Gespräch mit Sven Uckermann, IT-Sicherheitsexperte bei Toppoint e.V. (Fachberatung)
"Das Internet ist nur ein Spiegel der Menschheit"
Whistleblower, Wikileaks, Datenlecks und "Panama Papers", aber auch vermutlich staatlich organisierte Hacker-Angriffe im großen Stil, zuletzt wohl auf die Präsidentschaftswahlen in den USA – die verborgenen Seiten des Internets haben das Zeug zum Mythos, befeuern die Fantasie der Menschen. Snowden und Assange, die berühmtesten "Skandalaufdecker", wurden bereits zu Kinohelden. Wieviel Faszination üben die verschlungenen Tiefen des Internets noch auf den IT-Sicherheitsexperten aus, der täglich mit der virtuellen Welt zu tun hat?
Das Internet ist eine Erfindung des Menschen. Und der Mensch ist immer Teil eines jeden Problems in der Computerwelt. Jede Fehlersuche führt am Ende zu jemandem, der diesen Fehler gemacht hat. Als solches ist das Internet nicht faszinierend, es ist eine Abbildung der gesamten Menschheit, und somit, wie die Menschheit, recht interessant.
Das Thema „Cyber Crime“ wird natürlich auch immer mehr von TV-Krimis entdeckt. David Wnendt, der Regisseur von "Borowski und das dunkle Netz", will das "Darknet" aber, nach eigenen Worten, weder verteufeln noch als magische Horror-Blackbox beschreiben. Er bringt Licht hinein, teilweise mit den bunten Farben eines Comics. Tut die Entmystifizierung des "Darknet" Not?
Das Problem ist, dass nichts Mystisches vorhanden ist. Es ist eher die Frage, ob eine Sendung mit dem 3D-Borowski und der dort präsentierten "Fakten" nicht eher Mythen aufbaut. Der "Tatort" ist ja keine Dokumentation und somit nicht an Fakten gebunden. Das "Darknet", sprich das Tor-Netzwerk, wurde seitens der US-Regierung mitfinanziert, um der Meinungsfreiheit und politisch Verfolgten Möglichkeiten zu geben, mit dem freiem Internet in Austausch zu treten. Als solches hatte es einen Anteil am Arabischen Frühling.
Wäre anstatt Selbststudium und "Learning by Doing", wie es die Polizisten im Film – ganz nach der Vorab-Recherche in Kiel – betreiben, nicht eher eine behördliche Jobausschreibung in der Hacker-Szene angesagt?
Die Gehaltstabellen des öffentlichen Diensts sind nicht attraktiv für einen IT-Sicherheitsexperten. Die Ausbildung ist anspruchsvoll und extrem spezialisiert, vergleichbar eventuell mit einem Hubschrauberführer. Diese erhalten eine Zulage, extra Abzeichen auf der Uniform, genießen hohes Ansehen und müssen sich nicht, wie im "Tatort" gesehen, vom Leiter des LKA im Keller beleidigen lassen. Attraktive Arbeitsplätze sehen anders aus.
Im Film kommt die Sprache auf Ermittlungen gegen einen virtuellen Marktplatz mit dem fiktiven Namen "Karawane", auf dem von Drogen über Waffen und Kreditkarten alles an illegalen Waren angeboten wurde. Gibt es dafür ein reales Vorbild?
Illegale Geschäfte scheint es zu geben. Ansonsten hätten wir keine Polizei. Das reale Vorbild ist wohl die Silkroad, die durch das FBI aufgestöbert wurde. Obwohl die Eckkneipe oder die Straßenecke aktuellen Studien zufolge noch immer der Hauptumschlagplatz gerade bei Waffen ist. Ein guter Ruf ist auch bei illegalen Geschäften förderlich. Gerade die Anonymität im Internet ist hier eher hinderlich, wie Studien zeigen. Weder Käufer noch Händler können sich ja sicher sein, ob sie von der anderen Partei nicht doch betrogen werden. Ein Großteil dieser "Handelsplattformen" sind Betrügereien, die von der Leichtgläubigkeit potentieller Kunden leben.
Auch die schier unübersichtliche Menge an Daten aus gesicherten Handys und Festplatten wird genannt. Die Suche nach Tätern aus radikalen politischen Kreisen oder im Umfeld der Kinderpornographie wird zur reinen Sisyphusarbeit. Lässt sich dieser Kampf gegen Windmühlen überhaupt gewinnen?
"Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren." (Bertolt Brecht) Wobei gerade die Frage offen bleibt, in welcher Form gekämpft wird. Gerade Bagatellen werden ja wegen leichter Ermittlungserfolge bekämpft. Die Regierungen geben gerne Geld dafür aus, immer mehr Daten über jeden zu speichern, obwohl keinerlei Studien existieren, die eine Wirksamkeit dieser Maßnahmen belegen. Gerade die USA sind ja in ihrem Kampf gegen den Terror dabei, sich in einen Überwachungsstaat zu verwandeln.
Die beiden LKA-Polizisten im Film gehen im virtuellen Raum auf Verbrecherjagd, bekennen sich aber gleichzeitig dazu, nicht den Schutz von Journalisten und Dissidenten, die in ihren Ländern verfolgt werden, aufs Spiel setzen zu wollen. Markiert dieser Punkt nicht exakt das Dilemma mit dem "Darknet": Jagen wir die Bösen, schaden wir den Guten?
Dies ist immer eine Frage des Standpunktes. Warum bekämpft die Polizei einen Marihuana-Dealer, dies ist doch in Holland legal? Warum werden Dissidenten aus Nordkorea nicht verfolgt, obwohl doch die Gesetzeslage in Nordkorea eindeutig ist? Gerade Ermittlungserfolge des FBI, ohne Rücksicht auf Verluste mit Kampagnen rund um die Welt Rechner zu hacken, hinterlassen einen schalen Beigeschmack. Ist dies gerechtfertigt? Warum erlauben wir dann Nordkorea nicht auch, einige Rechner in Deutschland anzugreifen? Welches Wertesystem und welche Moral gelten im Internet?
Und anders herum gefragt: Wo liegen Ihrer Meinung nach die Grenzen der Freiheit, die das "Darknet" bietet?
Diese Frage muss sich jeder selbst beantworten. Am Ende entpuppt sich der Hauptbösewicht als alles andere als eine finstere Ausgeburt der Hölle. Ist das "Darknet" letztlich nur Tummelplatz von "gewöhnlichen" Verbrechern, die irgendwann ans Tageslicht treten müssen und dann im besten Fall von Kommissaren statt von Trojanern geschnappt werden? Das Internet ist, wie zuvor erwähnt, nur ein Spiegel der Menschheit. Studien zeigen, dass gerade klassische Polizeiarbeit höchst effektiv ist. Drogen und Waffen werden nicht über E-Mails verfolgt. Gerade in der physischen Welt hat die Polizei gute Ermittlungskompetenzen. Es wird im Film aber auch eine lustige Seite im Alltag der "Cyber Crime"-Beamten angetippt, etwa, wenn der berühmte "rote Knopf" den vollautomatischen Pizzaliefer-Service für die Mittagspause aktiviert.
Sind Ihnen in Ihrer Arbeit derart kreative Spielereien auch schon begegnet?
"Das Internet ist eine Spielerei für Computerfreaks, wir sehen darin keine Zukunft." (Telekom-Chef Ron Sommer, 1990) So gesehen arbeite ich täglich mit einer völlig verrückten Spielerei. Der Knopf wird ja mit Namen "Dash" massiv von Amazon beworben. Somit ist dies keine Spielerei, sondern in den USA schon Realität. Über die Sinnhaftigkeit, sein ganzes Leben nur wenigen Konzernen anzuvertrauen und den Einzelhändler durch einen Knopf zu ersetzen, kann man vortrefflich streiten.
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