Regisseurin Mia Spengler über die Anwendung des Inclusion Rider im „Tatort“, über Diversität in der Gesellschaft und in der Filmbranche
Sie haben Ihre Mitwirkung an diesem „Tatort“ davon abhängig gemacht, dass zum ersten Mal ein Inclusion Rider umgesetzt wird, eine Klausel im Produktionsvertrag, die zu mehr Vielfalt in Stab und Besetzung verpflichtet. Woher nehmen Sie als junge Regisseurin diesen Mut?
Ich habe tatsächlich gesagt, wir arbeiten jetzt mit dem Inclusion Rider oder ich bin nicht dabei. Ich hatte einfach einen Punkt erreicht, an dem ich die fehlende Diversität nicht länger hinnehmen wollte. Zwar liebe ich meinen Beruf über alles, aber ich fühle mich inzwischen auch verantwortlich dafür, die Branche mitzugestalten. Und dies auf eine Art und Weise, dass ich morgens in den Spiegel schauen und sagen kann: Ich gehe gern zur Arbeit. Sie steht im Einklang mit meiner Vorstellung von einer vielfältigen Gesellschaft.
Was waren die größten Probleme bei der Umsetzung des Riders?
Mit dem aktuellen Stand an Fachkräften lässt sich der Inclusion Rider kaum erfüllen. Die Leute sind einfach nicht da. Auch der ohnehin schon spärliche Nachwuchs ist sehr univers. Das liegt an der strukturellen Benachteiligung in den letzten Jahrzehnten. Doch niemand fühlt sich so recht zuständig, auf diesem Gebiet etwas zu ändern. Das ist in Deutschland eine Volkskrankheit. Man bedauert sich stattdessen, ach, ich wünschte ich könnte etwas tun, aber es ist mir leider nicht möglich. Natürlich ist es nicht leicht. Es kostet Geld, es kostet Ressourcen, darüber muss man sich im Klaren sein, wenn man schon über Diversität redet. Ja, lasst sie uns herstellen, aber lasst uns die Sache realistisch angehen: Wie können wir Vielfalt erreichen und zu welchem Preis? Und wer bezahlt das überhaupt? Es sind Fragen, die sich viele Leute noch nicht stellen mussten. Deshalb konnte es an der einen oder anderen Stelle manchmal etwas unangenehm werden.
Haben Sie Schauspieler*innen und Crewmitglieder direkt gefragt, ob sie schwul, lesbisch oder transgender sind?
Nein, der Inclusion Rider basiert auf einer freiwilligen Selbstauskunft. Man muss achtgeben, dass er nicht zur Auskunftsverpflichtung wird. Sonst würde man die betreffenden Personen auf eine andere Art diskriminieren.
Hatten Sie Mitstreiter*innen an Ihrer Seite?
Ohne das Netzwerk und Fachwissen meiner Producerin Sophia Ayissi Nsegue von Wüste Film wäre es sehr schwer geworden, den Rider zu gestalten. Ich kann als Einzelperson viele Forderungen stellen, aber bei der Umsetzung bin ich davon abhängig, dass die Produktionsfirma und der auftraggebende Sender, der NDR, mitzieht.
Könnte Ihr Projekt Signalwirkung für den deutschen Film haben?
Seit diesem „Tatort“ werde ich mindestens dreimal die Woche zum Thema Inclusion Rider angerufen und nach meinen Erfahrungen und Kontakten gefragt. Und ich kann mich vor Panel-Anfragen kaum retten. Der Rider ist in aller Munde, und viele wollen jetzt mitmachen. Ich denke, „Schattenleben“ hat einen neuen Status Quo geschaffen, auch wenn der aktuelle Stand der Klausel noch unvollkommen ist. Wir haben mit dem Projekt eine Nachfrage an den Markt gestellt. Jetzt geben wir dem Markt ein bisschen Zeit, darauf zu reagieren.
Sie haben nach dem „Tatort“ gleich ein weiteres Projekt mit Ihrer Kamerafrau Zamarin Wahdat realisiert. Kam die Zusammenarbeit durch den Inclusion Rider zustande?
Tatsächlich habe ich Zamarin Wahdat über eine Gruppe von Bipoc-Filmemacherinnen in Hamburg kennengelernt. Ausschlaggebend für unsere Zusammenarbeit war ihre absolut außergewöhnliche Arbeit, die ich schon lange beobachte. Seit dem „Tatort“ kann ich mir eigentlich nicht mehr vorstellen, ohne sie zu drehen, auch weil es für mich eine völlig neue Arbeitserfahrung war. Gefühlt waren wir doppelt so effektiv wie in früheren Arbeitskonstellationen. Wir haben sehr schnell eine vertraute Kommunikation gefunden. Ob das nun daran liegt, dass wir beide weiblich sind, kann durchaus sein. Wir leben nun einmal im Patriarchat. Man kann es nicht herausrechnen aus den Beziehungen. Ich will auch nicht von der Hand weisen, dass ich in meinem Leben viel Energie darauf verwenden musste, Grabenkämpfe zu führen. Das musste ich mit Zamarin Wahdat zu keiner Sekunde.
Ihr „Tatort“ spielt in der linken Szene der Flinta. Das Akronym steht für Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans- und gender-Personen. Es wird verwendet, um auf die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Geschlechtsidentität aufmerksam zu machen. Könnte man von einer gewissen Zwangsläufigkeit sprechen, den Rider mit dem Film „Schattenleben“ durchzuboxen?
Ich kann mit der Darstellung linker Milieus im deutschen Fernsehen oft wenig anfangen, weil dort fast alle Figuren deutsch und weiß sind. Zwar werden oft Themen behandelt, die marginalisierte Gruppen betreffen. Aber die betroffenen Personen fehlen in der Schilderung linker Szenen komplett. Das entspricht nicht meiner Erfahrungswelt und macht mich auch wütend. Als ich dann für den „Tatort“ angefragt wurde, da stand für mich fest: Ich kann nicht einen Film mit einer solchen politischen Aussage machen und hinter der Kamera nichts davon einfordern. Ich wäre mir sonst vorgekommen wie die größte Heuchlerin.
Kommentare