Gespräch mit Christine Hartmann
Regie
Was hat Sie an dem Projekt besonders interessiert?
Ich fand einmal das Thema Paketdienste sehr spannend, weil man meist überhaupt nicht darüber nachdenkt: Was bedeutet das für die Paketboten, diese Unsummen von Paketen liefern zu müssen? Aber dann hat die Geschichte auch noch diese zweite Ebene, die zum Kommissariat und Charlotte Lindholm führt, wo – unter dem Deckmantel des Schweigens – Dinge passieren, die ganz grauenvoll sind. Das fand ich dann sehr, sehr spannend.
Im Film sagt der Logistik-Chef des Paketlieferdienstes zu seiner Verteidigung: Pünktlich soll es bitte kommen, und günstig – und wenn es nicht pünktlich kommt, dann regt man sich auf
Ja, so ist es auch. Stefan Dähnert hatte bereits eine ausführliche Recherche gemacht, auf die ich mich stützen konnte. Vor kurzem gab es einen Artikel in der „Süddeutschen“, die genau das bestätigt, was wir im Film zeigen: zum Beispiel, dass die Paketboten kaum Zeit haben, auf die Toilette zu gehen. In ihren Lieferwagen pinkeln die in eine Plastikflasche, damit sie überhaupt die Termine halten können. Das Interessante ist ja, dass wir sehr schnell sagen: dieses böse Amazon. Aber letztendlich bestellen die meisten von uns dann doch online. Man wird einfach bequemer und unterstützt dadurch das System. Mir ist klar, dass wir durch unsere Filme nicht die Welt verändern können, aber man kann darauf hinweisen. Und vielleicht denkt der eine oder andere Zuschauer ja darüber nach, dem Paketboten mal ein Trinkgeld zu geben.
Viele Figuren in diesem „Tatort“, allen voran Charlotte, haben etwas Verzweifeltes, Verlorenes, was sich als Atmosphäre durchzieht.
Ja. Für mich ist dies ein „Tatort“ der Verlierer. Das habe ich auch beim Drehen immer wieder gesagt. Bei so einer Geschichte gibt es keinen Gewinner. Das war mir sehr wichtig. Diese Kommissarfiguren, die immer alles im Griff haben, die am Schluss den Fall klären und nach 90 Minuten ist das Leben wieder gut – die finde ich meist nicht mehr zeitgemäß. Die Figur von Charlotte Lindholm setzt sich da deutlich ab. Das war auch ein Anreiz, noch einmal einen Tatort zu machen: Sie ist nicht die taffe, perfekte Kommissarin. Sie eckt an, verhält sich nicht korrekt und macht Fehler. Charlotte Lindholm hat einen eigenen Kopf, mit dem rennt sie gegen die Wand - und das macht sie in diesem „Tatort“ auch.
Was hat sie daran interessiert mit diesem besonderen Frauen-Team zu arbeiten, was hat Sie an der Arbeit mit Maria Furtwängler und Florence Kasumba gereizt?
Ich fand allgemein die Arbeit mit Maria sehr interessant. Sie hat keine Scheu, diese nicht perfekte Charlotte zu spielen. Die Figur ist von ihr gestaltet worden, und sie spielt sie schon sehr lange. Und dennoch sucht sie immer wieder nach Möglichkeiten, ihr etwas Besonderes zu geben, neue Ecken und Kanten zu finden. Genauso Florence: Auch sie hat weiter ihre Figur ausgelotet und geguckt, wo ist Anaïs mal weicher? Wo zeige ich mal eine andere Seite? Wir waren alle sehr auf der Suche bei diesem „Tatort“, um diese Ecken und Kanten weiter auszureizen. Das ist innerhalb von solchen Reihenformaten nicht selbstverständlich.
Das Thema Gewalt im privaten Umfeld ist ja so schwierig und komplex, weil so viele Fälle unentdeckt bleiben. Wie haben Sie dazu recherchiert?
Wir haben im Vorfeld der Dreharbeiten mit der Fachberaterin Bahara B. Zschernack zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ gesprochen, und ich habe viel gelesen und mit einem Psychologen geredet. Was ich dabei immer wieder rausgehört habe: je höher die die Bildungsschicht, desto weniger wird gemeldet – und desto weniger kann man helfen. Die Hürde, um sagen zu können: Ja, ich werde von meinem Partner geschlagen – die ist dann wahnsinnig hoch. Was ich wirklich tragisch finde. Man meint ja eigentlich, dass, wenn man gut situiert ist, wenn man ein gewisses Bildungsniveau hat, dann müsste man doch auch im Kopf so weit sein, um sich dem zu entziehen, oder zumindest darüber sprechen zu können. Aber es ist wohl genau das Gegenteil der Fall. Ich möchte nicht wissen, was in Vierteln wie München Bogenhausen, Berlin-Dahlem oder Hamburg-Blankenese hinter verschlossenen Türen alles passiert. Und die wenigen, die etwas davon mitkriegen, sagen dann: Das kann doch nicht sein, das ist doch eigentlich eine total nette, liebe Person, sowas macht die doch nicht.
In den letzten Jahren hat sich das Bewusstsein für die Darstellung von Gewalt sehr geschärft, vor allem gegenüber Frauen. Was kann man, was will man da zeigen?
Mir war es wichtig, dass man sieht, was passiert. Auch wenn es unangenehme Bilder sind: Ich wollte, dass der Zuschauer damit konfrontiert wird. Es sollten nicht nur Worthülsen sein. Zum Glück hatte ich mit Bibiana Beglau und Luc Feit zwei wirklich hervorragende Schauspieler an meiner Seite, die das Vertrauen hatten, mit mir in diese Szene hineinzugehen. Luc ist ja ein ganz feinfühliger, sensibler Mensch - genau das Gegenteil dessen, was er hier darstellt. Das macht natürlich so einen hervorragenden Schauspieler wie ihn aus. Bei Bibiana genauso. Das war eine Freude, mit solchen Leuten arbeiten zu können.
Dies ist ja ein Film, in dem die Frauen im Zentrum stehen. Inwieweit hat eine Regisseurin da einen besonderen Blick drauf? Maria Schrader hat mal gesagt: Auch Männer können den weiblichen Blick haben - und manche Frauen überhaupt nicht.
Also darüber wurde nie gesprochen, und ich muss sagen: zum Glück nicht! Die Produzentin und die Redaktion kannten meine Filme und – so hoffe ich jedenfalls – dachten sich einfach, ich passe gut auf den Job. Diese ganze Diskussion bin ich mittlerweile etwas leid. Man sollte da wieder ein bisschen ein gesundes Gleichgewicht finden. Natürlich war es wichtig, die Frauen nach vorne zu holen. Aber wir sind in kreativen Berufen, und Regisseure wie Regisseurinnen sind doch kreative Menschen, die fähig sein sollten, sich in verschiedenste Handlungen und Personen hinein denken zu können.
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