Gefahr gerät, ist wie eine Todeserfahrung für ihn. Es ist ja nicht so, dass er die anderen aus Gemeinheit umbringt, sondern Arne denkt wirklich: Wenn dieses Bild von mir nicht aufrechterhalten wird, dann ist das ein Identitätsverlust, der nur mit dem Tod zu vergleichen ist. Und diese Angst führt eben dazu, dass er auch die Familie davor "rettet", dass sie erleben muss, wie der Vater stirbt und alle den Bach runtergehen.
Arne erzählt, er hätte eine Therapie angefangen. Das ist reine Strategie, oder nimmt er sich irgendwo selbst auch als krank wahr?
Ich glaube, da werden Sachen miteinander vermischt, die für einen normalen Menschen überhaupt keinen Sinn mehr ergeben. Arne würde in seinem Zustand ganz sicher nicht zu einer Therapie gehen, weil er genau vor diesem Verlust seines Selbstbildes den schlimmsten Horror hätte, und er spürt und ahnt, dass ihm das dort passieren würde. Aber um das Gerüst aufrechtzuerhalten und die Frau wiederzukriegen, erzählt er ihr, er würde eine Therapie machen. Das macht hinten und vorne keinen Sinn. Aber für ihn in diesem Moment schon.
Welche Szene war für Sie die schwierigste?
Ich finde extreme Situationen immer klarer, als wenn es um Alltagssituationen geht. Also die Szenen, in denen Arne nicht in der Situation ist, wo er seine Familie umbringt, oder wenn man nicht sieht, was das im Extremstzustand mit ihm macht. Es war viel schwieriger sich klarzumachen, wie Arne ist, wenn er ganz normal über die Straße geht. Oder wenn er sich mit seiner Schwester ein Haus anguckt. Dann muss ich wissen, wie er denkt, wie er fühlt, wie er spricht, wie er eine ganz normale Alltagssituation begeht und wie er sich und die anderen in so einer Situation wahrnimmt. Denn all das muss ja irgendwie trotzdem vorhanden sein, und zwar ohne dass man dem Zuschauer gleich im ersten Moment aufs Auge drückt, dass mit dem etwas nicht stimmt.
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