Gespräch mit René Heisig (Regie)
Der "Polizeiruf 110: Zwischen den Welten" erzählt von einem mysteriösen Mord an einer jungen Frau. Worin lag für Sie der Reiz dieser Geschichte?
Der lag auf mehreren Ebenen. Zum einen hat mich die Situation in dieser Familie interessiert, die mit dem Verlust der Mutter respektive der Partnerin zurückbleibt, also die Frage: Was macht das dort mit den Einzelnen? Inwiefern kann ein Vater, der selbst in Trauer ist, mit einem traumatisierten Kind umgehen und wie hilfsbereit kann er der Polizei gegenüber sein? Zum anderen ist aber auch die Situation der Ermittler ungewöhnlich. Sie müssen sich fragen, wie sie vorgehen sollen, denn einerseits kommt der Vater als Tatverdächtiger in Frage, andererseits braucht ihn das Kind gerade jetzt. Außerdem müssen sie entscheiden, inwieweit das Kind als Zeuge belastbar oder gefährdet ist. Und dann gibt es natürlich noch einen dritten wichtigen Aspekt: Die Fälle im Rostocker "Polizeiruf" spiegeln sich ja immer insofern in den Ermittlerfiguren, als die Filme Teile ihrer Biografie präsentieren oder weitererzählen. In diesem Fall kommt die Profilerin auf der Suche nach der eigenen Identität an den Punkt, dass sie als Kind etwas erlebt hat, das sie verdrängt hat, nämlich den Tod der Mutter bei der Flucht. Und durch die Frage, was das Kind Franzi vom Tod der Mutter verdrängt hat, gewinnt der Fall für die Profilerin eine unvorhergesehene persönliche Brisanz.
Worauf haben Sie beim Inszenieren dieses letzten Aspekts Ihr Augenmerk gelegt?
Darauf, wie man diese persönliche Geschichte, die Auflösung der biografischen Lücke der Ermittlerin mit dem Fall verzahnt, ohne dass es kitschig oder sentimental wird und ohne dass man dem Charakter der Figur untreu wird. Katrin König spürt an sich selber eine unbewusste Verbindung zu dieser Franzi, aber da wir ja kein Drama erzählen, sondern einen Krimi, wollten wir das zeigen, ohne in ein Betroffenheitsgehabe gegenüber dem Kind zu kommen. Was da natürlich immer hilft, sind gute Schauspieler, und die haben das einfach grandios gemacht. Die tote Studentin Julia bewegte sich in unterschiedlichen Welten.
Worauf kam es Ihnen bei der Ausgestaltung der verschiedenen Milieus an?
Wir wollten nicht eine Welt klar definieren und gegen die andere abgrenzen, sondern wir wollten Klischees, auch wenn sie oft zutreffen, möglichst entkommen. So wollten wir beispielsweise nicht sagen, die Studentin verdiente ihr Geld mit Prostitution, aber ansonsten hatte sie ein ganz sauberes Leben. Weil uns das zu abgegriffen war, haben wir dieser Frau etwas sehr Ichbezogenes und Zielgerichtetes gegeben. Sie hat sich nicht prostituiert, um ihre Familie zu ernähren, sondern sie hat eigene Ziele verfolgt und wollte diese Familie einschließlich des Kindes hinter sich lassen. Julia Wenning war eine sehr eigensinnige Frau, hinter der der Ehemann sich versteckt hat, um selbst keine Entscheidungen treffen zu müssen. Das fand ich ganz spannend, weil es eine ungewöhnliche Frauenfigur ist; so etwas erwartet man erst mal nicht.
Auch beim Thema Prostitution zeigt sich, dass Sie Klischees und Voyeurismus aus dem Weg gehen.
Wenn ich mich ganz in dieses Milieu begeben würde, müsste ich auch mehr davon erzählen. Dadurch würde die Figur Julia Wenning stärker in den Mittelpunkt rücken, aber wir haben ja hier eine Reihe von verschiedenen Figuren, die einzelne Stränge erzählen. Im Vordergrund stehen für mich das Kind und der Vater, diese ganze Situation der Hilflosigkeit, und die Profilerin natürlich. Außerdem finde ich voyeuristische Bilder, die nichts Neues erzählen und einfach nur eine Blicklust befriedigen, totlangweilig; sie bleiben flach.
Im Kommissariat herrscht Uneinigkeit, ob man die traumatisierte Franzi gleich mit einer Psychologin zusammenbringen soll. Ist Ihnen bekannt, wie so etwas in realen Fällen gehandhabt wird?
In der Realität kommt schneller eine Psychologin hinzu und ist auch mehr am Ball. Bei uns sollten jedoch die Ermittler im Fokus bleiben. Zudem kommt hier eine besondere Eigenschaft von Sascha Bukow zum Tragen, dieses Undogmatische; er agiert aus dem Herzen und aus dem Bauch heraus. Deshalb kann er auf der affektiven Ebene bei dem Kind gut andocken, er hat einen guten Draht zu Franzi. Das ist letztlich anrührender, als wenn jemand vermittelnd dazwischensteht. In der normalen Polizeiarbeit ist das sicherlich anders.
Nicht nur das Mädchen, auch die Söhne von Bukow treten im Film mehrfach auf. Wie klappte die Zusammenarbeit mit den kleinen Darstellern?
Für die Figur der Franzi hatten wir zum Glück Zwillinge, Angelina und Leonie Wollenburg. Bei der Arbeit mit Kindern muss man verschiedene Dinge beachten. Das eine ist, dass Kinder im Prinzip nur sich selber spielen können. Man muss also etwas finden, das zum Klingen bringt, was in ihnen ist, und die Emotion für sie so übersetzen, dass sie in ihrem Spiel da reinkommen können. Bei den Jungs war es so, dass wir die Dialoge freigegeben haben und im spontanen Spiel entschieden haben, wie das geht. Die Situationen waren ja relativ klar. Bei den Mädchen war das schwieriger, weil aber auch die Situationen komplexer waren. Da muss man dann irgendetwas finden, damit der Text nicht zu auswendig gelernt wirkt. Ich arbeite gern mit Kindern. Wenn man genügend Zeit hat und sich gegenseitig annähern kann, klappt das sehr gut. Es ist ja immer ein Prozess, die Kinder müssen Vertrauen entwickeln, und ich finde es hilfreich, selber Kinder zu haben.
Was empfinden Sie als Ihre größte Stärke beim Inszenieren?
Meine größte Stärke ist sicherlich das psychologisch genaue Arbeiten. Ich versuche, in den Emotionen zu arbeiten, ohne sie in den Vordergrund zu stellen.
Die berührenden Momente in diesem Film, in denen es um Katrin Königs Trauma geht, behalten immer etwas Knappes, angenehm Leichtes. Wie haben Sie mit den Darstellern gearbeitet?
Wir hatten eine lange, intensive Leseprobe und haben dann mit den Hauptdarstellern noch weiter an den Dialogen gearbeitet. Es gab viel Arbeit am Buch, und es gab viel Raum. Das entspricht meinem Konzept und auch dem meines Kameramanns Peter Nix; wir geben den Schauspielern Raum. Mit Anneke Kim Sarnau hatte ich schon mal bei einem "Tatort" gearbeitet, wir kannten uns also und haben relativ schnell eine Vertrauensebene gefunden. Wir haben uns immer wieder, auch zu dritt mit Charly Hübner, hingesetzt und die Dialoge und Szenen entschlackt. Insbesondere von der Szene in der Karaoke-Bar gab es bestimmt fünf, sechs Fassungen. Wir haben immer geguckt: Was brauchen wir wirklich, um was geht es da eigentlich und wie kann man das in einer Sprödheit am besten erzählen?
Auch die Szene beim Fluchthelfer ist sehr sparsam und trotzdem eingängig erzählt.
Wie so oft war auch hier weniger einfach mehr. Ich wollte, dass diese Szene fast etwas von Kafka und Beckett hat, etwas beinahe Absurdes, Abstraktes. Peter Maertens ist ein toller Schauspieler, der in Hamburg auch auf der Bühne steht. Es ist ein Geschenk, den zu haben, weil er das einfach so hergestellt hat. Mir war es wichtig, dass hier keine langweilige Faktenvermittlung stattfindet, sondern dass das immer Erinnerungsfetzen bleiben. Hannes Stein schwimmt selbst in einem Meer von halb vergessen, halb wissen; er tastet und stochert in seiner Erinnerung. Gespiegelt wird das Ganze durch die Ausstattung: Der Raum ist seltsam undefinierbar, und dadurch, dass er so in der Schwebe bleibt, bekommt er fast etwas Surreales. In Wirklichkeit war es der Nebenraum einer Kneipe.
Kommentare