Gespräch mit Benedict Neuenfels (Bildgestaltung/Kamera)

"Cineastisch gesprochen sprengte der Stoff anfänglich alle Vorgaben"

Sarah Brandt (Sibel Kekilli) sieht Austerlitz (Jochen Hägele) in Gefahr.
Sarah Brandt sieht Austerlitz in Gefahr. | Bild: NDR / Manju Sawhney

Sie haben eine lange und erfolgreiche Vita als Director of Photography/Kameramann angesammelt, haben zuletzt in den USA gearbeitet. Trotzdem zieht es Sie immer wieder zum Fernsehen. Mit welcher Motivation?

Das Fernsehen ist ein schnelles Format in der Herstellung. Das fordert und schult die ästhetische und produktionelle Bereitschaft, nach "billigeren" Lösungen zu suchen. Im "Industrie-Hollywood" stellst Du lieber noch einen Kran in die Ecke, um die Produzenten zu beruhigen, dass sie das Gefühl haben, alle Winkel sind "gecovered" – egal, was das kostet. Da interessiert sich niemand für meine deutsche "Kostenschulung".

Sie hatten bereits 2013 an der hochgelobten Folge "Borowski und der Engel"“ mitgewirkt. Was hat Sie zum Kieler "Tatort" zurückgeführt?

Milberg und Kekilli schätze ich als Team, und in dieser Geschichte war Sarah Brandt nicht nur die "Kaffeetasse" für ihren Kollegen. Starke Frauenfiguren im Film mag ich. David Wnendt war der ausschlaggebende Faktor, als Regisseur und Autor. Cineastisch gesprochen sprengte der Stoff anfänglich alle Vorgaben – er war schlichtweg im "Tatort"-TV-Rahmen unverfilmbar. Der Ehrgeiz, es uns dennoch mit den gesetzten finanziellen Bedingungen zu ermöglichen, verlangte ungewöhnlich viel Flexibilität von allen Seiten. Das alles schien mir Reiz genug, nach "Der Fall Barschel" wieder fürs Fernsehen zu arbeiten.

Als Sie erstmals den Titel "Borowski und das dunkle Netz" hörten, hatten Sie da spontan das Gefühl, Ihre Arbeit als Bild- und Lichtgestalter wird durch diesen klingenden Titel beengt, weil in eine bestimmte Richtung geführt, oder im Gegenteil beflügelt?

Ich sehe keine Enge im Titel. Im Gegenteil ist eine mögliche Bilderwelt mit den Attributen "dunkel" und "Netz" wohl eher verheißend.

Welche Idee gab den Ausschlag, um an allen womöglich falschen Erwartungen vorbei die passenden Bilder zu finden?

Eine zu komplexe Frage. Filme bestehen aus einer Vielzahl von Ideen. Kurz gesagt: Die filmischen Mittel sind bekannt – es kommt auf den Mix an. Dieser "Tatort"-Cocktail verlangte eine gewisse "Überhöhung", um den unterschiedlichen Genre-Elementen einen Teppich zu bieten.

Wie gehen Sie in jene Tiefen, wo eigentlich kein Licht hinfällt?

Licht zu setzen heißt, eine Entscheidung zu treffen, in welcher Reihenfolge ich einen Raum und dessen Personen erzählen will. Im Halbschatten "Dämmer-Figuren" zu zeichnen ist schon immer eine lukrative Herausforderung gewesen.

Arbeiten Sie grundsätzlich lieber in Harmonie mit seelenverwandten Filmemachern oder im ideenfördernden Spannungsfeld? Wie waren Ihre Erfahrungen bei "Borowski und das dunkle Netz"?

Wir müssen nicht bei jeder Produktion Freunde fürs Leben gewinnen. Zugegeben: Wir haben einen Beruf, der viel mit Berufung zu tun hat. Das gleiche Ziel zu haben, hat zuerst mit Kommunikation zu tun, dann mit Respekt vor der anderen Meinung. Ich sehe mich zuallererst dem Drehbuch verpflichtet, dann der Regie, dann der Produktion, dann meinen Mitarbeitern und dann mir. Filmemachen ist natürlich ein leidenschaftlicher Prozess mit viel Herzblut, da mutieren Menschen schon mal zu bellenden Hunden – das mag jedem verziehen sein. Krieg ist woanders!

"Borowski und das dunkle Netz" weiß sich, was die stilistische Vielfalt angeht, wiederholt in einen Bilderrausch zu steigern. Wählten Sie diese Entfesselung unter anderem auch deshalb, weil der Film selbst viele verschiedene Genres anklingen lässt: Krimi, Horror, Zeichentrick, Komödie, Groteske?

Entfesselung – tolles Wort! Aber simpler: Wir wollten die Grenzen des Formates für uns neu abstecken und verschiedenste Genreelemente miteinander kombinieren. These: Der jüngere Zuschauer ist im deutschen Fernsehen formal tendenziell unterfordert.

Welche Idee steckte dahinter, gleich mit der Anfangssequenz so furios in die Vollen zu gehen?

Zuallererst ist dies die Idee der Drehbuchautoren. Dahinter steckt natürlich ein uralter Ansatz: Eine überraschende Anfangssequenz macht auf den weiteren Verlauf der Geschichte neugierig. Es bedurfte auch hier schon einer ästhetischen Überhöhung, um die "Familienfreundlichkeit" des Formates "Tatort" nicht komplett zu überdehnen.

Wie haben Sie den Spielort Kiel in seiner Innen- und Außenwirkung bildnerisch in Szene gesetzt?

Die Schiffskörper, die vor Hausfassaden vorbeiziehen, die Arena vom THW Kiel, das Rotlichtviertel und das Olympiazentrum – das sind spannende Räume und Architekturen.

Im Kern muss sich jeder Krimi seiner Hauptaufgabe besinnen. "Borowski und das dunkle Netz" tut das, er ist ein klassischer, spannender "Whodunnit?" auf der Suche nach dem großen Bösewicht. Wie unterstützen Sie mit Kamera und Licht diese Suche, das stetige Einkreisen eines Täters?

In der Farbgebung habe ich mich an psychologischen Farbwirkungen orientiert und gewisse Farbgruppen in Kontrast zueinander gesetzt. Geschmack ist dabei sekundär. Die Kamera bewegt sich teilweise von Außenräumen in Innenräume, oder auch viel durch Räume hindurch. Man könnte meinen, wir mäandern durch ein Netz und plötzlich finden wir uns in der Falle für einen Schakal wieder.

Bei einer Verfolgungsjagd geht es mitten hinein in eine mit Zuschauern voll besetzte Sporthalle. Wie anspruchsvoll gestaltete sich dieser "real life"-Ausflug?

Unser Fenster war: Zwei Kamerateams haben 45 Minuten Zeit, mit 10.000 Besuchern in der Arena eine Gesamtchoreografie drei Mal zu drehen. David hatte das Stadionmikro in der Hand, dirigierte das Publikum, während mein langjähriger 2. Kameramann Phillip Wölke und ich hinter den Schauspielern durch die Zuschauerreihen und übers Spielfeld her jagten. Das war sehr sportlich und nicht ungefährlich wegen der steilen Treppen und der hohen Geschwindigkeit – pure Adrenalin-Ausschüttung in vollbesetzter Halle.

Neugierig zu bleiben ist eine der Triebfedern Ihrer Arbeit. Haben Sie bei "Borowski und das dunkle Netz" irgendetwas Neues ausprobiert, das Sie zuvor noch nicht eingesetzt hatten?

Meine Empfänglichkeit für diese Art des Genremix.

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