Gespräch mit Almila Bagriacik

(spielt Mila Sahin)

Mila Sahin (Almila Bagriacik) macht sich Sorgen um ihren Kollegen Borowski
Mila Sahin macht sich Sorgen um ihren Kollegen Borowski | Bild: NDR / Christine Schroeder

Mila Sahin

Normalerweise scheut Mila Sahin nicht die Konfrontation mit Klaus Borowski. Sie hat gelernt, mit seinen Eigenarten umzugehen, seine Launen zu ertragen. Sie weiß, dass er sie als Kollegin schätzt. Aber jetzt ist es anders. So durcheinander hat sie Borowski noch nie gesehen. Er lässt sie allein, erfindet schlechte Ausreden, wirkt trotzig und abwesend. Als sie gerade anfangen will, sich zu ärgern, erfährt sie, wie Borowski in diesem Fall drinsteckt. Nämlich voll und ganz. Dass er das Opfer kennt und sogar mit ihr zusammen war. Dass er ihr Verschwinden miterlebt, vielleicht mitbewirkt hat. Ein Profi würde jetzt sagen: Finger weg, Borowski! Und Mila Sahin ist Profi. Aber sie hat auch Mitleid mit dem gebrochen wirkenden Mann. Mila Sahin mag selbst ein bisschen aufbrausend sein und etwas zu schnell davon überzeugt, richtig zu liegen. Aber sie hat einen starken inneren Kompass: Kollegen stellt man nicht bloß. Kollegen gegenüber verhält man sich loyal. Also drängt sie Borowski, seine Verwicklung dem Chef zu melden, bevor echte Fehler passieren. Bevor er mit dieser Befangenheit und seinem Dickschädel anfängt, dem Fall zu schaden. Mila Sahin ist auf ein Donnerwetter eingerichtet, auf den ganz großen Krach. Doch der bleibt aus. Und wäh - rend sie vorschriftmäßige Polizeiarbeit leistet, verbeißt sich Borowski von Schuldgefühl und Trauer gedrückt in den Fall, an dem er offiziell gar nicht mehr arbeitet.

Gespräch mit Almila Bagriacik

Das Leid hinter den „Cold Cases“ vermisster Jugendlicher – vorwiegend Mädchen – ist leider zeitlos. Gerade erst wieder im November 2021 hat ein Holzarbeiter in einem bayerischen Waldgebiet den Skelettknochen einer damals 19-Jährigen gefunden, die vor 26 Jahren von einer nächtlichen Party nicht mehr nach Hause zurückkehrte. Gab es in Ihrer Familie – Sie sind ab Mitte der 90er-Jahre in Berlin aufgewachsen – ein Bewusstsein für dieses Thema?

Auf jeden Fall. Als Journalisten berichteten meine Eltern auch von Entführungen, Vergewaltigungen oder Morden. Daher waren sie um einiges sensibler als die Eltern meiner Freunde. Meine Mutter wollte immer genau wissen, mit wem ich wann und wo unterwegs bin. Als Jugendliche sucht man aber die Freiheit. Da prallen zwei Welten aufeinander, die Sorge der Eltern und der Drang nach Unabhängigkeit bei den heranwachsenden Kindern. Die neue Version von Trampen ist die Mitfahrgelegenheit „Carsharing“, von der ich auch bis dato niemals Gebrauch gemacht habe. Die Fahrt ist zwar offiziell per App buchbar und man lernt neue Menschen kennen, aber ich denke, dass eine Autofahrt nicht der beste Ort ist, um neue Menschen kennen zu lernen und sich gleichzeitig von ihnen abhängig zu machen. Man kennt den Fahrstil nicht, und das Auto ist ein geschlossener Raum, in dem alles Mögliche passieren kann. Dafür muss man ja nicht einmal in den Wald fahren.

Mila Sahin und Klaus Borowski sind in ihren gemeinsamen Ermittlungen über die Jahre zusammengewachsen. Diesmal steht das kollegiale Verhältnis vor einer Bewährungsprobe. Gehört es gleichsam zur DNA des Kieler Ermittlerduos, dass sich beide Seiten mit jeder neuen Aufgabe auch immer wieder neu zusammenfinden müssen?

Natürlich bringt jeder neue Fall auch neue Herausforderungen für Sahin und Borowski mit sich. Sie haben über die Jahre eine gemeinsame Art entwickelt, die manchmal durch eben diese Herausforderungen gespalten wird. Dennoch bleibt die Basis der Vertrautheit bestehen, weshalb man sich auch traut, einander so harte Vorwürfe zu machen und gleichzeitig enttäuscht wird durch den anderen wie in diesem Fall. Doch diese Vertrautheit ist es eben auch, die sie immer wieder zusammenführt und zu Eingeständnissen verhilft.

Sahin findet am Anfang schnell heraus, dass Borowski damals der Freund des ermordeten Mädchens gewesen ist und den Fall offenbar im Alleingang lösen will. Sahin hadert mit sich, informiert aber dann doch den Chef Schladitz über dessen Geheimnis – warum?

Zunächst zögert Sahin aus Respekt vor Borowski und räumt ihm die Möglichkeit ein, selbst mit der Wahrheit rauszurücken. Wer ist denn auch schon gerne eine Petze? Auch noch nach Borowskis zweiter verpassten Chance, selbst für klare Verhältnisse zu sorgen, bleibt sie professionell. Und genau deshalb geht sie letztlich auch den Schritt auf Schladitz zu, unter anderem, weil sie weiß, wie gut Schladitz Borowski kennt und mit ihm befreundet ist. Natürlich bedeutet Sahin Loyalität sehr viel. Aber sie muss abwägen, welche mehr zählt, die zu ihrem Kollegen oder die zu ihrem Ethos als Polizistin. Befangenheit ist immer eine große Gefahr. Letztlich hat Sahin aber auch einfach nur Angst um Borowski, er könnte unverzeihliche Fehler begehen.

In einem späteren Treffen mit Borowski verteidigt Sahin ihre Haltung mit den Worten: „Ich konnte nicht anders“. „Ich kann auch nicht anders“ gibt Borowski angefasst zurück. Sind die beiden schlussendlich doch aus demselben Holz geschnitzt?

Genau das ist es ja, was ich bei beiden so schätze, dass sie sich bei allen Gegensätzen verbunden fühlen. Sie gehören verschiedenen Generationen an, sind mit ihrer Haltung, ihren Sichtweisen aber insgeheim vom selben Schlag. Daraus entwickelt sich ihr gemeinsamer Swing. Die Art und Weise, mit den Dingen umzugehen, wird durch den anderen bereichert, multipliziert. Es ist im Dialog des Films auch keineswegs so, dass Sahin eiskalt ist und denkt, er muss jetzt damit klarkommen. Sie hat vielmehr ein sehr schlechtes Gewissen, weil sie ihn verstehen kann. In solchen Szenen entstehen die wahrhaftigen Momente in unserem Zusammenspiel, für die ich am Ende des Tages wirklich dankbar bin.

Kommissar Borowski sagt einmal sinngemäß, dass jeder Mensch zum Verbrechen neigt. Können Sie sich einen Moment vorstellen, in dem selbst Mila Sahin zur Mörderin werden könnte?

Ich glaube nicht, dass wir böse auf die Welt kommen. Es gibt den englischen Ausspruch ‚hurt people hurt people‘ – verletzte Menschen verletzen andere Menschen. Es sind die Erfahrungen, die uns bei unseren Entscheidungen leiten, abhängig davon, wieviel Leid und Schmerz man in sich angesammelt hat. Manchem mag es gelingen, durch Begegnungen mit guten Menschen zu kompensieren oder zu heilen. In unserem Fall versucht der Täter genau dies durch seine neue Lebenspartnerin zu erreichen – und schafft es letztendlich doch nicht. Bei Mila Sahin kann ich mir vorstellen, dass, wenn wirklich etwas Schlimmes passierte und sie keinen Ausweg mehr sehen würde, sie womöglich zu ihrer Waffe greift. Aber nicht abdrückt. Sie glaubt an das System, das Verbrecher wegsperrt, aber nicht hinrichtet. Ich hoffe, dass ihr in emotionalen Ausnahmesituationen immer der Ausweg, die Ausfahrt zur Rationalität gelingt.

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