Gespräch mit Eoin Moore

Eoin Moore
Eoin Moore | Bild: dpa

Der "Polizeiruf 110: Familiensache" erzählt von einem Täter, der Menschen umbringt, die er liebt. Ein ungewöhnlich beklemmender Krimi. Was hat Sie auf dieses Thema gebracht?

Das Thema Gewalt zwischen Intimpartnern in der einen oder anderen Form beschäftigt mich schon sehr lange. Vor allem in meinem Film "Pigs Will Fly" von 2002 und der Vorbereitung dazu habe ich mich lange damit auseinandergesetzt und sehr intensiv recherchiert. Übrigens damals schon zusammen mit Andreas Schmidt, der sowohl in meinem Abschlussfilm von der Filmhochschule als auch in "Pigs" die Hauptrolle spielte. Als 2012 die Anfrage zu einem neuen Buch für den "Polizeiruf" kam, gab es zufällig gerade eine Welle von Familiendramen in Deutschland. Dauernd stand etwas dazu in der Zeitung und ich habe angefangen, mich speziell mit dieser Ausprägung des Themas zu beschäftigen. Allerdings ist das Thema von der Wissenschaft bislang kaum erforscht. Ich fand eine regelrechte Informationswüste vor; eigentlich gab es nur die Bücher des Psychiaters Andreas Marneros, der anhand von Beispielen Einblicke in das Phänomen vermittelt.

Welcher Aspekt des Themas hat Sie denn am meisten interessiert? Worüber wollten Sie schreiben?

Eigentlich war es das Unerklärliche an diesem Phänomen, das mich fasziniert hat. Wir verstehen einfach nicht, was bei solchen Taten psychologisch genau passiert, und man weiß vor allem nicht genug, um sie präventiv verhindern zu können. Katrin König sagt an einer Stelle den provokanten Satz, den ich vor Jahren schon von einem Verhaltenspsychologen gehört habe, als es um Gewalt ging: Nicht das Verhalten ist unangemessen, sondern die Gefühle, die dahinter stehen. Für das, was dieser Mensch in der Tatsituation fühlt, erscheint die Tat absolut angemessen. Aber ich wollte nicht nur die Figur des Täters erzählen, sondern auch die Struktur um ihn herum, die Familie. Es gibt bei uns gar kein "Whodunit", einfach weil mir wichtig war, dass wir so viel Erzählzeit wie möglich haben, um eine Figur und ihr Umfeld zu beschreiben. Wo hat er gearbeitet? Wie sind seine Verwandten und Freunde? Welche Rolle spielen sie in der ganzen Tragödie?

Der Zuschauer erlebt die fatale Entwicklung bis zur Tat mit. Er empfindet sogar eine gewisse Nähe zu diesem Mann, bis die Situation plötzlich eskaliert. Was bezwecken Sie mit dieser Erzählweise?

Es gibt sehr unterschiedliche Arten von Tätern, die ihre Partner töten; da gibt es zum Beispiel Affekttäter, aber es gibt auch Menschen, die einen Lebensbankrott wie einen "Meltdown" erfahren und bei denen sich die Taten lange anbahnen. Diese Täter machen verschiedene Phasen durch, und irgendwann kommt die Situation, wo sie einen totalen Kollaps erleiden und keinen Ausweg mehr sehen. Sie fällen dann die Entscheidung, ihre Familie zu töten, weil sie das als eine Erleichterung sehen und als die einzige Lösung des Problems. Andreas Marneros schildert in einem seiner Bücher das Beispiel eines Familienvaters, der in einer solchen Situation seine vier Kinder und seine Frau umgebracht hat. Mein fiktiver Fall, der Fall des Arne Kreuz, folgt einer ganz ähnlichen Dynamik, weil ich das hier zeigen wollte.

Der Punkt, wo wir Arne Kreuz nicht mehr folgen können und wollen, ist also für ihn der Punkt, an dem die Erleichterung einsetzt?

Ja, so schrecklich und schlimm das auch ist, was hier geschieht, für den Täter ist es ab einem gewissen Punkt das einzig Logische, und deshalb fällt es ihm auch nicht mehr schwer, sein Vorhaben umzusetzen. Was uns brutal erscheint, erscheint dem Täter nur effektiv. Er wünscht seinen Opfern ja auch nichts Schlimmes; im Gegenteil: Er will ihnen – aus seiner Wahrnehmung heraus – Schlimmes ersparen, indem er sie tötet.

Durch Ihre Art des Erzählens, aber natürlich vor allem durch die Gratwanderung, die Andreas Schmidt hier spielerisch bewältigt, bleibt die Täterfigur bis zum Schluss ambivalent. Wie wichtig ist Ihnen das?

Das ist für uns ganz wesentlich. Wir wollten kein Monstrum kreieren, von dem wir uns innerlich distanzieren. Uns war wichtig, dass wir die Täterfigur als Mensch erst einmal irgendwo verstehen und auch mögen. Denn erst wenn wir ihn als Mensch und nicht als Monstrum sehen, sind wir offen und zugänglich für die hier geschilderte Problematik. Wenn eine Figur einfach als Bösewicht gesetzt ist, wie in einem James-Bond-Film, dann ist er für uns schlicht der böse Gangster; dann brauchen wir ihn nicht zu verstehen, wir identifizieren uns nicht mit ihm. Mich interessiert als Autor und Regisseur aber immer die Frage, warum Menschen böse sind oder böse Dinge tun; die psychischen Vorgänge hinter den Taten interessieren mich.

Sie haben bereits erzählt, dass die Beschäftigung mit diesem Thema für Sie eng mit Andreas Schmidt verbunden ist. Was macht ihn in Ihren Augen für solche Rollen so geeignet?

Andreas ist zum einen ein hervorragender Schauspieler. Zum anderen finde ich aber auch, dass er eine tolle Gestalt ist, in die man viele Dinge hineinlesen kann. Er ist eine interessante Kombination aus jemandem, der in seiner Ausstrahlung und Erscheinung etwas ganz Gebrochenes haben kann, als Mensch aber wahnsinnig charmant und warmherzig ist. Andreas geht offen mit seinen Schwächen um und hat nicht ständig das Gefühl, etwas darstellen zu müssen. Er lacht gern über seine eigenen Schwächen und er hat sehr viel Empathie für andere. Das ist sicherlich ein Grund, warum die Zusammenarbeit mit ihm immer so fruchtbar ist.

Die Ehefrau ist Arnes erstes Opfer. Sie bringen das Widersprüchliche seiner Tat bildnerisch zum Ausdruck. Der Mord ist hier (auch) ein zärtlicher Liebesakt. Berichten Sie uns von der Entstehung dieser Szene.

Die Idee war es, in diesem Moment der Gewalt die Innenwelt des Täters anzudeuten. Wir haben die Szene doppelt gedreht und die Bilder dann so montiert, dass so eine schräge Irritation herauskam. Man fragt sich, zumindest einen Moment lang, was ist die Realität, das eine oder das andere? Für Arne ist seine Tat ein Akt der Liebe. Er fühlt sich dafür verantwortlich, die Frau aus ihrem Leben, aus diesem Dilemma, aus der ihm untragbar erscheinenden Situation zu befreien. Was sie empfindet, nimmt er dabei gar nicht wahr. Er überträgt seine Scham darüber, dass die Familie zerbricht, auf sie. Deshalb kamen wir auf die Idee, das als eine Art Liebestanz zu inszenieren.

Sie wählen eine indirekte Art der Gewaltdarstellung, und trotzdem ist das Geschehen schockierend ...

Gewalt um der Gewalt willen interessiert mich nicht. Das gucke ich mir selber nicht an, das langweilt mich. Mich interessieren viel, viel mehr die Emotionen dahinter, die Gefühle. Darauf wollte ich mich auch in diesem Film konzentrieren. Ich wollte, dass die äußere Gewalt nicht zu sehr von den inneren Vorgängen ablenkt.

Die Spannung entsteht auch durch den Wettlauf mit der Zeit. Das Vorgehen der Polizei, die Fahndung nach dem Täter nimmt hier viel Raum ein. Gab es spezielle Recherchen?

Ich habe mit der Kripo in Rostock im Vorfeld Gespräche darüber geführt. Ich war dort in der Zentrale, um mir anzuschauen: Wie reagieren die, wenn so etwas passiert? Was haben die für Möglichkeiten, an einen Täter heranzukommen, den sie gar nicht kennen? Ich wollte nicht nur beim Täter hinter die Kulissen gucken, sondern auch bei der Polizei. Vor allem, wenn es darum geht, dass die Informationen möglichst schnell zusammengetragen werden, denn es herrscht ja großer Zeitdruck. In Rostock gibt es tatsächlich eine Art Notfallraum, ein "besondere Aufbauorganisation (BAO)" genanntes Krisenzentrum, wo alles bereitsteht, und so ein Ernstfall wird auch zweimal im Jahr geübt. Da werden dann Bilder von Kameras aus dem Polizeihubschrauber oder vom Ort des Geschehens live eingespielt und alle Infos zusammengetragen; alles wird miteinander vernetzt. Das haben wir dann mit den Mitteln, die uns zur Verfügung standen, im Büro der Ermittler zu realisieren versucht. Da, wo sonst drei, vier Leute sitzen, halten sich auf einmal zwanzig auf.

Familie ist das übergreifende Thema Ihres Films. Wir sehen auch, dass die Familie von Bukow auseinanderzufallen droht und wie sehr ihm das zusetzt. Worauf kam es Ihnen bei diesem Erzählstrang an?

Es ist ja programmatisch für den Rostocker "Polizeiruf", dass die Geschichten der Ermittler horizontal immer wieder weitererzählt werden. Das Wichtige dabei ist, dass es eine Verquickung mit dem eigentlichen Fall geben muss, die sehr natürlich ist und nicht aufgesetzt wirkt, die eine eigene Logik hat. Es war ein glückliches Geschenk für uns, mit der Geschichte der Ehekrise bei den Bukows gerade an dem Punkt zu sein, dass wir sagen konnten, dass die Sache mit Thiesler jetzt rauskommt; wir konnten diese Geschichte zu ihrem Höhepunkt oder auch Tiefpunkt führen, wie man will. Natürlich war es schwierig, da die richtige Balance zu finden. Denn wie viel Krise im Privatleben des Ermittlers verträgt eine Geschichte, in der es um einen so krassen Fall geht? Wir haben verschiedene Fassungen gebraucht, um da die richtige Balance zu finden.

Sie erzählen das streckenweise sehr humorvoll und lakonisch.

Ja, das ist auch sehr wichtig; das ist so ein Jonglieren mit Gefühlen. Man kennt das ja auch aus anderen Situationen: Lachen und Weinen können ganz nah beieinander sein, und das eine hilft dem anderen. Das Lachen hat immer etwas Befreiendes.

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