Verwickelt in Putins Krieg: Rosatom handelt weiter mit Uran
Fast jeden Monat wird Uran aus Russland nach Deutschland geliefert - in die Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen. Dagegen gibt es vor Ort Proteste.
Geliefert wird das Uran vom russischen Staatskonzern Rosatom. Ganz legal, da die EU bisher keine Sanktionen gegen Rosatom verhängt hat. Dabei kooperiert der Konzern mit dem russischen Militär, unter anderem bei der Eroberung des Kernkraftwerks Saporischschja. Der dortige Cheftechniker berichtet erstmals von der dramatischen Situation vor Ort - und warnt vor einem atomaren Unfall.
Text des Beitrags:
Demonstranten:
„Kein Deal mit Rosatom.“
Proteste von Atomkraftgegnern, Ende Januar im niedersächsischen Lingen. Hier befindet sich eine Fabrik für Kernkraft-Brennelemente, die einem französischen Atom-Konzern gehört. Und in der wird auch Uran aus Russland verarbeitet - auch heute noch, trotz des Angriffs auf die Ukraine. Geliefert vom russischen Staatskonzern Rosatom.
Demonstrant auf der Bühne:
„Wenn Putin einmal den Fuß in der Tür hat nach Europa zur Energieversorgung wird er den Fuß da so schnell auch nicht wieder rausnehmen. Und die Tür wird sich so schnell nicht wieder schließen.“
Julian Bothe, ausgestrahlt e.V.:
„Rosatom ist Teil des russischen Militärs, Rosatom ist Teil des russischen Staates. Und Rosatom wird bereits jetzt eingesetzt gegen den Westen.“
In Lingen werden Brennstäbe für ganz Europa produziert. Und in Zukunft soll sogar noch mehr russisches Uran verarbeitet werden - speziell für Kernkraftwerke russischer Bauart. Das Genehmigungsverfahren für die Ausweitung der Produktion läuft gerade.
Doch was genau macht den Konzern Rosatom so gefährlich?
Vom russischen Staatskonzern zum Weltmarktführer
Der Konzern wurde im Jahr 2007 gegründet - durch ein Präsidenten-Dekret von Wladimir Putin persönlich. Die gesamte Führungsspitze von Rosatom besteht aus engsten Putin-Vertrauten. So wie Alexei Likhachev.
Nur wenige kommen dem russischen Präsidenten so nah wie der Rosatom-Chef. Dabei verfolgen beide einen großen Plan: die Welt abhängig zu machen von russischem Uran. Dieses erklärte Ziel entdecken wir in einer Rosatom-Präsentation aus dem Jahr 2012. Mit einem genauen Zeitplan bis 2030 zur „Weltmarktführerschaft“.
Bisher unveröffentlichte Aufnahmen eines Treffens der Atom-Wirtschaft in London. Ein Rosatom-Vertreter erklärt, wie dieses Ziel erreicht werden soll: Neben der Technologie und Uran bringt der Staatskonzern auch das Geld mit.
Rosatom-Sprecher auf der Bühne (2012):
„…and financing.“
Rosatom finanziert seither überall auf der Welt den Bau von Kernkraftwerken mit Milliarden Dollar - aktuell unter anderem in Ägypten, der Türkei und auch in Ungarn. Diese Kernkraftwerke brauchen dann in Zukunft russische Brennstäbe. Rosatom wird dadurch immer mehr zu einem der mächtigsten Konzerne im Atom-Bereich. Schon heute ist das Unternehmen in 70 Ländern aktiv.
Wer sich dem in den Weg stellt, lebt gefährlich. Alex Schwartz hat das erfahren. In seiner Heimat in Westsibirien wird durch Rosatom Uran abgebaut. Der Physiker hat die Umweltschäden dort dokumentiert. Uran von hier wird auch nach Deutschland geliefert. Alex Schwartz hat die Bevölkerung informiert - über massiv erhöhte Strahlenbelastung und Krebserkrankungen. Daraufhin sei er bedroht und schließlich verhaftet worden.
Alex Schwartz, russischer Umweltaktivist im Exil (übersetzt):
„Ich habe 100 Tage in einer Haftanstalt verbracht in der Menschen nach internationalem Recht maximal 20 Tage festgehalten werden dürfen. Die Haftbedingungen sind schlicht unerträglich. Ich habe seither eine posttraumatische Belastungsstörung und bin deshalb in psychologischer Behandlung.“
Nach seiner Entlassung konnte Alex Schwartz mit viel Glück über Belarus fliehen, erzählt er uns. In Abwesenheit wurde er inzwischen zu 30 Jahren Haft wegen angeblichem „Hochverrat“ verurteilt.
Alex Schwartz, russischer Umweltaktivist im Exil (übersetzt):
„Rosatom ist nicht nur irgendein Energiekonzern. Es ist die Ideologie des Kremls. Es ist die Idee, Partnerländer an die Kette zu legen, um sie abhängig zu machen. Sie tun schreckliche Dinge und übernehmen Atomkraftwerke in anderen Ländern.“
Akteur im Krieg gegen die Ukraine
Gemeint ist damit auch Saporischschja. Denn das ukrainische Kernkraftwerk wurde vom russischen Militär eingenommen - mit Unterstützung durch Rosatom.
Er hat das selbst erlebt - und erzählt davon zum ersten Mal vor der Kamera. Oleg Dudar war viele Jahre Cheftechniker im ukrainischen Kernkraftwerk Saporischschja - dem größten in ganz Europa. Im März 2022 wurde das Kraftwerk angegriffen. Das Kommando übernahmen: das russische Militär und Vertreter von Rosatom.
Oleg Dudar, ehemaliger Betriebsleiter KKW Saporischschja (übersetzt):
„Rosatom ist ein russisches Staatsunternehmen. Und der Staat konnte die Eroberung dieser Anlage durch die Armee nicht ohne Hilfe dieser Experten schaffen. Die Vertreter von Rosatom haben zu uns gesagt: ‚Das Kernkraftwerk gehört jetzt zu Rosatom.‘“
Um die ukrainischen Mitarbeiter zu zwingen, für Rosatom zu arbeiten, seien Kollegen von ihm sogar gefoltert worden.
Oleg Dudar, ehemaliger Betriebsleiter KKW Saporischschja (übersetzt):
„Meinem Kollegen, einem Schichtleiter, wurden die Sehnen an Armen und Beinen durchgeschnitten, weil die Russen von ihm verlangten, einen Vertrag zu unterschreiben. Solche Quälereien sieht man sonst nur in Horrorfilmen.“
Nach mehreren Monaten entschloss sich Oleg Dudar aus Saporischschja zu fliehen - so wie Hunderte seiner Kollegen auch. Rosatom ersetze sie jetzt durch unqualifizierte russische Arbeiter. Dadurch steige die Gefahr eines atomaren Unfalls, warnt der frühere Cheftechniker.
Oleg Dudar, ehemaliger Betriebsleiter KKW Saporischschja (übersetzt):
„Das Risiko besteht darin, dass wir mit Rosatom unterschiedliche Notfallverfahren haben. Die Russen kennen unsere Abläufe nicht. Wenn etwas passiert, werden sie überhaupt nicht wissen, was zu tun ist.“
Rosatom bestreitet gegenüber REPORT MAINZ die Folterungen in Saporischschja, räumt aber ein, dass das Gelände vermint wurde. Man werbe Personal an, der Betrieb sei insgesamt „sicher“. Dem widerspricht Oleg Dudar und beklagt, dass der Kauf von russischem Uran Putins Krieg mitfinanziere.
EU-Abgeordnete fordern Sanktionen gegen Rosatom
Warum werden die russischen Uran-Transporte nach Lingen nicht verboten? Der Umweltminister von Niedersachsen erklärt das Dilemma der Bundesregierung.
Christian Meyer, B'90/Die Grünen, Niedersächsischer Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz:
„Robert Habeck hat das mehrfach gefordert, weil auch die Ukraine das fordert, dass man die Geschäfte mit Rosatom, das ist der staatliche Atomkonzern von Putin, dass man die beendet. Aber bislang gibt es in der Europäischen Union noch keine Mehrheit dafür.“
Also keine EU-Sanktionen gegen Putins Atom-Konzern?
Großbritannien hat den gesamten Rosatom-Vorstand schon längst auf die Sanktionsliste gesetzt - nicht so die EU. Dabei fordern das mehrere EU-Abgeordnete, unter anderem der Christdemokraten, schon lange.
Andrius Kubilius, Fraktion der Europäischen Volkspartei, Mitglied des Europäischen Parlaments, Litauen (übersetzt):
„Es gibt Länder, wie Ungarn, die bauen zusammen mit Rosatom Kernkraftwerke. Und die blockieren die Sanktionen. Ungarn ist das Land, das Ärger macht.“
Isabel Wiseler-Lima, Fraktion der Europäischen Volkspartei, Mitglied des Europäischen Parlaments, Luxemburg:
„Das ist furchtbar. Wir wissen, wie die Ukraine leidet. Es ist Geld, was nach Russland geht, und mit dem es diesen Krieg weiterführen kann.“
Wegen der Blockade durch Ungarn bleiben russische Uranlieferungen also erlaubt - auch nach Lingen. 70 weitere Uran-Transporte sind bereits geplant. Wohl sehr zur Freude von Wladimir Putin.
Stand: 05.03.2024 13:20 Uhr